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1911. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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das zarte Köpfchen mit blondem Haar, dessen
lockige Strähne sich über die Schulter breiten,
nach der entgegengesetzten Seite hinaus, und
verstärkt mit ihrem scharlachroten Mantel,
der ebenso nachschleppt, die gemeinsame
Silhouette, wie die runden Scheiben der beiden
Nimben sich in der Mitte decken, aber die
ganze Breite des Gesamtumrisses bekrönen. —
Dagegen stehen auf der anderen Seite zwei
Einzelfiguren parallel nebeneinander: Zunächst
am Kreuz der Lieblingsjünger Johannes, der
hier mit einem Buch, in dem er eifrig liest,
als Evangelist gekennzeichnet, aber damit zu-
gleich aus dem Zusammenhang des Augen-
blicks gelöst ist, und dazu rechts S. Georg, der
nur als Titelheiliger der Kirche oder des Altars
hier zugezogen ward, und gar keine Beziehung
zur Mitte gewinnt als durch die Richtung
seines Beitritts allein. Der Apostel trägt eine
violettgraue Tunika, die nur knapp über die
Knöchel der nackten Füße reicht, und einen
scharlachroten Mantel, dessen grauweiße Innen-
seite, über seine linke Schulter zurückgeschlagen,
bis unten sichtbar bleibt und sehr zur Ver-
breiterung der Figur beiträgt, wie die weit aus-
gelegte Rechte, die mit der anderen Hand
zusammen das Buch stützt, das er zum Lesen
dicht vor die Brust hebt. Aber das Ende des
Mantels berührt den Boden nicht, und die
Füße, der eine horizontal mit der Ferse auf-
tretend, der andere vertikal nach vorn gerichtet
und abwärts von oben gesehen, mit langen
schmalen Zehen, von denen sich die große
vorn absondert, sichern noch klarer die
statuarische Selbständigkeit dieser Gestalt.
Ähnliche plastische Auffassung waltet auch bei
dem Heiligen vor, der schon mit gespreizten
Beinen auftritt und so wenigstens einen Anflug
kriegerischen Heldentums bewahrt, während
der feinknochige Bau seiner Glieder, die Weich-
heit seines Körpers und die Zartheit seines
Kopfes mit wallendem Lockenhaar vielmehr
ein weibliches Ideal christlicher Glaubensritter
verraten. Sein enganliegender hellvioletter
Anzug umschließt die dürftigen Beine, deren
Füße in weichen Lederstiefeln stecken. Eine
weiße Binde schlingt sich um die Hüften und
verbreitert den Leib, ein blaugrüner mit grauem
Pelz gefütterter Mantel, der von der rechten |
Schulter niederfällt, aber auch die linke Seite
deckend mit seinem runden Saum bis hinter
die Kniekehlen reicht, charakterisiert ihn als
Reitersmann. Aber seine Lanze hält er nur
wie ein Attribut mit der Rechten, auf den
Boden gestellt, während die Linke ebenso
nachlässig die Schnur handhabt, die dem ge-
fangenen Drachen um den Hals gelegt ist.
Und dieser selbst ist kein schreckliches Un-
geheuer, sondern ein kleiner Kleffer, der sich
nur durch die gespreizten Fledermausflügel
und den vergrößerten Eidechsenkopf von einem
Dackerl unterscheidet, da selbst die gelb-
braune Farbe mehr dazu dient ihn vom grünen
Rasen abzuheben und so ins Auge fallen zu
lassen. Das puppenhafte Antlitz seines fried-
lichen Herrn läßt keinen Glauben an die
Heldentat des Drachenkampfes aufkommen,
so daß wir ohne diese Zutaten ebenso gut
S. Veit oder S. Wenzel in ihm erkennen möchten.
Kaum mehr als die kürzere Haartracht und
der Scheitel auf der Seite unterscheidet von
ihm S. Johannes, dessen abgerundeter Schnitt
über der Stirn ihm das Aussehen eines Ein-
fältigen gibt. Sie beide könnten in weiblicher
Tracht ebenso gut Maria Magdalena und Mater
dolorosa vorstellen, die ihnen ohnehin wie
Geschwister gleichen.
Mit dieser weiblichen Bildung und Emp-
findsamkeit der Typen haben wir jedoch
gerade das wichtigste Kennzeichen heraus-
gehoben, das neben der statuarischen Scha-
blone der Einzelgestalten und des Paares hier
unter dem Kreuzesstamm befremden muß. Die
Weichheit des Ideales in allen fünf Personen
widerspricht dem sichtlichen Bestreben zur
Geschlossenheit der Umrißzeichnung und zu
schlichtem, fast geradlinigen Aufbau der Kom-
position zu gelangen. Solche Antinomie des
Geschmacks würde sich erklären, wenn die
Aufgabe den Gekreuzigten mit den zugehörigen
Heiligen unten aufzureihen einem Künstler
gestellt ward, der eigentlich gewohnt war, die
Kreuzigung oder den Kreuzestod als historischen
Vorgang zu schildern, vielleicht gar als figuren-
reiches Schauspiel auf Golgatha in schwung-
vollem Vortrag voll rhythmischer Bewegung
und malerischem Beziehungsreichtum ausz.u-
breiten. Es ist ihm ohne Zweifel ein neues,
kein geläufiges Bemühen, den Gekreuzigten
mit den Seinen so rituell als Repräsentations-
bild zu zeigen, und statt der feierlichen Stabi-
lität sub specie aeterni ist hier noch ein äußer-
liches Nebeneinander, ein gewaltsames Auf-
rechthalten der Schmerzensmutter, eine etwas
hölzerne Zusammenschiebung des lesenden
Evangelisten und des ebenso isolierten Ritters
1911. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
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das zarte Köpfchen mit blondem Haar, dessen
lockige Strähne sich über die Schulter breiten,
nach der entgegengesetzten Seite hinaus, und
verstärkt mit ihrem scharlachroten Mantel,
der ebenso nachschleppt, die gemeinsame
Silhouette, wie die runden Scheiben der beiden
Nimben sich in der Mitte decken, aber die
ganze Breite des Gesamtumrisses bekrönen. —
Dagegen stehen auf der anderen Seite zwei
Einzelfiguren parallel nebeneinander: Zunächst
am Kreuz der Lieblingsjünger Johannes, der
hier mit einem Buch, in dem er eifrig liest,
als Evangelist gekennzeichnet, aber damit zu-
gleich aus dem Zusammenhang des Augen-
blicks gelöst ist, und dazu rechts S. Georg, der
nur als Titelheiliger der Kirche oder des Altars
hier zugezogen ward, und gar keine Beziehung
zur Mitte gewinnt als durch die Richtung
seines Beitritts allein. Der Apostel trägt eine
violettgraue Tunika, die nur knapp über die
Knöchel der nackten Füße reicht, und einen
scharlachroten Mantel, dessen grauweiße Innen-
seite, über seine linke Schulter zurückgeschlagen,
bis unten sichtbar bleibt und sehr zur Ver-
breiterung der Figur beiträgt, wie die weit aus-
gelegte Rechte, die mit der anderen Hand
zusammen das Buch stützt, das er zum Lesen
dicht vor die Brust hebt. Aber das Ende des
Mantels berührt den Boden nicht, und die
Füße, der eine horizontal mit der Ferse auf-
tretend, der andere vertikal nach vorn gerichtet
und abwärts von oben gesehen, mit langen
schmalen Zehen, von denen sich die große
vorn absondert, sichern noch klarer die
statuarische Selbständigkeit dieser Gestalt.
Ähnliche plastische Auffassung waltet auch bei
dem Heiligen vor, der schon mit gespreizten
Beinen auftritt und so wenigstens einen Anflug
kriegerischen Heldentums bewahrt, während
der feinknochige Bau seiner Glieder, die Weich-
heit seines Körpers und die Zartheit seines
Kopfes mit wallendem Lockenhaar vielmehr
ein weibliches Ideal christlicher Glaubensritter
verraten. Sein enganliegender hellvioletter
Anzug umschließt die dürftigen Beine, deren
Füße in weichen Lederstiefeln stecken. Eine
weiße Binde schlingt sich um die Hüften und
verbreitert den Leib, ein blaugrüner mit grauem
Pelz gefütterter Mantel, der von der rechten |
Schulter niederfällt, aber auch die linke Seite
deckend mit seinem runden Saum bis hinter
die Kniekehlen reicht, charakterisiert ihn als
Reitersmann. Aber seine Lanze hält er nur
wie ein Attribut mit der Rechten, auf den
Boden gestellt, während die Linke ebenso
nachlässig die Schnur handhabt, die dem ge-
fangenen Drachen um den Hals gelegt ist.
Und dieser selbst ist kein schreckliches Un-
geheuer, sondern ein kleiner Kleffer, der sich
nur durch die gespreizten Fledermausflügel
und den vergrößerten Eidechsenkopf von einem
Dackerl unterscheidet, da selbst die gelb-
braune Farbe mehr dazu dient ihn vom grünen
Rasen abzuheben und so ins Auge fallen zu
lassen. Das puppenhafte Antlitz seines fried-
lichen Herrn läßt keinen Glauben an die
Heldentat des Drachenkampfes aufkommen,
so daß wir ohne diese Zutaten ebenso gut
S. Veit oder S. Wenzel in ihm erkennen möchten.
Kaum mehr als die kürzere Haartracht und
der Scheitel auf der Seite unterscheidet von
ihm S. Johannes, dessen abgerundeter Schnitt
über der Stirn ihm das Aussehen eines Ein-
fältigen gibt. Sie beide könnten in weiblicher
Tracht ebenso gut Maria Magdalena und Mater
dolorosa vorstellen, die ihnen ohnehin wie
Geschwister gleichen.
Mit dieser weiblichen Bildung und Emp-
findsamkeit der Typen haben wir jedoch
gerade das wichtigste Kennzeichen heraus-
gehoben, das neben der statuarischen Scha-
blone der Einzelgestalten und des Paares hier
unter dem Kreuzesstamm befremden muß. Die
Weichheit des Ideales in allen fünf Personen
widerspricht dem sichtlichen Bestreben zur
Geschlossenheit der Umrißzeichnung und zu
schlichtem, fast geradlinigen Aufbau der Kom-
position zu gelangen. Solche Antinomie des
Geschmacks würde sich erklären, wenn die
Aufgabe den Gekreuzigten mit den zugehörigen
Heiligen unten aufzureihen einem Künstler
gestellt ward, der eigentlich gewohnt war, die
Kreuzigung oder den Kreuzestod als historischen
Vorgang zu schildern, vielleicht gar als figuren-
reiches Schauspiel auf Golgatha in schwung-
vollem Vortrag voll rhythmischer Bewegung
und malerischem Beziehungsreichtum ausz.u-
breiten. Es ist ihm ohne Zweifel ein neues,
kein geläufiges Bemühen, den Gekreuzigten
mit den Seinen so rituell als Repräsentations-
bild zu zeigen, und statt der feierlichen Stabi-
lität sub specie aeterni ist hier noch ein äußer-
liches Nebeneinander, ein gewaltsames Auf-
rechthalten der Schmerzensmutter, eine etwas
hölzerne Zusammenschiebung des lesenden
Evangelisten und des ebenso isolierten Ritters