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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Reiners, Heribert: Der Meister von Siersdorf, [1]: Ein niederrheinischer Bildschnitzer aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0090

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145

1911.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

148

hervor. Die Nase erbreitert sich unten und
ihre etwas geblähten Flügel sind aufwärts
gezogen. Eine scharfe Falte geht von diesen
aus abwärts. Charakteristisch sind dann weiter
die tief eingegrabenen Furchen an den äußeren
Augenwinkeln und der Nasenwurzel. Das
Gesicht zeigt mit solcher Form eine gewisse
Kleinlichkeit der Behandlung, eine Scheu vor
ruhigen Flächen. Dem entspricht die Wieder-
gabe des Gewandes in der gänzlichen Auf-
teilung mit den vielen Brüchen und Gräten.
Die Stege sind voll und abgerundet, fast etwas
weichlich, wenn man an die harten Knicke
der früheren Zeit denkt, wie
denn auch die Gesamtbehand-
lung die große klare Festigkeit
und den energischen Schnitt
vermissen läßt. Dagegen ist
die Figur mit großer technischer
Sauberkeit durchgeführt und
auch in der Behandlung der
nackten Teile gut. Arm und
Fuß sind mit richtigem Ver-
ständnis wiedergegeben, und
dies Können spricht auch aus
der Behandlung der Brust, so-
weit sie unter dem Halse sicht-
bar wird.

Der zweite Heilige, Niko-
laus (Fig. 2), ist in vollem Ornate
dargestellt mit Mitra und Hand-
schuhen. Sein Stab, an dem
das Sudarium befestigt, ist un-
gewöhnlich reich in den mit
Statuetten gefüllten Arkaden,
die ihn vor dem Ansatz der
Krümme umziehen. Die Ge-
wandbehandlung entspricht der
der vorigen. Auch sie ist etwas
flau, ohne größere Motive und wirkt bei dem
Überschlag des rechten Armes fast schwer.
Das Gesicht, weil bartlos, bringt zu den alten
einige neue Charakteristika: den scharf ge-
schnittenen Mund, die breite Rinne, die von
der Oberlippe zur Nase läuft, das vorspringende
Kinn mit dem Grübchen, das Doppelkinn und
einen ziemlich vollen Hals mit faltigen Zeichen
des Wohllebens, die in einem leichten Kontrast
zu dem scharfen Gesicht stehen. Als seien
ihm schlechte Düfte in die Nase gestiegen, so
verzieht der Heilige sein Antlitz.

Der Dritte, Georg (Fig. ;5), der auf dem ge-
flügelten Drachen steht, diesen mit dem Schilde

Fig. 7

niederhält und mit dem Schwerte zum Schlage
ausholt, ist eine zierliche elegante Gestalt, die
kostümlich in der sauber behandelten Rüstung
besondere Beachtung verdient.

Ein solches trachtengeschichtliches Interesse
bringt man auch in erster Linie den weiblichen
Figuren entgegen, eine ergötzliche kokette Ge-
sellschaft, die eine genauere Betrachtung wohl
lohnt. Lucia (Fig. 4) hat sich als Martersymbol
ein Schwert durch den Hals gestoßen, das sie mit
viel Grazie zur Schau trägt, denn sie weiß, daß
es ihr ein interessantes Air gibt. Vor der Brust
hält sie ein geöffnetes Buch, mit dessen Blättern
ihre linke Hand ein wenig spielt.
Ihr Kostüm zeigt ein dünneres
Unterkleid, das mit vielem Ge-
fältel am Boden aufstößt. Dar-
über trägt sie ein Obergewand
mit breiter Borte, darauf (er-
neuert) sa?icta Lucia zu lesen
steht. Diese Borte findet ihre
Fortsetzung in einer schma-
leren, mit Rosetten in ver-
tieftem Felde verzierten, die
sich über die Mitte der Vorder-
seite hinzieht, um dann in
einem Gürtel fortgeführt zu
werden. Die Ärmel sind nach
ihrem Ende sehr erbreitert. Der
Überschlag des rechten Armes
steht in keiner deutlichen Ver-
bindung mit dem zugehörigen
Kleide, und der Künstler
scheint ihn fast nur verwertet
zu haben, um ein neues Ge-
fältel loslassen zu können. Daß
hier das Gewand so weit auf-
genommen ist, wie auf einer
der folgenden Figuren, ist nach
den Falten der Vorderseite nicht recht glaub-
haft. Auf der linken Seite ersetzt den Über-
schlag der zusammengenommene Buchbeutel,
der mit seinen Endquasten über den linken
Arm hängt. Ein glatt anliegender Kragen
mit Saum aus Hermelinpelz schmückt die
Schultern. Eine interessante Haube, unter dem
Kinn mit einer Schnur gehalten, vorne mit
Rosetten verziert und an ihrem Ende um-
geschlagen, deckt den ganzen Hinterkopf.
Vorne abgestumpfte Schuhe dienen den Füßen
als Hülle. Die Eigenheiten des Künstlers
kehren in allem deutlich wieder, besonders im
Antlitz, wo auf die Falten an Auge und
 
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