Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

DOI Artikel:
Reiners, Heribert: Der Meister von Siersdorf, [2]: Ein niederrheinischer Bildschnitzer aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrh.
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0104

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
171

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

172

stets genau wiederholt. Ein anderes zeigt
dagegen die schöne kleine Gruppe in der
Klever Stiftskirche, bei der Johannes die Hände
vor dem Schöße kreuzt, was sonst am unteren
Niederrhein nicht mehr zu rinden ist.

Die Maria des Krefelder Museums (Fig. 11)
hält in der gesenkten Linken das vom Beutel
umhüllte Buch, das sonst meist Johannnes zu
tragen pflegt. Mit der Rechten faßt sie das wie
ein Skapulier herabhängende lange Brusttuch,
um ihre Tränen zu trocknen. Trotz des
Ernstes der Situation vergißt sie aber nicht
die Gesetze der Zierlichkeit und hat den
steifen kleinen Fmger, wie es schon öfter
beim Künstler zu beobachten war, gespreizt.
Die Gewandung ist in ein reiches Gefältel
aufgelöst, das keine großen Linien und
Massen kennt, und zumal durch die Über-
schneidung des Tränentüchleins bekommt die
Figur eine unruhige Note. Die Zugehörig-
keit zu der Siersdorfer Gruppe ist, abgesehen
von den genannten Gründen, bei der Ober-
einstimmung des Kopftypus und dem über
das Haupt gezogenen Mantel mit der gleichen
Behandlung wie bei der Elisabeth, ohne Zweifel-
Daß die Figuren bis in das Kloster von
Boxmeer verschlagen wurden, ist dabei freilich
sonderbar, zumal jene Gegend tüchtige Plastiker
genug aufweisen konnte.

Eine weitere überlebensgroße Kreuzigungs-
gruppe des Meisters befindet sich in der kath.
Pfarrkirche zu Aldenhoven. (Kunstdenkmaler
des Kreises Jülich S. 20 Fig. 6 und 7.) Johannes
hat den ausdrucksreichen, scharf geschnittenen
Kopf zur Seite gewandt und mit gewissem
Pathos die Rechte auf die Brust gelegt, während
die gesenkte Linke Buch und Beutel hält.
Sein Oberkleid ist in reichem Faltenspiel
zusammengenommen, wirksam kontrastierend
zu den ruhigen Vertikalen des Untergewandes.
Die Madonna ist nicht so dramatisch auf-
gefaßt und hat eher einen weichen Einschlag
erhalten. Die große Kurve ihres Gewandes
klingt anmutig in dem leicht geneigten Kopfe
aus. Mit gespreiztem kleinen Finger faßt die
gesenkte Linke, fein und schmal gebildet, den
Mantel, der wieder aus schwerem Wollstoff
scheint. Die erhobene rechte Hand hält das
in charakteristischer Weise gegebene Thränen-
tüchlein. Die Figuren sind beide gleich ausge-
zeichnet, aber sie mit Franck-Oberaspach (a. a. O.)
zu den besten niederrheinischen Arbeiten der
Spätgotik zu rechnen, scheint mir zu weitgehend.

Der Kruzifixus ist teilweise ziemlich unfrei
behandelt, und die scharf betonten Rippen
sind noch schematisch untereinander gereiht.
Sonst ist die Anatomie recht gut, wenn auch
die Beine verdreht erscheinen. Auf eine große
Sorgfalt läßt die allzu genaue Wiedergabe der
Adern an den Armen schließen, wie sie dem
Beine des Johannes in Siersdorf entspricht.
Der Kopf des Heilandes hat einen guten
Ausdruck erhalten und ist mit großem Realis-
mus gemeißelt. Weich und massig fällt das
Haar zu Seiten nieder.

Eine Kreuzigungsgruppe des in Frage
stehenden Meisters bewahrt sodann auch die
katholische Pfarrkirche in Barmen. (Kunst-
denkmäler des Kreises Jülich S. 32, Taf. III.)
Hier wies schon Renard auf die Verwandt-
schaft mit der Aldenhovener Gruppe hin und
machte zugleich darauf aufmerksam, daß der
Kruzifixus wohl älter sei als die Begleitfiguren.
Vielleicht ist jener aber trotzdem von dem
gleichen Meister, da er manche Berührungs-
punkte mit dem Aldenhovener Christus aufweist.
Um so sicherer sind aber ihm Maria und
Johannes zuzuschreiben. Jene ist weniger
knitterig als sonst in ihrer Gewandung gegeben.
Aber die Schwere der Stoffe, die Art, wie
sich die Falten vorne begegnen, ist wieder
recht bezeichnend. Und nicht minder das
Kopftuch. Der Typus des Gesichtes ist
freilich nicht so scharf ausgeprägt, aber doch
im wesentlichen derselbe geblieben. Johannes
ringt die Hände vor der Brust und hat den
Kopf zu seinem Heiland aufwärts gewandt.
Ziemlich großzügig ist seine Faltengebung.

Und noch eine Kreuzigungsgruppe läßt
sich dem gleichen Meister zuweisen, jene in
der katholischen Pfarrkirche zu Gangelt (Kunst-
denkmäler des Kreises Geilenkirchen S. 1415).
Auch hier interessieren uns vor allem die
Figuren des Johannes und der Madonna.
(Fig. 12 und 13.) Die Gestalten tragen so
ausgeprägt die Eigenart des Künstlers, daß
dessen Autorschaft keiner langen Beweisführung
bedarf. Johannes ist wieder mit gewissem
Pathos wie sein Genosse in Aldenhoven ge-
bildet. Beachtenswert ist sein Schulterkragen
gleich dem des Kaisers Maxentius an der
Siersdorfer Katharinenfigur. Die Madonna
in der übertrieben unruhigen Gewandung
möchte man fast direkt als barock ansprechen.

Eine Arbeit des Meisters ist auch der
Lettnerbogen in der katholischen Pfarrkirche
 
Annotationen