Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

DOI Artikel:
Schmarsow, August: Altenburger Galeriestudien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0155

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
269

1911. ~ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 0.

270

zu verdrängen suchte. Wir finden so etwa
das Obergeschoß einer Basilica forensis oder,
von innen gesehen, den Lichtgaden einer Ver-
sammlungshalle auf Masaccios, bei Vasari
genau beschriebenem, perspektivischem Probe-
stück mit der Heilung des besessenen Knaben,
das sich vor einigen Jahren noch in der
Sammlung Somzee zu Brüssel befand; es ist
abgebildet im Atlas zu meinem Masaccio 1897.
Wenn hier die persönliche Freundschaft des
Malers mit dem Begründer der Renaissance-
Architektur die Erklärung gibt, so kann bei
dem zeitgenössischen Urheber unserer Ver-
kündigung in Alten burg auch nur an einen Ge-
sinnungsgenossen des Filippo di Ser Brunel-
lesco selber gedacht werden, der in seine
römischen Studien eingeweiht war. Fehlen
auch alle Schmuckformen, die wir als ent-
scheidende Kennzeichen der Frührenaissance
zu betrachten pflegen, so genügt, auch ohne
Säulen-Kapitelle, Rundbogen und Profile, dies
einfache Svstem rechtwinkliger Flächenuni-
rahmung mit quadratischer Fensteröffnung
darin als Beweis für den Gegensatz zu schlanken,
hochstrebenden Vertikalgliedern der Gotik
mit ihren Spitzbogenfenstern und für die Be-
vorzugung des antiken Horizontalismus mit
seiner wuchtigen, ruhevollen Ausbreitung im
Anschluß an römische Proportionen. Ein
einziges solches Wandkompartiment mit seiner
vergitterten Öffnung darin gibt auch die Er-
klärung für die Komposition der Szene aus
zwei Figuren, die körperhaft in den breit-
gestreckten Raum eingestellt sind. Aber sie
gehorchen noch nicht dem Maßstab der Raum-
umschließung nach Zentralperspektive, sondern
gehören nach alter Gewohnheit der monu-
mentalen Wandmalerei nur dem Vordergrund
an und genießen so den bevorzugten Rang
der Hauptpersonen erzählender Bilderreihen
von damals, d. h. sie behaupten ihre hervor-
ragende Körpergröße zugunsten ihrer Bedeu-
tung. Was die strengperspektivische Forde-
rung des Lehrmeisters Filippo di Ser Bru-
nellesco für die Figuren ergab, das zeigt eben
jenes Versuchsstück des Masaccio mit der
Heilung des Mondsüchtigen, das mitten in
seiner Arbeit an der Petruslegende für die
Brancaccikapelle entstanden, doch für die
Wandmalerei nicht verwertbar war. Mit vollem
Bewußtsein kehrt der Meister in der Dar-
stellung vom Zollgroschen bei Kapernaum
zur Reliefkomposition zurück, in der den

Figuren der Vordergrund allein gehört.
Während wir bei Masaccio jedoch von einer
Selbstbefreiung zu höherer Einsicht reden
dürfen, behält der Zeitgenosse in dem kleinen
Predellenbild zu Altenburg wohl nur die Ge-
wohnheit des überlieferten Stiles bei und
denkt zu seinen beiden Verkündigungsfiguren
den räumlichen Hintergrund doch mehr als
Flächendekoration oder als Reliefgliederung
der Rückwand hinzu, obwohl er mit der
Untensicht des Dachstuhles und mit dem
Einblick in das Schlatkämmerlein der Jungfrau
schon weitere Schritte zur perspektivischen
Wiedergabe des Innenraumes selber wagt. So
läßt sich zur Abwägung des Unterschiedes
von Masaccio selbst doch etwa Ghibertis
Relief mit dem Abendmahl von der ersten
Bronzetür heranziehen, weil auch dort eine
rhythmisch gegliederte Wand geboten wird
und die gleiche Voraussetzung eines länglichen
Saales waltet.

Auf jeden Fall aber gehört unser Bildchen
mitten hinein in die Entwicklungsgeschichte
der florentinischen Kunst bei Lebzeiten Ma-
saccios und führt uns eine jener Lösungen
vor, die damals für solche Probleme versucht
wurden. Und ohne Zweifel stellt sich der
Urheber seiner ganzen Intention nach auf die
Seite Masaccios und Donatellos; er rückt
damit ab von der anderen Seite, auf der wir
Ghiberti und Don Lorenzo Monaco finden.
Sowie wir uns erinnern, was diese wollen und
machen, erkennen wir, was unser Maler in
Altenburg geflissentlich vermeidet, und durch-
schauen dann besser, was er positiv dagegen
stellt.

Lorenzo Ghiberti und Don Lorenzo Mo-
naco bleiben im tiefsten Grunde ihres Wesens
Gotiker, sie pflegen das kostbarste Erbteil der
mittelalterlichen Kunst und verfügen über
einen reichen Schatz tiefer Geheimnisse dieser
geheiligten Tradition (vgl. m. Abhandlung über
Ghibertis Kompositionsgesetze an der ersten
Bronzetür des Baptisteriums, Leipzig 1900).
Zu ihrem Schaffen gehört als unveräußerlicher
Bestandteil die rhythmische Bewegung, die
ausgreifende Gebärdensprache, die ganze aus-
drucksvolle Schönheit der Mimik organischer
Geschöpfe, auf deren Wesen auch die hin-
reißende Kraft der gotischen Architektur be-
ruht. (Vgl. Zur Frage nach dem Malerischen,
I Beiträge zur Ästhetik der bildenden Künste,
I Leipzig 1896 S. 28.) Kein Zweifel, auch hier
 
Annotationen