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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tepe, Alfred: Malerisch, [1]: Eine entwicklungsgeschichtliche Kunststudie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0194

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343

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

344

„Mir? Ich habe mein Lebtag noch keine
Flinte losgedrückt." „Wirst nachher um so
mehr losdrücken. Weißt du, was ihr Luft-
kneipen nennt, ein bißchen Spazierengehen,
im Lehnstuhl unter der Veranda euch räkeln
usw. usw., das ist dummes Zeug; das schüttelt
das Blut nicht durcheinander, dabei wird man
den Staub der Landstraße nicht los und noch
weniger die faulen Gedanken. Aber im
Busch, in Feld und Wiese den ganzen langen
lieben Tag — dabei das Interesse, die Span-
nung — die Suche der Hunde, das Schwirren
der Hühner, das Aufstehen der Hasen — dein
ganzer Plunderkram liegt meilenweit hinter
dir — deine Lunge, dein Herz, dein Blut
dein Gehirn, alles arbeitet in dir und freut
sich seiner natürlichen, naturgemäßen Wirk-
samkeit."

Der also angeworbene Hubertusjünger und
Jagdkompagnon, seines Zeichens Architekt
wird seinen neuen Freunden vorgestellt. Sie
weihen ihn ein in die Grundgeheimnisse
seines Nebenberufs, stehen ihm bei der Aus-
rüstung getreulich zur Seite und lassen ihn
ein paar Dutzend Flinten erproben, deren
Stöße ihm beinahe die Schulter ausrenken.
Man tröstet ihn mit der Versicherung, das
Jagdgewehr entwickele diese ziegenböckige
Stoßwut nur, wenn es probiert werde, in der
Praxis betrage es sich viel gesitteter und ver-
lerne das Stoßen am Ende ganz und gar.
Also die Sache kann losgehen!

Eine weite, tiefliegende Ebene, ein aus-
gepumptes Moor. — Kein Baum, kein Strauch
— ansehnliche Bauerngehöfte. Das Feld ist
von breiten Gräben durchzogen, der Pflug
hat die schwarze Torferde in mächtigen
Brocken aufgewühlt. Ein sehr angenehmer
Spaziergang: der junge Jäger voltigiert nach
Vermögen über das wogende Erdmeer und
zeigt ungefähr die Bewegungen eines Fisch-
kutters in der Brandung. Nach ein paar
Gängen steht er da keuchend und schweiß-
bedeckt. Der Freund schmunzelt. „Kerl, das
wird dir gut tun, aber alles mit Maß, sagt
der Schneider, man soll die Medizin nicht
flaschenweise nehmen. Du siehst da die
Kirche hinter dem Damm?"

Ol) ich sie sah und gesehen hatte, schon
auf der Herfahrt. Kein Mensch kann seinem
Schicksal entgehen; da schleppen die Kerls
mich aufs Feld hinaus und versprechen mir
naturseliges Vergessen und das erste was ich

erblicke ist eine selbstgebaute Kirche! „Na,
macht nichts, sie ist ja ganz hübsch, brauchst
dich ihrer nicht zu schämen. Und nun man
flink — du marschierst auf sie los, drehst ihr
den Rücken zu und äugst mit scharfem Jäger-
blick hier ins Feld hinein, indessen wir unsere
Gänge hin und her fortsetzen. Was wir außer
Schußweite auftreiben, kommt dir vor den
Lauf; die Hasen spazieren alle auf den Damm
zu und galoppieren dann die Böschung ent-
lang, um im nachbarlichen Revier sich zu
bergen. Sie rechnen nicht darauf, daß ein
mordlustiger Architekt ihnen auflauert. Also
dort beim Bretterzaun dich niedergeduckt, still-
gesessen und aufgepaßt!

Da stehe ich also am hohen Deich, der
den Polder umfaßt, dahinter entdecke ich den
Entwässerungs- oder Ringkanal, dessen Niveau
verschiedene Meter über dem trocken gelegten
Seeboden liegt, und diesem Kanal kehren die
Häuser und Gehöfte an der parallel oder
konzentrisch laufenden Chaussee ihre liebe
Rückseite zu. Und diese Rückseite zeigt die
natürlichste und ungezwungenste Befriedigung
der geschäftlichen, handwerklichen und land-
wirtschaftlichen Anforderungen.

Das nächstliegende Material ist verwendet.
Rohr und Stroh, ein Sortiment zusammen-
geschleppter Mauer- und Dachziegel, alte
Bretter und Latten, ausrangierte Fenster und
Türen. Das alles ist auf originelle, sinnvolle,
oft lustige Art zusammengesetzt oder geflickt,
mit braunem oder schwarzem Teer, mit
grüner, roter, blauen Farbe überzogen und
durch Sonne, Wind und Regen in die schönste
Harmonie hineingezaubert. Und wie nett
sind die Gärtchen dazwischen eingeteilt und
bepflanzt; alle möglichen Gatter und Zäune
begrenzen sie. Pfädlein von gelben Klin-
kerchen führen hindurch. Der Baumwuchs
ist hier außerhalb des Polders etwas reich-
licher. Obstbäume fehlen nicht, die wunder-
baren Gestalten und das Silbergrün der Kopf-
weiden sind vorherrschend. Nun siehe da
eine Ausbuchtung des Kanals, eine Miniatur-
werft mit einer Torf- oder Mistbarke auf
Stapel —und über dem alles der wunderbare
Dunstkreis, die alles verklärende und abstim-
mende, auch die Schatten erhellende Atmo-
sphäre der feuchten Niederung. Maler
oder Skizzenzeichner, laß dich nieder wo du
willst, du findest deine Rechnung. Zum
Spaß magst du ein Rähmchen mitnehmen,
 
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