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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tepe, Alfred: Malerisch, [1]: Eine entwicklungsgeschichtliche Kunststudie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0197

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349

19LI. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

350

Bringen Plastik und Architektur wirkliche
Gegenstände hervor, faßbare, fühlbare, so stellt
uns die Malerei eine scheinbare Welt vor
Augen. Sie erkennt und macht erkenntlich
das Spiel von Licht und Schatten, sie ergründet
die Geheimnisse der Farben und Töne, trennt
die Fernen und Nähen. Sie zeigt uns, wie nur
durch die Gegensätze von Hell und Dunkel
die Formen dem Auge sich darstellen; sie
lehrt uns erst das bewußte Schauen und Be-
schauen. Wer sollte sie nicht lieben, die
Zauberin, die nicht allein die irdische Wirk-
lichkeit, sondern vorahnend auch die himm-
lische schildert, im sichtbaren auch das Un-
sichtbare er-
gründet. In
der Tat, sie
ist ein Got-
teskind und

verkündet
die unbe-
greiflich ho-
hen Werke.
Nicht allein
da, wo sie
heilige Ge-
stalten und
Geschichten
uns vorführt,
stimmt sie
zur Andacht;
auch wo sie
ins tausend-
fache Men-
schenleben
sich vertieft,
die Geheimnisse der Natur in der Ebene, im
Gebirge, in den Meereswellen wiedergibt, bildet
und erhebt sie den Sinn und die Seele.

Ich bin der glückliche Besitzer eines
großen niederländischen Stillebens. Was mich
daran erfreut, was ich daran bewundere?
Zunächst imponiert mir die unfehlbare Sicher-
heit der alten Meister, die in Komposition,
Zeichnung und Farbe sich als wahrhafte
Meister dokumentieren, ohne Pose und Prä-
tension; die aus dem Strom der Überlieferung
ihre Kunst schöpften und wiederum aus ihm
ihre Schüler tränkten. Seht da die Produkte
des Süß- und Salzwassers. Unten zieht sich
silbern und rosa ein Stör schräg durch das
Bild. Über seinem Schwanzende leuchtet eine
mächtige Salmschnitte; sie hängt an einem

Abb. 3. Kortenhoef.

Brett, unter einem mit Austern und Muscheln
überfüllten Napf. Unter der Stördiagonale
zeigt ein Taschenkrebs seine fabelhafte For-
mation. Die rechte Ecke füllt ein reiches
Fischgewimmel mit einem Schellfisch in
meisterhafter Verkürzung; vor dem erwähnten
Brett hängen als vertikale Lichtstreifen noch
zwei silberhelle rotflossige Fischgestalten her-
unter. Rechts hoch an einem Eisengürtel prangen
die Ergebnisse der Feld- und Wasserjagd:
Hasen und Kaninchen in ihrem Haargewand,
Feldhuhn und Ente in ihrem Federschmuck.
ÜberdemStör, zwischen Wasser-und Landbeute,
sind die Früchte der Erde hineingruppiert:

Trauben,
Äpfel, Bir-
nen, Pflau-
men, Me-
lonen.
Warum ver-
weile ich bei
diesen Ein-
zelheiten ?
Es gibt viele,
die diesem
Zweig der
Naturmalerei
keinen Ge-
schmack ab-
gewinnen
können und
sie mit einer
gewissen Ge-
ringschät-
zung be-
trachten.

Wohl führt der Anblick lieblicher Heiligen und
biblischer Szenen die Seelen auf direktestem
Wege ins Metaphysische; die Landschaft ruft
im Herzen die Sehnsucht wach nach lieblichen
Gefilden und bläulich schimmernden Fernen.
Aber beschau ich im einzelnen den Reichtum
der Natur, die Mannigfaltigkeit ihrer Gebilde,
die wunderbare Zweckmäßigkeit und Schönheit
ihrer Hervorbringungen, so leuchtet mir auch
da die Unerschöpflichkeit der schaffenden, all-
mächtigen und allweisen Idee entgegen. Gott
wird in seinen Werken geschaut und erkannt.
Es lebe also die Malerei jeder Art in allen
ihren stolzen, naturgemäßen, freudigen, Gott
ehrenden, Menschenaug' und Menschenherz
erfreuenden Werken. (Fortsetzung folgt.)

Düsseldorf. Alfred Tepe.
 
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