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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tepe, Alfred: Malerisch, [2]: Eine entwicklungsgeschichtliche Kunststudie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0205

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1911. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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flüssig geworden. Hohe und breite Fenster
haben ihren Platz eingenommen, Lichtströme
durchfluten den Raum und lassen ihn kaum
als von der Außenwelt abgeschlossen erscheinen.
Es war aber nicht die Absicht des Erbauers,
den weißen, ungebändigten Strahl mit seinen
Formen und Linien spielen zu lassen. Er
ruft seinen Malerfreund herbei und spricht zu
ihm: Du Meister der Konturen und Figuren,
Verteiler von Licht und Schatten, Handhaber
der Urfarben und ihrer Mischungen, siehe,
andere Bedürfnisse, andere Aufgaben treten
an dich heran und fordern Befriedigung und
Lösung. Nicht die starre Mauer mehr sollst
du beleben und zieren; das lebendige, strah-
lende Licht sollst du zähmen und leiten, zum
farbenprächtigen, raumbegrenzenden Teppich
die Lichtfläche umgestalten. Nach denselben
Gesetzen und Prinzipien, deren gewissen-
hafte Befolgung dir früher den Preis der
Monumentalmalerei gesichert haben, mit allen
dir gegebenen Kräften und Talenten, mögest
du die neue große Aufgabe bewältigen. Ob
du die edele Menschengestalt, die Wunder
der Pflanzenwelt, geometrische oder architekto-
nische Motive verwendest, immer wirst du
den Blick aufs Ganze richten, immer den
Endzweck im Auge behalten, den harmonischen
Zusammenklang der Künste.

Und ist dir die neue Aufgabe gelungen,
hast du für das ungewohnte Material, das
glitzernde Glas, die richtige Technik gefunden,
hast du die Hindernisse besiegt, welche kon-
struktive Notwendigkeiten mit ihren Eintei-
lungen der Komposition deiner Figuren und
Szenen entgegensetzen, hast du deinen Weg
gefunden durch unbekannte Gegenden und
bist glücklich gelandet nach der Fahrt durch
unerforschte Seen, so freuen wir uns zusammen
der neuen Errungenschaft. Doch, indem wir
Arm in Arm unseren frohen, zufriedenen Rund-
gang machen, kommen wir zu der Entdeckung,
daß wir noch lange nicht fertig sind und deiner,
mein Freund, noch Arbeit in Fülle harrt.

Wer A sagt, muß auch B sagen. Zur
Balltoilette passen keine Holzschuhe, und mit
farbiger Fensterglorie steht der primitive
Mauerverputz in armseligem Kontrast. Also
heran mit Ocker und Smalte, mit jedem, dem
Mineralreich abgewonnenen Rot, Grün oder
Schwarz. Töne und Tinten mögen die
Flächen veredelen, Ornamente die Leibungen
schmücken. Blumen, Ranken und Putten die

Gewölbe beleben, kräftige Farben und Linien
die konstruktiven, die tragenden und getra-
genen Glieder noch mehr betonen und her-
vorheben. Zur Herstellung der so schwierigen
Harmonie mag mäßiges Blattgold unschätzbare
Hilfe leisten.

Was der starke Architekt gut gemacht
hat, kann der Dekorationsmaler vermöbeln,
und umgekehrt, den Schwachheiten des
schwachen kann seine Kunst noch Leben
und Reiz verleihen. Als Kunstwerke also,
und keineswegs als geringe, dürfen wir die
wohlgelungenen Leistungen der Dekorations-
malerei einschätzen. — Aber das Maleraug'
blickt umher, und das Malerherz ist nicht ganz
zufrieden. Das dem Bauwerk dienende, den
Totaleffekt erhöhende und erhebende, das
Dekorative in Ehren; aber gönnt mir der
Gotiker keine Stelle, keine Flächen, wo ich,
weniger gebunden, meinen Gedanken und
Gefühlen mich hingeben kann ? Keinen Platz,
wo ich unbehindert durch Pfosten, Maßwerk
und Sturmeisen Figuren und Historien grup-
pieren und entwickeln darf? Nun, es gibt
alte gotische Kirchen genug, deren Flächenteile,
Gewölbe sogar, ausgedehnte Bilderzyklen auf-
weisen , und wo sich in alten oder neuen
Kirchen, was häufig der Fall ist, große fenster-
lose Wandflächen vorfinden, da kann es nur
des Baumeisters Wunsch sein, diese leeren
Felder von geschickter oder gar berühmter
Hand ausgefüllt zu sehen. Glasmaler, Deko-
rationsmaler, Freskomaler, ihr seid dem
Gotiker so willkommen, so unentbehrlich als
seinen sämtlichen Kollegen anderer Stilarten,
nur verlangt er, daß ihr seine Hausordnung,
seine berechtigten Eigentümlichkeiten respek-
tiert und ihn nicht als den Hausknecht, son-
dern als den Hausherrn behandelt.

Hat der Maler der hohen, strengen Monu-
mentalkunst sich hingegeben, und mächtige
Kartons gezeichnet, kam er in Gefahr vom
Gerüste zu fallen, ist ihm zum Bewußtsein
gekommen, daß seine Gebilde noch unzer-
trennbarer der Architektur einverleibt sind als
die Werke des Stein- und Bildhauers, so mag
er sich leicht in die stille Sicherheit seines
Ateliers und nach mehr ungebundener Tätig-
keit zurücksehnen. Stellt sich denn aber die
Gotik solchem Verlangen entgegen ? Hat sie
nicht vielmehr in ihren Flügelaltären dem
Atelierbild einen Ehrenplatz angewiesen ?
War sie es nicht selbst, welche den starren
 
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