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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tepe, Alfred: Malerisch, [2]: Eine entwicklungsgeschichtliche Kunststudie
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307

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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teten mir Schinkels Werke, das alte Museum,
das Schauspielhaus entgegen; da waren in den
akademischen Zeichensälen attische Tempel-
modelle in kleinem Maßstab und ihre Teile
und Ornamente in Naturgröße aufgestellt;
da verkündete und erklärte Bötticher die
Tektonik der Hellenen, die Lehre von der
unvergleichlichen klassischen Kunst, welche
alles Vor- und Nachherige als minderwertig
und des Studiums kaum würdig erscheinen
ließ. Willig erkannte ich die antike Herrlich-
keit und ihre verständnisvolle Auffassung und
Anwendung an den Schinkelschen Monu-
mentalbauten. Die vollendete Harmonie, die
imposante Einfachkeit und Ruhe konnten
nicht anders als klärend, als Geschmack und
Augen bildend, auf die Studierenden wirken.

Aber meinen speziellen Zwecken und
Zielen entsprach dieses allgemeine Bildungs-
studium nur zum Teil. Das in Berlin noch
ignorierte und abgewiesene Mittelalter schien
mir höchster Beachtung und eingehender
Untersuchung wert. Ich wollte mich zuwenden
der in anderen Gegenden schon vielfach ge-
übten, sozusagen neuentdeckten gotischen
Bauweise, und mich besonders auf den Kirchen-
bau verlegen. Ich war also genötigt, den
Autodidakten zu spielen, und schaffte mir
Hoffstadts Gotisches ABC, Kallenbach und
Schmidt, Ungewitters Lehrbuch und zuletzt
Violett le Duc an und vertiefte mich in diese
Antipoden der Berliner Bauorakel. Daneben
zogen mich die Museen so sehr in ihren
Bann, daß ich, Kunstgeschichte studierend,
nach alten Marmortorsen oder Gipsabgüssen
zeichnend, fast täglich mehrere Stunden dort
verweilte und der Bauakademie mehr als
wünschenswert den Rücken zukehrte. Dies
war mir freilich unbenommen, da ich als
Ausländer königlicher Bauführer und Bau-
meister weder werden konnte noch wollte.
Ungehindert durfte ich studieren, was mir
ersprießlich erschien, ohne auf Examina und
Examinatoren Rücksicht nehmen zu müssen.

Die Nichtachtung, ja Geringschätzung der
Akademien, namentlich der orthodoxklassigen
Berliner, vergalten nun die Anhänger der
Reichensperger, Friedrich Schmidt und Vinzenz
Statz damit, daß sie selbige Akademien über-
haupt für überflüssig erklärten. Nicht ganz
mit Unrecht, ganz mit Recht aber ebenso-
wenig. — Es sollte mit der neuerweckten
Bauweise auch die alte Art der Ausbildung

wieder eingeführt werden: Lehrlings-, Gesellen-
und Meistererziehung in Werkstätten, Bau-
hütten, bei namhaften Altmeistern. — Man
vergaß, daß die alten Handwerks- und Kunst-
häupter im Vollbesitz der Tradition, des
Gesamtwissens ihrer Zeit und ihres Faches
waren und dabei verpflichtet, den von den
Vorfahren überkommenen Schatz getreulich
an die Nachfolger weiterzugeben. — Meister
in diesem Sinne hatten wir nicht und konnten
wir nicht haben. Wer keinen Schatz geerbt
hat, kann ihn nicht weiter vererben.

Der jetzige Architekt hat keine Schüler,
sondern nur Gehilfen. Seine eigene Bildung
ist eine private, persönliche, beruhend auf
individueller Liebhaberei und eklektischem
Geschmack. —- Nützliches und Nötiges ist
ja auf modernen Baubureaus, Werkstätten,
Baustellen noch in Fülle zu erlernen. Aber
das scheinbar Unnütze, Überflüssige, d. h. nicht
direkt technisch Verwendbare, will und muß
auch beachtet und erfaßt werden. Der Mangel
an weiter Umschau, an allgemeiner Wissens-
und Kunstübersicht wird sonst gerade den Besten
und Talentvollsten schmerzlich zum Bewußtsein
kommen. Stellen wir einen Vergleich an.

Ein geweckter Küsterkopf, in dessen Hör-
werkzeuge zahllose Predigten der Herren
Pastöre und Kapläne eingeklungen und ge-
drungen sind, möchte imstande sein, von der
Kanzel eine passabele Rede zu den erstaunten
Zuhörern herabströmen zu lassen. Aber er
brächte doch nur Aufgeschnapptes, Einzelnes,
Unzusammenhängendes, weil die Grundlage
fehlt, die Wurzel, die unversiegbare Quelle
allgemeiner, höherer Vorbildung.

Nein, die Akademien sind in der Jetztzeit
nicht ganz entbehrlich. Sie waren es selbst
dann nicht, als sie der mittelalterlichen Kunst
noch feindlich gegenüberstanden. Es schadet
dem Gotiker nicht, bei dem Wirrwarr und
Durcheinander der Formen und Perioden,
die ihn umdrängen, den hundert Büchern und
tausend Bildern, die ihm vorgelegt werden,
wenn ihm als Jugenderinnerung ein antiker
Tempel, sonnenbestrahlt in hehrer Einfach-
keit, vorschwebt. Wenn auch unter günstigen
Umständen privates Studium das Akademische
ersetzen und übertreffen kann, nur zu leicht
bleibt der zum Baumeister sich selbst avan-
cierende Bureauzeichner oder Handwerks-
meister auf der erwähnten Küsterstufe stehen.
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