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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Meier, Burkhard: Eine Madonna als Abraham
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0211

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375

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

376

Eine Madonna als Abraham.

(Mit Abbildung.)

n Hochelten (Kreis Rees) befindet
sich ein Bildwerk, „Abraham als
Seelensammler" benannt. Ich

I lernte es letzthin aus einer Auf-
nahme von Anselm Schmitz (Emil Hermann
in Godesberg) kennen und bilde es hier da-
nach ab. Es ist übrigens auch publiziert in
den Baudenkmälern des Kreises Rees, be-
arbeitet von Paul Clemen. Der Beschreibung
in diesem Werk entnehme ich, daß die Gruppe
aus Stein besteht,
1,05 m hoch und roh
überschmiert ist, die
beiden Köpfe aber
ganz überarbeitet sind.
Die Qualität ist sehr
gering, besonders im
Vergleich zu Werken
derselben Zeit und
derselben Gegend, und
diese geringe Qualität
würde dem Stück auch
nie zu der Ehre ver-
holfen haben, in dieser
Zeitschrift besprochen
zu werden. Weshalb
es doch geschieht, wird
aus dem folgenden
ersichtlich werden.
Über die Datierung
ist kaum zu streiten,
XII. Jahrh. Die
strenge, fast bewe-
gungslose Frontalität,
die Gewandung, die starr am plumpen Körper
haftet, die Angabe der Falten durch einen
Grat zwischen zwei Furchen sprechen etwa
für die Mitte des Jahrhunderts, immerhin in
den Gewandsäumen und einigen Falten bei
dem Kinde sind Andeutungen plastischeren
Empfindens vorhanden, die eher auf ein späteres,
aber zurückgebliebenes, in Roheit versunkenes
Werk schließen lassen.

Abraham als Seelensammler! In diesem
Falle erscheint sein Erfolg gering — nur eine
Seele! — In den nicht ganz seltenen Dar-
stellungen des Mittelalters hält er stets mehrere
Seelen in seinem Schoß. Auf dem Tympanum
eines romanischen Portales in Ainau (Ober-
bayern), dessen Photographie mir gerade zur
Hand ist, hält er vier Seelchen in einem Tuch.

Ich glaube, die Bezeichnung des Bildwerkes
ist falsch. Auf den richtigen Weg führt eine
genauere Betrachtung der Köpfe. Der Abraham
hat ein richtiges Nußknackergesicht: ein großer,
vierschrötiger Kopf mit tiefliegenden, starr ge-
radeausblickenden Augen, mächtigem Schnauz-
bart, eine Fliege auf dem Kinn, dessen Rand
bekränzt wird von einem schön geringelten
Bart. Das Haupthaar, über der Stirn spärlich,
fällt voller über die Ohren herab und endigt
in zwei stattlichen,
schön gerollten Vo-
luten. Die Stirn ist
hölzern, aber die
Wangen und die
Augenpartie sind ganz
gut und mit leben-
diger Oberflächen-
bewegung modelliert.
Es ist eben gar kein
romanischer Kopf,
sondern ein barocker,
etwa aus dem Ende
des XVII. Jahrh. Gar
nicht übel ist er in
seiner gewollten Starr-
heit dem romanischen
Körper angepaßt, der
so plump und breit-
beinig auf dem Sessel
lastet. Den Kopf des
Kindes ebenfalls als
barock zu bestimmen,
fällt noch leichter; er
paßt in seinem lebhaften Emporblicken schlecht
zum starren Körper, der so wenig überzeugend
zwischen den Knien Abrahams sitzt und
seinen plumpen Händen zu entgleiten scheint.
Also wir dürfen annehmen, daß in den
Stürmen des XVII. Jahrh. die Köpfe ab-
geschlagen wurden. Würden wir das Werk
ebenso ergänzen wie rJer barocke Dorfkünstler,
der aus dem breitbeinigen, männerhaften Sitz
auf ein männliches Wesen schloß? Ich ge-
wiß nicht, denn ich glaube, daß wir eine
Madonna mit Kind vor uns haben, in dem
byzantinischen frontalen Typus, der im XII.
Jahrh. weit verbreitet war und mit zahlreichen
Werken byzantinischer, italienischer, franzö-
sischer und deutscher Kunst zu belegen ist.
Münster i. W. Burkhard Meier.
 
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