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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Die neueröffnete "Sammlung Clemens" in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0067

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56

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 4

Außerordentlich lehrreich ist eine Gegenüber-
stellung des Figürchens mit der Kölner Großplastik,
die Beitz Heft 3 bespricht, die neuerdings zu erwer-
ben das Schnütgen-Museum das seltene Glück gehabt
hat. Mit ihr hält an Kraft und Innigkeit die Figur
der Sammlung Clemens den Vergleich allerdings
nicht aus. Sie steht noch völlig im Dienste der
Architektur und weitab von der Ende des XIV. Jahrh.
sich vordrängenden Gestaltungsart der Kleinplastiken.
Bei ihr ist alles feinste Berechnung, vor allem die
wunderbare Kompositionshnie und die Betonung der
Dreidimensionahtät, die verblüffend geschickt aus
dem einen Baumstamm herausgeholt ist. Bei ihr ist
im Gegensatz zu der Figur der Sammlung Clemens
die Ausbalancierung eine vollkommene.

Das Motiv des Sichvorbeugens des Christus-
kindes kehrt in ganz ähnlicher Weise wieder bei
einer kölnischen Madonna des Suermondt-Museums
in Aachen1. Bei dieser Figur tritt ein Motiv hinzu,
das wir bei der dritten Madonna der Sammlung
Clemens wiederfinden :die liebenswürdige, fast kokette
Neigung des Kopfes der Madonna zum Christus-
kinde hin (Abb. 3).

Diese nur 19 cm hohe aus Buchsbaumholz ge-
schnitzte Figur, in der Aufstellung der Sammlung

als „schwäbisch" bezeichnet, dürfte dem mittelrheinischen Kunstkreise um 1400 bis
1420 angehören. Der genrehafte Zug hat auch die Madonna befallen, die in den
beiden vorher genannten Figuren ihre reservierte Haltung mehr oder minder beibe-
halten hat. Sie ist völlig Mutter geworden und spielt mit dem nun auch ganz unbe-
kleideten Christuskinde. Der Naturalismus ist hier voll bei der Arbeit; das Gewand ist
Selbstzweck geworden, es dient nicht allein zur Verhüllung und Betonung des Körpers
und seiner Bewegungen, es ist seiner selbst wegen als Stoffmasse behandelt und
liebevollst durchgearbeitet. Die Kompositionshnie weist eine Eigentümlichkeit auf,
die aus böhmischen Kunsttraditionen ihre Erklärung finden mag und am Mittel-
rhein besonders oft, vereinzelt auch, vom Mittelrhein importiert, in Köln auftritt:
die trichterförmige Gestaltung der unteren Hälfte der Figur. Gleiche Anordnung
weist vor allem die klassisch schöne Großmadonna in Mana-Lyskirchen zu Köln
auf. Wir stehen sichtlich unmittelbar neben Stephan Lochners Madonnen; nur ein
Schritt, und seine Bilder haben ihre Berechtigung. Es ist interessant zu beobachten,
wie neben Jan van Eyck auch die rheinischen Künstler fast zur gleichen Zeit dem
idealistischen Naturalismus zuneigen, sichtlich ohne Zusammenhang und greifbare
Beeinflussung. Es war dieser Naturalismus, der den Ausschnitt aus der Natur
letzten Endes seiner selbst wegen zur Darstellung bringt, ein Zeichen der Zeit.

Man kann nicht anders, als auch an dieser Stelle dem hochherzigen Geschenk-
geber von Herzen danken für sein großzügiges Geschenk an die Allgemeinheit. Witte.

1 Schweitzer, H., „Die Skulpturensammlung des städtischen Suermondt-Museums in
Aachen", Bd. I. Tafel VI. I.

Abb. 3. Mittelrhein.

1. Viertel des XV. lahrh.
 
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