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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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62

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 4

men gerungen, ihnen sich schließlich beugte,
ist er der Große geworden.

Auch aus Hartlaubs glänzendem Buche
türmt sich die eine Frage auf: Genügt für
die kommenden Zeiten der theosophische
Mystizismus mit seinem Mangel an Positi-
vierung, mit seiner Überfülle an Dilettantis-
mus, oder wird die Religion der Offenbarung
das Zepter führen? Mit der Beantwortung
dieser Frage fällt und steht schließlich Hart-
laubs Deduktion. Es verschlägt letzten Endes
nicht viel, ob ich Steiners Theosophie oder
Kierkegaards Interpretation von Christus und
seiner Bedeutung folge, nur darauf
kommt es an, ob ich in Christus den
wahrhaftigen Gottessohn oder den „immer
Gegenwärtigen", den großen Pan der Welt-
geschichte sehe, von dem nicht viel mehr
übrig bleibt als das „Chnstuserlebnis" (S. 19).
Es genügt dem Katholiken nicht, die Wun-
der usf. des Christuslebens einfachhin in
ihren kosmischen Grundlagen gefestigt zu
sehen, ihm ist Christus Gott, ihm sind auch
die Unterschiede zwischen Christus und
anderen „Helfern" anderer Religionen nicht
einfach graduelle, sondern essentielle. Damit
muß auch Hartlaubs Satz fallen: „In der
Zukunft erschauen wir eine auf Freiheit ge-
gründete, künstlerische und wissenschaftliche
Weltanschauung, welche aus sich ge-
bärenwerden, was sie anbeten."
Zum Pantheismus führt die Anschauung, daß
der Künstler von heute sich als Schaffender
zur Außenwelt so verhalte, „als beginne er
Göttliches im eigenen, selbstherrlichen Ich
zu entdecken, im Ich nicht als irdischer „sub-
jektiver" Per.ion, sondern als übersinnlichem,
wahrhaft „unbedingtem" Wesenskern seines
Selbstes" (S. 23). Dem Katholiken sind die
Ereignisse aus Jesu Leben auch mehr als
unzerstörbare religiöse Symbole. Kurz können
wir es sagen: Dem theosophischen Mystizis-
mus steht der absolute Positivismus des
Katholiken gegenüber und — begründet eine
eigene religiöse Kunst. Das erkennt gewiß
auch Hartlaub an, sobald ihm die Tatsäch-
hchkeit des Positivismus erwiesen sein wird;
er glaubt einzig, daran nicht glauben zu
können, und mit diesem Glauben steht er
ja heute nicht allein da.

Ich fürchte fast, den Wert der Hart-
laubochen Deduktionen abschwächen zu

können durch diese Hervorkehrung der Ge-
gensätze; es handelt sich für mich allein
darum, das Apodiktische abzuschwächen bzw.
zu streichen, das derartige Ausführungen
leicht in weitere Kreise tragen können. Daß
sich der Protestant überhaupt nicht oder
doch nur sehr schwer die Möglichkeit eines
positiven Offenbarungsglaubens vorstellen
kann, ist mir dabei vollkommen verständlich.

Ich weiß nicht, ob einer ernster, tiefer
und trotz der etwas geschraubten und philo-
sophisch verklausulierten Sprache klarer über
den Gegenstand schreiben kann wie Hartlaub.
Er hängt mit ganzer Seele an seinem Gegen-
stand, wendet ihn hin und wendet ihn her,
operiert mit Vergleichen aus alter und aus
neuer Kunst und — das ist so erfrischend
— er sieht in prachtvollem Optimismus die
Bahn frei für die Kunst unserer Zeit. Aber
auch da müssen wir an dieser Stelle den
Unkenruf ertönen lassen: Was als Kunstwerk
vielleicht groß, vielleicht erhaben ist, das ist
trotz Behandlung eines religiösen Themas
noch lange nicht religiöse Kunst; pardon!
für den Katholiken nicht, selbst nicht, wenn
es von Nolde stammt. Aber müssen wir
nicht letzten Endes alle warten, bis der große
Führer kommt, der aus engster persön-
licher Verbindung mit Gott, dem Urgründe
aller echten Kunst, die divinatonsche Gewalt
holt, die zur Führerrolle die Eignung mit-
bringt? Der ganze Künstler mit ganzer
Seele gehört dazu. Wann wird die Religion
diese sieghafte Gewalt ausüben? Dann erst
bekommen wir d i e religiöse Kunst unserer
Tage.

Keiner, dem Wohl und Wehe der reli-
giösen Kunst am Herzen hegt, zögere,
Hartlaubs prachtvolles Werk durchzuarbeiten ;
diese Kunst wird ihm lieber und wertvoller,
steht größer und erhabener vor ihm als je.
Nirgendwo ist klarer und eindrucksvoller die
Möglichkeit und der Weg religiöser Kunst
alter wie neuer Zeit herausgearbeitet worden
wie gerade hier. Ich wüßte nicht, daß ich
je einem Buche freudiger und mit mehr Be-
wunderung mein Interesse und meine Liebe
selbst entgegengebracht hätte als diesem, trotz-
dem es mir nicht den richtigen Weg zu
zeigen scheint. Es gehört in die Bücherei
jedes ernsten Theologen und kunstsinnigen
Laien. Witte.


 
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