Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

DOI Artikel:
Witte, Fritz: Mystik und Kreuzesbild um 1300
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0131

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
118

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 9/10

wir sehen in der Tragik der Verfassung des Erlöserleibes nicht mehr und
nicht weniger als einen intuitiv künstlerisch gesteigerten Bericht des Evange-
listen, gesteigert im Ausdruck, um zu fassen, um der häßlichen Wirklich-
keit soweit nötig entrückt zu werden.

Suso läßt den Diener Gottes so beten: „Herr ... darum begehre ich,
daß Du mir den Hort Deines Leidens gänzlich aufschließest und mir noch
mehr davon sagst". Und die Ewige Weisheit gibt ihm die Antwort: „Da
ich an dem hohen Ast des Kreuzes für dich und alle Menschen aus un-
ergründlicher Liebe gehenkt ward, da ward meine ganze Gestalt gar jämmer-
lich verwandelt. Meine klaren Augen erloschen und verdrehten sich; ... denn
mein göttliches Haupt war von Schmerz und Ungemach geneigt. ... Siehe,
da verstarb meine schöne Gestalt so gänzlich, als ob ich ein Aussätziger
wäre und die schöne Weisheit nie gewesen wäre. ... Siehe, meine rechte
Hand war durchnagelt, meine linke durchschlagen, mein rechter Arm zer-
spannt, und mein linker gar schmerzhaft zerdehnt, mein rechter Fuß durch-
graben und mein linker greulich durchhauen. Ich hing in Ohnmacht und
großer Müdigkeit meiner göttlichen Gebeine. Alle meine zarten Glieder
wurden unbeweglich an den harten Galgen gepreßt. Mein heiliges Blut
nahm in seinen Nöten manchen wilden Ausbruch, davon mein sterbender
Leib verronnen und blutig war, was einen jämmerlichen Anblick gab. Sieh,
ein klägliches Ding: mein junger, schöner, blühender Leib begann sich zu
entfärben, zu verdorren und zu darben. Der müde zarte Rücken hatte
an dem rauhen Kreuz eine harte Lehne, mein schwerer Leib sank nieder;
mein ganzer Körper war über und über voll Wunden und Schmerzen —
und das alles trug mein liebendes Herz liebevoll"1.

An dieser Stelle wurde bereits einmal früher auf eine eng umrissene
Gruppe dieser realistisch aufgefaßten Kruzifixe hingewiesen und der Be-
weis versucht, sie zeitlich um die Wende des XIII. Jahrh. festzulegen2. Raht-
gens hat in den Kunstdenkmälern, wie viele vor ihm, den stärksten Typus,
zugleich auch den besten in Maria im Kapitol wieder der zweiten Hälfte
des XIV. Jahrh. zugeschrieben, und das trotz aller entgegenstehenden Be-
richte3. Büllingen4 überliefert uns eine Inschrift, die auf einer Tafel unter
dem Kreuze angebracht war: „anno domini MCCCIV in die b. Barbarae
virginis et martyris haec crux veneranda benedicta est a venerabih patre
d. Henrico Rodestonensi episcopo, auctontate decani et capituh Colon, gerente
vices in pontificahbus sede per mortem dm. Wichboldi Colon, archiepi.
vacante: Impositae vero sunt subscriptae reliquiae venerandae cruci prae-
fatae a praedicto dno. Henrico die suae consecratioms praenotato." Auch
die übrigen Chronisten (Gelenius und Hartzheim) geben das Datum 1304
kommentarlos wieder. Rahtgens weist auf die zur Genüge bekannte sogen.
Röttgensche Pieta und auf eine zweite in Andreas in Köln hin; zu unrecht:
die der früheren Sammlung Röttgen liegt zeitlich gar nicht bei der von

1 „Heinrich Seuses deutsche Schriften", (Eugen Diederichs Verlag), Bd. II. S. 12ff.

2 „Zeitschrift f. ehr. Kunst", XXIV. 357.

3 „Kunstdenkmäler der Rheinprovinz", Köln II, 1. S. 243.

4 „Chron. u. Darst." 181, S. 138, bei Rahtgens a.a.O., „Kunstdenkmäler der Rhein-
provinz", Köln I, 4. S. 63.


 
Annotationen