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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Heubach, Dittmar: Aus einer niederländischen Bilderhandschrift vom Anfang des XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0149

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136

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 9/10

an den Graudenzer Altar (H. Ehrenberg, Deutsche Malerei und Plastik von 1 350
bis 1 450, Abb. 58). Diese schlanke Gestalt hat beinahe noch den Stilcharakter
des XIV. Jahrh. Der Baldachin verwandelt die Schlafstätte für das Gefühl fast
in einen Thron. Der Blumenstrauß in der Vase am Boden sprießt gleichsam
in sinnbildlicher Bedeutung auf, wie hervorgerufen durch das Wort des Engels.
Darunter wird uns das Wirken der Messiasidee im Alten Testament
nahegebracht: in Gestalt zweier am Boden sitzenden, eifrig disputierenden
Propheten. Ähnliches begegnet im Braunschweiger Skizzenbuch (Burger,
Deutsche Malerei I, S. 87, Abb. 83), wo sich auch die langen Endkurvaturen
der Gewandsäume wiederfinden. Vgl. auch die Bronzestatuette eines hocken-
den Propheten des XIV. Jahrh

im

Louvre, abgebildet Gazette des Beaux-
Arts 1904, S. 194. Vielleicht sind die
Propheten durch das Hocken am Boden
im Prophetenspiel als Orientalen ge-
kennzeichnet worden. Den stumpf-
nasigen Typus des Jesajas kennen wir
vom Parament von Narbonne her und
aus den Miniaturen des Jean Pucelle.
Die Grisaille auf Abb. 3 vertritt
eine ganz andere Kunstrichtung. Die
drei Figuren der Muttergottes, Katha-
rina und Barbara sind zu einer festen
Komposition zusammengefügt: die drei
Scheitel und die Wolkenkette liegen
in einer Ellipse. Die Gesichter und
Hände sahen wir schon auf jenem Rund-
bild im Louvre (Dimier a. a. 0., S. 29),
das dem Jean Malwel2 zugeschrieben
wird. Ein genreartiger Zug überrascht
uns: die hl. Katharina setzt dem Christ-
kinde einHäubchen auf. Die plastischen
Hängefalten des Gewandes treten in
der burgundischen Bildnerei um 1400
auf (vgl. die Madonna von Thorn).

Von derselben Hand rührt auch die Zweifigurenkomposition auf Abb. 4
her: ein Gespräch zwischen Mönch und Nonne. Seiner Erscheinung glauben
wir schon in Dijon in der Kunst des Claus Slüter begegnet zu sein, die
Slütersche Breite und Derbheit ist nur wenig gemildert. Hübsch, wie die
schleifenden Gewandzipfel (Stoßfalten) am Boden aufeinander hinweisen,
wie Frage und Antwort; die Contraposte der beiden Gestalten sind ent-
gegengesetzt. Die Spruchbänder belehren uns über den Inhalt des Gespräches.
Er redet sie an: Met armoede loncurouwe goet ende fyn Muechdi winnen
d' ewige goods anscyn. Sie fragt: Berecht mi broeder grede urient Waermen

Abb. 4.

2 Eine Madonna des Jean Malwel ist abgebildet Gazette des Beaux-Arts 1904, S 465.
 
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