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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0059

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Die Regentschaftsbehörden betonten, dass die allgemeinstaatli-
chen Vorschriften über die Schulpflicht auch vollständig für die
mosaische Bevölkerung gelten. Gleichzeitig wurde daran erinnert,
dass „christliche Kinder, wie es sich von selbst versteht, keinesfalls
in jüdische Elementarschulen angenommen werden". Die Aufsicht
über dieses Schulwesen sollte mit der des christlichen Schulwesens
übereinstimmen, das bedeutete, dass die Schulen von den jüdischen
Gemeinden und ferner von entsprechenden örtlichen Ämtern beauf-
sichtigt wurden, die im Bedarfsfall alle nötigen Informationen bekom-
men sollten. Diese Informationen sollten später durch häufige
Besichtigungen verifiziert werden. Das Wichtigste war jedoch, dass
die Einrichtungs- und Unterhaltskosten der Schulen einzig die
mosaische Bürgergruppe tragen sollte, was sie aber nicht von der
Steuerzahlung für allgemeinstädtische Bildungsvorhaben befreite.
Gleichzeitig wurden die Vorstände und Ältesten der jüdischen
Gemeinden von den Regentschaftsbehörden ermahnt, Verwal-
tungszwang einzusetzen, falls die Eltern es verweigern sollten, ihre
Kinder in die Schule zu schicken. Man drohte sogar, in Notfällen
den unfolgsamen Eltern die bürgerlichen Rechte zu entziehen.
Es scheint, das die staatlichen Behörden entschlossen waren, das
Problem der jüdischen so genannten Winkelschulen nach ihrem
Wunsch zu lösen. Eine nähere Betrachtung des Dokuments zeigt
jedoch, dass ein Kompromiss und sogar das Einhalten eines gewis-
sen status cjuo ante möglich waren.Vor allem waren die Maßnahmen,
mit denen gedroht wurde, nicht ausführbar. Der Entzug der bür-
gerlichen Rechte hätte beträchtliche rechtliche Komplikationen zur
Folge gehabt, und das Auferlegen von zusätzlichen steuerartigen
Zwangsleistungen für Juden hälfe gegen die Rechtsmäßigkeit des
Staates verstoßen (genau so wurde die Frage von den Ältesten der
Breslauer jüdischen Gemeinde dargestellt). Offensichtlich waren
sich die Staatsbeamten dessen bewußt, daher zögerte man so lange
mit der Antwort (19. Oktober 1820) auf den dringlichen Brief des
Magistrats (19. Juli 1820) und erließ vorher noch eine Amtsver-
ordnung (29. Sptember 1820).
Die Durchführung der Verordnungsvorschriften wurde auf das
Prinzip beschränkt, jüdische Lehrer zu prüfen, die eine Lehrtätigkeit
ausführen wollten. Es wurden aber weiterhin Konzessionen für das
Lehren und die Einrichtung von privaten jüdischen Elementar-
schulen erteilt. In den folgenden Jahren bereitete Isaak Ascher
Francolm zahlreiche Beurteilungen der Lehrerkandidaten für die
Städtische Schul-Deputation vor, bei denen er sehr stark den Mangel
an Qualifikationen und nicht ausreichende Vorbereitung betonte19.
Die Wahl der beurteilenden Person scheint eine absichtliche Maß-
nahme zu einer wenigsten teilweisen Verbesserung der Situation
zu sein. Francolm gehörte zu den Reformatoren des jüdischen
Schulwesens. 1820, während seiner Tätigkeit als Religionlehrer in
Königsberg, führte er die „Konfirmation für Mädchen" ein. Dies
Stieß auf heftigen Widerstand und Francolm mußte seine Stelle auf-
geben. Er war auch für seine zahlreichen theoretischen Arbeiten
auf dem Gebiet der Pädagogik bekannt. 1827 wurde er zum Direktor
der Wilhelmsschule berufen, die unter seiner Leitung erneut eine
Blütezeit erlebte20.
Nach Meinung einiger Forscher stand die Schließung der
Wilhelmsschule im Jahre 1848 mit der fortschreitenden Assimilation


7. Breslau, Industrieschule für arme jüdische Mädchen, Archivfoto
([in:] L. Ziatkowski, Dzieje Zydow we Wroclawiu, Breslau 2000, S. 46)

und Akulturation der Breslauer Juden im Zusammenhang. Nach
der stürmischen Zeit der zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre
des 19. Jahrhunderts und der massenhaften Zuflut jüdischer Schüler
in christliche Schulen (sowohl private als auch öffentliche) trat in
den nächsten Jahren eine gewisse Stabilisierung ein. 1824 besuch-
ten nur 4% jüdischer Kinder christliche Schulen, zehn Jahre später -
- schon 41%, und 1847 - 70%21. Von diesem Zeitpunkt an gab es
eigentlich keine heftige Abkehr vom jüdischen Schulwesen, denn
als solche kann man das Senken der Durchschnittszahl der mosai-
schen Schüler an solchen Schulen in den nächsten zwanzig Jahren
um nur 4,1% schwerlich bezeichnen (von 23% in den Jahren 1844-
-1845 auf 18,9% in den Jahren 1861-1865)22. Eine ähnliche Tendenz
war übrigens in den meisten Regionen der preußischen Monarchie
zu beobachten.
Das Hauptproblem des jüdischen Schulwesens in Breslau bis
zur Hälfte des 19. Jahrhunderts war das niedrige Lehrniveau, dem
der Mangel an gut ausgebildeten Lehrkräften zugrunde lag. Dieser
Nachteil betraf nicht nur private Anstalten, sondern zum Teil auch
die renomierte Wilhelmsschule, in der man - nach Meinung der
Kontroleure aus der Städtischen Schul-Deputation - in den Fächern
Trigonometrie, Stereometrie, Algebra, Astronomie, Latein, Deutsch
und Geschichte kein zufriedenstellendes Niveau erreichte. Dies
erkannten auch die aufgeklärten Mitglieder der mosaischen Gesell-
schaft und wahrscheinlich aus diesem Grund beschloss Jonas
Fraenckel einen Teil seines großen Vermögens für eine Einrichtung
zur Heranbildung jüdischer Lehrer zu bestimmen. In seinem 1844
verfassten (und 1846 ergänzten) Testament bestimmte er sein
Vermögen zur Einrichtung oder finanziellen Unterstützung von
Institutionen, die die Mitglieder der jüdischen Gemeinde beförden
würden. Im Paragraph VIII/c entschied er „ von den sieben Achtel,
welche für die hiesigen jüdischen Glaubensgenossen bestimmt sind,
sollen nachstehende Institute errichtet werden: a/ ein Zufluchtshaus
[...], c/ ein Seminar zur Heranbildung von Rabbinern und Lehrern,
wobei ich es meinen Herren Curatoren anheim stelle, dies Institut
mit der hier bestehenden Wilhelms - Schule möglichst zu vereini-
gen"23. Als Fraenckel sein Testament verfasste, dachte er offen-
sichtlich an die Einrichtung einer relativ kleinen Schule von einem

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