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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0060

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lokalem Unfang. Die Stiftungskuratoren wurden vor ein großes
Dilemma gesetzt, das die Kriese im damaligen jüdischen Schulwesen
deutlich macht. Sie stellten sich nämlich folgende Fragen: „ Es sol-
len aber auch Lehrer in der Anstalt gebildet werden. Lehrer! Was für
Lehrer? Wo sind Lehrer Bedürfniss, was für Lehrer sind Bedürfniss?
Das ist die schwierigste Lrage, glaube ich. Sind in kleineren Städten,
auf dem Lande, spezifisch jüdische Lehrer noch Bedürfniss? Ist die
Bildung solcher spezifisch jüdischer Elementarlehrer wirklich noch
zeitgemäss?... Könnte man es in der That für einen Lortschritt hal-
ten, durch Kreierung spezifisch jüdischer Lehrer eine abgesonder-
te Erziehung und Allgemeinbildung der jüdischen Kinder der
kommenden Generation anzustreben?... Ist das Bedürfniss?
Bedürfniss für Juden ist doch überall nur das spezifisch jüdische,
das, was sie anderwo nicht haben können, Religionsunterricht etc.
Religionsunterricht und was daran hängt, ist aber überall Sache der
Rabbiner, soll wenigstens Sache der Rabbiner sein. Die alten Rabbiner,
wie sie sich noch in vielen kleinen Gemeinden Preussens, speciell
Schlesiens vorfinden, sind freilich zum Unterricht der heranwach-
senden Generation, völlig untauglich, daher das das bisherige
Bedürfnis solcher Gemeinden, neben Raw oder Dajjan noch einen
besonderen Religionslehrer zu halten, der natürlich äusserst kärg-
lich besoldet wird, imd um leben zu können, noch Kantor und
Schochet zu gleicher Zeit sein müsste. [...] Die alte Rabbiner ster-
ben nun aber allmählich aus, und es scheint mir daher nothwen-
dig eine Pflanzschule für junge, welche die zum Unterricht nöthi-
ge Befähigung besitzen"24.
Man sieht also deutlich, dass fortschrittliche jüdische Kreise
in Breslau schon gegen Ende der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts
getrennte jüdische Schulen als überflüssige Belastung betrachteten.
Man brauchte Rabbiner-Religionslehrer. Die Schule wurde als ein
weltlicher Ort angesehen, wo man keine an den Glauben gebun-
dene Kenntnisse vermittelt, daher konnte der Unterricht auch
in christlichen Einrichtungen stattfinden.
Dank solch einer Einstellung konnte das Jüdisch-Theolo-
gische Seminar „Fraenckelsche Stiftung" ins Leben gerufen wer-
den. Am 10 August 1854 wurde die Rabbinerabteilung und erst
zwei Jahre später, am 30. Oktober 1856, die Lehrerabteilung eröff-
net. Die Befürchtungen der Kuratoren, ob es zweckmäßig sei, eine
Schule zur Heranbildung der Lehrer zu eröffnen, erwiesen sich als
völlig begründet. Schon nach elf Jahren Tätigkeit wurde diese
Einrichtung geschlossen, da die dort herangebildeten Lehrer keine
genügenden Qualifikationen für die berufliche Tätigkeit erwarben
und das Interesse an dieser Bildungsform allmählich verschwand.
Der Arbeitsmarkt für „jüdische Lehrer", für Pädagogen also, die an
jüdischen Schulen ausschließlich jüdische Kinder unterrichteten,
schrumpfte nach imd nach2? In der elfjährigen Tätigkeit der Schule
hatte die Lehrerabteilung 37 Studenten. Im Durchschnitt wurden
dort über drei Kandidaten jährlich aufgenommen. In der Zeit des

höchsten Interesses begannen lediglich sieben bis acht Personen mit
dem Studium an dieser Abteilung und gegen Ende ihrer Tätigkeit
meldete sich nur ein Kandidat im Jahr an. Zur selben Zeit began-
nen, an der Rabbinerabteilung nie weniger als zehn Personen zu
studieren26.
Wie man sieht, begann, in den Jahren 1790-1850 das traditio-
nelle jüdische Schulwesen in Breslau zu verschwinden. Zunächst
hatte in der Stadt die Ausbildung nach dem Muster überwogen,
das Mordechai Eliav, ein Forscher der Erziehungsgeschichte der
Jugend wie folgt charakterisiert : „ Im allgemeinen schickten nur
die unbemittelten Eltern ihre Kinder in den Heder, während jene,
die es sich leisten konnten, vorzugsweise einen Hauslehrer anstel-
lten. Die Mehrzahl der Lehrer und Schüler, die sich der traditio-
nellen Erziehung zuwandten, stammten aus Polen, verfügten über
ein bestimmtes Wissen der religiösen Studien, doch fehlte ihnen
eine allgemeine und pädagogische Ausbildung. Selbst die
Privatlehrer, die sich mit der Vermittlung profaner Studien beschäf-
tigten, kamen hauptsächlich aus Polen bzw. der Provinz Posen; sie
hatten sich ihre germgfügigen Kenntnisse autodidaktisch angeeig-
net und zu einem Teil auch ihre traditionelle Lebensweise aufge-
geben"2'.
Die Gründung der Wilhelmsschule war ein Versuch, die Stellung
von Schule und Bildung im Leben der Juden neu zu definieren und
von dem Verständnis des Lehrens als religiösen Akt abzukehren.
Die Schule sollte die Lähigkeiten im Umgang und im Zusammenleben
mit der nicht-jüdischen Umwelt befördern. Diese Zielsetzung stieß
auf heftigen Widerstand konservativer jüdischer Gruppen, es erwies
sich jedoch, dass auch die fortschrittlichsten Kreise der jüdischen
Gesellschaft emen solchen Schultyp für ungeeignet hielten.
Infolgedessen hatte die Wilhelmsschule stets mit finanziellen
Problemen imd niedrigen Schülerzahlen zu tun, imd in Breslau
existierten weiterhin private jüdische Elementarschulen. Die staat-
lichen Behörden konnten den Juden keine radikalen Lösungen abnö-
tigen und sie zur Schließung ihrer Bildungsanstalten und der
Einrichtung neuer Schulen mit modernerem Lehrprogramm bewe-
gen, sie drängten jedoch auf die Einstellung von (ihrer Meinung
nach) besseren Lehrkräften. Dies und der Mentalitätswandel inner-
halb der Breslauer Juden führten im Laufe der Zeit zu einer Trennung
der Religionslehre von der schulischen Bildung. Die Folge dieser
Veränderungen war ein allmähliches Schwinden des separaten jüdi-
schen Schulwesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sogar
das Aufkeimen eines modernen Antisemitismus seit den achtziger
Jahren des 19. Jahrhunderts zog keine Wiederbelebung eines eige-
nen konfessionellen Schulwesens nach sich. Jüdische Schulen ent-
standen wieder in Breslau erst angesichts des wachsenden
Antisemitismus am Vorabend der Hitlerzeit.
Übersetzung aus dem Polnischen von Krystyna Kowalik-Rzepiak

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