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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0208

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Der Tempel der Atliena Polias oder das Erechtlieion zu itlien.

An der nordöstlichen Seite des kleinen Felsplateaus, auf dem sich die Akropolis oder die Burg Athens
erhol), sieht man die Reste eines Tempelgebäudes von massigem Umfang, das das Hauptheiligthum der
Athenaeer, der Tempel ihrer Schutzgöttin oder der Athena Polias war.

Die merkwürdigsten Erinnerungen der ältesten Geschichte dieses Volkes knüpfen sich an diesen
Tempel; er wurde an einer Stelle errichtet, die durch Naturmaale gezeichnet und durch die Mythe geheiligt
war: hier sollte der berühmte Streit um den göttlichen Besitz des Landes zwischen Poseidon und Athena
statt gefunden haben, bei dem der erstere einen Salzwasserquell durch einen Schlag seines Dreizacks aus
dem Felsboden entspringen Hess, Athena dagegen den Oelbaum pflanzte, der dafür vom Kekrops der Sieg
zuerkannt wurde. Athen erhielt von der Göttin den Namen, letztere dagegen als Beschützerin der Stadt
den Beinamen Polias oder Poliades und an dieser geheiligten Stätte, die durch den Salzwasserquell und
den Oelbaum bezeichnet war, ihren ersten Cultus und Tempel.

Auf diesem Felsplateau der Akropolis von Athen war aber auch der Sage nach die Wohnung des
Kekrops, des Gründers von Athen; die Akropolis war selber Anfang und Ursprung der Stadt und hiess
daher nach des Pausanias Bericht in ältester Zeit auch Polis d. i. Stadt. Hier wohnte auch der
Nachkomme des Kekrops Erechtheus, der Zögling der Athena und Lehrer ihres Cultus; derselbe soll
der Göttin zuerst einen Altar und ein Heiligthum errichtet haben, und des Kekrops Tochter Pandrosos,
die nicht den Frevel ihrer Schwestern wegen Enthüllung des ihnen von der Göttin übergebenen Geheim-
nisses theilte, wurde Athenas erste Priesterin. *) Die Form und Anordnung dieses ersten IJeiligthums
der Athena ist eben so unbekannt wie die Dauer seines Bestehens. Nur so viel lehrt uns die Geschichte,
dass ein von allen Phylen Attikas der Beschützerin Athena in ungewisser Zeit geweihter Tempel auf
dieser Stelle unversehrt bis zur Eroberung Athens durch die Perser im Jahre 4S0 v. Chr. bestand, bei
welcher die Akropolis von den Eroberern beraubt, zerstört und verbrannt wurde. Nach des Herodots
Bericht **) verbrannte auch damals die heilige Olive, die aber schon am anderen Tage wieder einen neuen
Schössling aus dem Wurzelstamme eine Elle lang getrieben hatte.

Vierzehn Monate nach diesem Unfall wurde Griechenland durch die von den vereinten Griechen
gewonnene Landschlacht bei Plataeae und durch den Seesieg bei Mykale auf immer von dem Einfall der
Perser befreit. Ein neues Athen erstand aus den Ruinen und die bedeutenden Reichthümer, die das Heer
des Xerxes zurückgelassen hatte, lieferten die ersten Mittel zu diesem Neubau. Ohne Zweifel werden
die Athenaeer bei dem Wiederbau ihrer Stadt auch das Heiligthum ihrer Schutzgöttin nicht vergessen
haben und entweder um diese Zeit oder einige Jahre später unter Perikles, der den Parthenon baute —
welches Gebäude im Vergleich mit dem Tempel der Polias doch nur von secundärer Wichtigkeit und
Heiligkeit, gleichsam nur ein Schatzhaus zur Aufnahme der der Athena dargebrachten Weihgeschenke
war — wird auch wohl der Neubau des Poliastempels begonnen haben.

Leider fehlen uns zur Feststellung dieses Punktes historische Nachrichten, nur so viel wissen wir,
dass der Bau zwanzig Jahre nach dem Tode des Perikles im Jahre 409 v. Chr. noch nicht ganz vollendet
und etwa bis zum Friese gekommen war. Wir lernen dies aus einer Inschrift auf einer Marmortafel, die
Dr. Chandler so glücklich war auf der Akropolis von Athen zu finden. Diese Inschrift giebt uns ein
von dem Vorstande des Tempelbaues aufgenommenes Verzeichniss der unter dem Archon Diokles, der
von 410 bis 409 an der Spitze Athens stand, gearbeiteten Baustücke und was an ihnen vollendet und
noch an ihnen unfertig war, und ob sie schon an Ort und Stelle des Baues gehoben oder noch unversetzt
am Boden lagen. Der Tempel wird uns zwar in dieser Inschrift nur als „der Tempel in der Stadt, in
welchem das alte Bild ist" bezeichnet, aber schon aus dieser Bezeichnung wie aus anderen näheren Be-

dass nur der Tempel der Athena Polias hier

Stimmungen in der Inschrift selber geht deutlich hervor
gemeint sein könne.

Eine andere Inschrift, die höchst wahrscheinlich ebenfalls auf diesen Bau bezüglich ist, wurde im
Jahre 1835 in einzelnen Stücken beim Abbruch der grossen Batterie, die sich vor den Propylaeen der
Akropolis von Athen befand, durch Prof. L. Ross entdeckt

Aus manchen Eigenthümlichkeiten der Schrift

*) Nach der Mythe wollte Atliena den Erichthonius nach seiner Gehurt, verbergen; sie legte ihn in ein Kästchen und
übergab dasselbe den drei Töchtern des Kekrops, Agraulos, Herse und Pandrosos mit dem Verbote es zu öffnen. Die
beiden ersteren konnten aber dem Verlangen ihrer Neugier nicht widerstehen und öffneten das Kästchen. Die Göttin
strafte sie für diesen Ungehorsam; Agraulos und Herse fielen in Wahnsinn und stürzten sich in ihrer Angst von den
Mauern der Akropolis hinab. Pandrosos aber, die dem Gebote der Göttin folgsam gewesen war, wurde von derselben zur
ersten Priesterin ihres Cultus erwählt.
**) Herodor. VIII. 53—55.

Denkmäler der Baukunst. CXXVFU. Lieferung

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