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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 23.1912

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Breuer, Robert: Ein Wettbewerb für Arbeitermöbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7710#0219

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INNEN-DEKORATION

207

EIN WETTBEWERB FÜR ARBEITER-MÖBEL.

Vor etwa zwei Jahren fanden sich in Berlin einige
Männer, die entschlossen waren, gegen das Arbeiter-
Schundmöbel des Abzahlungsgeschäftes endlich etwas
Positives zu tun. Die Mehrzahl dieser Männer gehörte
dem Arbeiterstande; sie hatten am eigenen Leibe er-
fahren, was es heißt, jene unsoliden, unzweckmäßigen,
mit törichtem Schmuck belasteten Möbel im Hause zu
haben. Nun wollten sie einmal sehen, ob es nicht möglich
wäre, die letzten Reste der Renaissancekrankheit, das
vom Bürgertum zum Proletariat geflüchtete und dabei
gänzlich verkommene Muschelmöbel, aus den Zimmern
der Leute, die ganz der modernen Welt gehören, zu ver-
drängen. Sie wollten versuchen, das, was dem Bürger-
tum bereits gelungen war, nun auch durch die Arbeiter
erringen zu lassen: eine Wohnung, eingerichtet aus dem
Bedürfnis der Benutzer; Möbel, deren jedes Stück eine
charakteristische Type ist. Es galt, das Vertikow mit
seinen Aufsätzen, das törichte Paneelsofa, wie überhaupt
den Uberfluß an Sitzmöbeln, die mit Sägespänen gepol-
stert sind, es galt, den Trödel an Zimmerschmuck und
schließlich die unnütze Verhängung der Fenster zu be-
seitigen. Die Männer wußten, daß der Kampf gegen den
alten Schlendrian und für eine neue Gewöhnung nicht
ganz leicht sein würde; sie organisierten sich und bilde-
ten eine Kommission.

Diese Kommission für vorbildliche Arbeiterwohnungen
im Berliner Gewerkschaftshaus kann heute auf mancherlei
Erfolge zurücksehen. Sie hat 1911 in dem Berliner Ge-
werkschaftshause (in dem täglich tausende von Arbeitern
ein- und ausgehen) die erste Musterwohnung gezeigt:

zwei Zimmer und Küche, die von Hermann Münchhausen
entworfen worden waren. Die schlichte Sachlichkeit, die
sympathische Ruhe und die freundliche, auch farbige
Gesamtstimmung der Einrichtung gefiel. Auch die Preise
(Wohnzimmer Mk. 392.—, Schlafzimmer Mk. 360.—,
Küche Mk. 140.—) wurden für erträglich geachtet, und
selbst das Kiefernholz nahm man willig. Es war immer-
hin ein gutes Zeichen für das Verständnis der Konsumen-
ten, daß sie auf das herrschaftliche Nußbaum verzichten
und die bescheidene Schönheit des verrufenen Kien
schätzen lernten. In kurzer Zeit wurden von diesen Mö-
beln für 30 000 Mark verkauft. Doch war das nicht das
Entscheidende. Was die Kommission letzten Sinnes an-
strebte und was den eingesessenen Möbelproduzenten
der mindesten Qualität so fatal war, hieß: Bewegung,
Aufrüttelung, Willensänderung. Wer in dieser Muster-
wohnung gewesen war und den kleinen Leitfaden, den
die Kommission drucken ließ, gelesen hatte, der wußte,
was er für seine Bedürfnisse verlangen und wie er den
Händler fragen mußte. Diese erste Musterwohnung war
Anschauungsunterricht, ein Katechismus sichtbar gewor-
dener Käuferregeln. Das gab Unruhe; das mehrte die
Schar der ernsthaft Interessierten. So wagte die Kom-
mission einen zweiten Feldzug, zugleich einen dritten.
Es sollte eine neue Type geschaffen und im März 1912
zur Ausstellung kommen. Sie sollte einen Teil der
Wünsche, die von den Konsumenten gegen die Münch-
hausenmöbel geäußert wurden, zu erfüllen versuchen.
Peter Behrens sollte das leisten. Von ihm, der macht-
volle Industriebauten aufrichtet und Glas, Eisen und Beton
 
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