DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
DOI Artikel:A., ...: Alt und neu
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0012
Klt unä neu.
Es ist erstaunlich, wie leicht wir Menschen dic Bcgrisse „alt und
„neu" mit krästigen Gcsühlen der Billigung oder der Äliszdilligung ver-
binden. Das; alt und neu an und sür sich nicht im Mindesten licsagt.
gut oder schlecht — wer gäde das nicht ohne das kürzeste Zaudern zu?
Es ist Gutes und Schlechtes zu jcdcr Zeit entstandcn, wie es heute ent-
steht — man schämt sich beinah, das zu sagen, so selbstverständlich, so
binsenbillig und so ganz unbestritten ist's wahr. Und doch! Piepen-
brinks Lenchen will einen neuen Hut haben aus gar keinem andern
Grunde, als weil ihr jetziger vom vorigen Jahr ist, und man doch was
.Altes" nicht tragen kann. Jhr Vater deckt sich Glasurziegcl auss
Hausdach, denn siehc, dic sehcn jahrzehntclang .wic neu" aus, und beim
Schwager im Laden bekommst du das schönsre Muster aus der vorigen Saison
nicht mehr, denn er hält was aus sich und sührt also nur „Nouveautäs".
Seine Frau dagcgen, deren Mai zwanzig Jahrc zurückliegt, kauft alt-
deutsche Mübel und zwar je liebcr, je „echtcr" sie aussehen, d. h. ;e
älter, ihr Bruder har Morgenstcrne und Hcllebarden (aus Zinkgus;) im
Nauchgemach. weil die Ritter einst so etwas brauchten, cin Vetter lcbt
gar zwischen wirklichcm alten Kram, und Onkel Alsred licst keine modernen
Bücher, meil sie neu sind, d. h. sür ihn von vornherein: weil sie nichts
taugen. Es ist nicht ganz leicht, sich da auszukcnncn. Aber von Piepcn-
brinks erstreckt sich die Konfusion über Doktors zu Professors hmüber
und selbst in die Kreise hincin, wo man doch aües weis;, ich meine bis
zu den Journalisten und Rezensentcn. Wolltc man von der öffentlichen
Welt, die sie vcrtrcten, eine Karikatur cntwersen, man dürfte noch heute
zur Nechten zeichnen den Chor dcrer „mit weißen oder gar keinen Haaren"
und zur Linken den Chor dercr mit sprossendcm Flaume, zur Nechten
aber kläng' es: das mögen wir nicht, denn cs ist ncu, und zur Linken.
das mögen wir nicht, denn es ist alt.
Wie gesagt, das würc ein Zerrbild: in Wirklichkeit sind die ganz
und gar reinen Formen der Schwärmerei sürs Ncue wie der fürs Alte
Kmistwart t- Gktoberbcft 190;
Es ist erstaunlich, wie leicht wir Menschen dic Bcgrisse „alt und
„neu" mit krästigen Gcsühlen der Billigung oder der Äliszdilligung ver-
binden. Das; alt und neu an und sür sich nicht im Mindesten licsagt.
gut oder schlecht — wer gäde das nicht ohne das kürzeste Zaudern zu?
Es ist Gutes und Schlechtes zu jcdcr Zeit entstandcn, wie es heute ent-
steht — man schämt sich beinah, das zu sagen, so selbstverständlich, so
binsenbillig und so ganz unbestritten ist's wahr. Und doch! Piepen-
brinks Lenchen will einen neuen Hut haben aus gar keinem andern
Grunde, als weil ihr jetziger vom vorigen Jahr ist, und man doch was
.Altes" nicht tragen kann. Jhr Vater deckt sich Glasurziegcl auss
Hausdach, denn siehc, dic sehcn jahrzehntclang .wic neu" aus, und beim
Schwager im Laden bekommst du das schönsre Muster aus der vorigen Saison
nicht mehr, denn er hält was aus sich und sührt also nur „Nouveautäs".
Seine Frau dagcgen, deren Mai zwanzig Jahrc zurückliegt, kauft alt-
deutsche Mübel und zwar je liebcr, je „echtcr" sie aussehen, d. h. ;e
älter, ihr Bruder har Morgenstcrne und Hcllebarden (aus Zinkgus;) im
Nauchgemach. weil die Ritter einst so etwas brauchten, cin Vetter lcbt
gar zwischen wirklichcm alten Kram, und Onkel Alsred licst keine modernen
Bücher, meil sie neu sind, d. h. sür ihn von vornherein: weil sie nichts
taugen. Es ist nicht ganz leicht, sich da auszukcnncn. Aber von Piepcn-
brinks erstreckt sich die Konfusion über Doktors zu Professors hmüber
und selbst in die Kreise hincin, wo man doch aües weis;, ich meine bis
zu den Journalisten und Rezensentcn. Wolltc man von der öffentlichen
Welt, die sie vcrtrcten, eine Karikatur cntwersen, man dürfte noch heute
zur Nechten zeichnen den Chor dcrer „mit weißen oder gar keinen Haaren"
und zur Linken den Chor dercr mit sprossendcm Flaume, zur Nechten
aber kläng' es: das mögen wir nicht, denn cs ist ncu, und zur Linken.
das mögen wir nicht, denn es ist alt.
Wie gesagt, das würc ein Zerrbild: in Wirklichkeit sind die ganz
und gar reinen Formen der Schwärmerei sürs Ncue wie der fürs Alte
Kmistwart t- Gktoberbcft 190;