Vitrine 1
Zur älteren und mittleren Steinzeit in Bayern
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kam es in
den bayerischen Höhlengebieten der fränkischen Alb zu er-
sten Untersuchungen, die den Nachweis des eiszeitlichen
Menschen zum Ziel hatten. Die Ergebnisse waren äußerst
bescheiden, stand man doch vor der kaum zu bewältigen-
den Aufgabe der umfassenden grabungstechnischen Doku-
mentation. Eine Gliederung des Fundgutes konnte aus die-
sem Grund auch nur schwer an dem lokal vorhandenen
Material durchgeführt werden, so daß man auf die im fund-
reichen Frankreich definierten Abfolgen zurückgreifen
mußte.
Die von H. Obermaier und F. Birkner eingeführte Stufenglie-
derung hat sich inzwischen sehr stark verändert, so daß
heute eine weit differenziertere Abfolge vorliegt.
Für den süddeutschen Raum können wir eine erste Bege-
hung durch den frühen Menschen (homo erectus) mit Sicher-
heit in der Mauerer Warmzeit, d.h. vor ca. 600000 Jahren,
nachweisen. Aus der folgenden Warmzeit, dem sog. Holstein-
Unterglazial, sind aus einer Travertinfundstelle bei Stutt-
gart/Bad Cannstatt zugerichtete Kernwerkzeuge und Ab-
schläge von geringer Größe festgestellt worden. Ebenfalls
in diesen Zeitabschnitt, möglicherweise jedoch in einen et-
was jüngeren, gehören die bisher ältesten in Bayern gefun-
denen Faustkeile, wie etwa der von Saal a. d. Donau bei
Kelheim oder von Rohrbach bei Neuburg a. d. Donau.
Eine chronologische Parallelisierung mit der altpaläolithi-
schen Stufe des französischen Acheuleen ist zu vertreten,
wenngleich eine Unterteilung nach den bisher spärlichen
Funden nicht vorgenommen werden kann.
Erste stratigraphisch faßbare Inventare sind aus der Höh-
lenruine Hunas bei Hersbruck bekannt geworden. Sie datie-
ren in die Endphase der vorletzten Eiszeit (Riss) und besit-
zen bereits im weitesten Sinne mittelpaläolithisches Geprä-
ge. Jüngst begonnene Neuuntersuchungen der Fundstelle
sollen nähere Aufschlüsse hierzu liefern.
Ebenfalls von dieser Lokalität, sowie vom Hohlen Stein bei
Schambach, stammen Steinwerkzeuge, die in die letzte
Zwischeneiszeit einzuordnen sind. Diese Fundensembles
lassen sich wegen ihres geringen Umfangs typologisch
nicht einwandfrei zuweisen. Doch scheinen sie in der tech-
nologischen Tradition des französischen Micoquien zu
stehen.
Aus der beginnenden letzten Eiszeit (ca. 75000 v. Chr.), dem
sog. Würm, sind dann erstmals eine Fülle von vorwiegend
Höhlenstationen bekannt geworden, die eine Fortsetzung
dieser Tradition bezeugen (z. B. Klausennische, Sesselfels-
grotte, Schulerloch, Hohler Stein bei Schambach, alle in der
Altmühlalb) (Abb. 58). Detaillierte wissenschaftliche Unter-
suchungen zur inneren Gliederung stehen allerdings noch
aus. Faustkeile, wie sie für das späte Altpaläolithikum ty-
pisch sind, haben in dem genannten Abschnitt keine Be-
deutung.
Die weitere Entwicklung des Mittelpaläolithikums während
der letzten Eiszeit ist durch eine Verschiebung der Anteile
von Kernwerkzeugen zu Abschlagwerkzeugen gekennzeich-
net. In diesem Zusammenhang steht auch die feststellbare
Präzisierung der Levallois-Technik. Neben den Abschlagge-
räten sind allerdings erneut Faustkeile vorhanden, die in
morphologischer Hinsicht an altpaläolithische Objekte er-
innern (Speckberg b. Nassenfels, Wellheimer Trockental)
(Abb. 7). Das Ende der mittelpaläolithischen Industrien, die
auch mit dem Menschentyp des Neanderthalers gleichge-
stellt werden, bildet die auffällige Blattspitzengruppe, die
wegen ihres dortigen konzentrierten Vorkommens auch Alt-
mühlfazies genannt wird.
Um 35000 v. Ghr. erscheint der anatomisch moderne
Mensch des Jungpaläolithikums, unser direkter eiszeitli-
cher Vorfahr, der in Bayern bisher an nur wenigen Lokalitä-
ten nachzuweisen war (Ofnethöhlen im Ries, Fischleithöhle
im Altmühltal, Irnsing bei Neustadt a. d. Donau). Seine
Steingerätekultur wird als Aurignacien bezeichnet und ist
durch einen hohen Anteil an Klingenwerkzeugen charakteri-
siert. Ähnlich verhält es sich mit der darauffolgenden Stufe,
dem Gravettien.
Eine bedeutende Station dieser Zeitstellung (ca. 25000 v.
Chr.) wurde in den Weinberghöhlen bei Mauern im Wellhei-
mer Trockental freigelegt. Auch nur an wenigen Stellen zu
belegen ist die Stufe des Magdalenien. Bildliche Darstel-
lungen von Tieren und stilisierte Frauenfiguren auf Elfen-
bein, Knochen und Steinplatten zeigen die Kunstfertigkeit
dieser letzten „Eiszeitjäger".
Von dieser Stufe an ist ein offensichtlich kontinuierlicher
Übergang zur archäologisch faßbaren Steingeräteindustrie
zu verfolgen, der im Mesolithikum der Nacheiszeit mündet.
Dabei kann eine flächige Verbreitung der letztgenannten
Kultur über ganz Bayern festgestellt werden, die wohl im
fünften vorchristlichen Jahrtausend mit dem sich ausbrei-
tenden Neolithikum endet. (ri)
7 Paläolithischer Faustkeil aus dem Wellheimer
Trockental, Lkr. Eichstätt. L. 11 cm.
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Zur älteren und mittleren Steinzeit in Bayern
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kam es in
den bayerischen Höhlengebieten der fränkischen Alb zu er-
sten Untersuchungen, die den Nachweis des eiszeitlichen
Menschen zum Ziel hatten. Die Ergebnisse waren äußerst
bescheiden, stand man doch vor der kaum zu bewältigen-
den Aufgabe der umfassenden grabungstechnischen Doku-
mentation. Eine Gliederung des Fundgutes konnte aus die-
sem Grund auch nur schwer an dem lokal vorhandenen
Material durchgeführt werden, so daß man auf die im fund-
reichen Frankreich definierten Abfolgen zurückgreifen
mußte.
Die von H. Obermaier und F. Birkner eingeführte Stufenglie-
derung hat sich inzwischen sehr stark verändert, so daß
heute eine weit differenziertere Abfolge vorliegt.
Für den süddeutschen Raum können wir eine erste Bege-
hung durch den frühen Menschen (homo erectus) mit Sicher-
heit in der Mauerer Warmzeit, d.h. vor ca. 600000 Jahren,
nachweisen. Aus der folgenden Warmzeit, dem sog. Holstein-
Unterglazial, sind aus einer Travertinfundstelle bei Stutt-
gart/Bad Cannstatt zugerichtete Kernwerkzeuge und Ab-
schläge von geringer Größe festgestellt worden. Ebenfalls
in diesen Zeitabschnitt, möglicherweise jedoch in einen et-
was jüngeren, gehören die bisher ältesten in Bayern gefun-
denen Faustkeile, wie etwa der von Saal a. d. Donau bei
Kelheim oder von Rohrbach bei Neuburg a. d. Donau.
Eine chronologische Parallelisierung mit der altpaläolithi-
schen Stufe des französischen Acheuleen ist zu vertreten,
wenngleich eine Unterteilung nach den bisher spärlichen
Funden nicht vorgenommen werden kann.
Erste stratigraphisch faßbare Inventare sind aus der Höh-
lenruine Hunas bei Hersbruck bekannt geworden. Sie datie-
ren in die Endphase der vorletzten Eiszeit (Riss) und besit-
zen bereits im weitesten Sinne mittelpaläolithisches Geprä-
ge. Jüngst begonnene Neuuntersuchungen der Fundstelle
sollen nähere Aufschlüsse hierzu liefern.
Ebenfalls von dieser Lokalität, sowie vom Hohlen Stein bei
Schambach, stammen Steinwerkzeuge, die in die letzte
Zwischeneiszeit einzuordnen sind. Diese Fundensembles
lassen sich wegen ihres geringen Umfangs typologisch
nicht einwandfrei zuweisen. Doch scheinen sie in der tech-
nologischen Tradition des französischen Micoquien zu
stehen.
Aus der beginnenden letzten Eiszeit (ca. 75000 v. Chr.), dem
sog. Würm, sind dann erstmals eine Fülle von vorwiegend
Höhlenstationen bekannt geworden, die eine Fortsetzung
dieser Tradition bezeugen (z. B. Klausennische, Sesselfels-
grotte, Schulerloch, Hohler Stein bei Schambach, alle in der
Altmühlalb) (Abb. 58). Detaillierte wissenschaftliche Unter-
suchungen zur inneren Gliederung stehen allerdings noch
aus. Faustkeile, wie sie für das späte Altpaläolithikum ty-
pisch sind, haben in dem genannten Abschnitt keine Be-
deutung.
Die weitere Entwicklung des Mittelpaläolithikums während
der letzten Eiszeit ist durch eine Verschiebung der Anteile
von Kernwerkzeugen zu Abschlagwerkzeugen gekennzeich-
net. In diesem Zusammenhang steht auch die feststellbare
Präzisierung der Levallois-Technik. Neben den Abschlagge-
räten sind allerdings erneut Faustkeile vorhanden, die in
morphologischer Hinsicht an altpaläolithische Objekte er-
innern (Speckberg b. Nassenfels, Wellheimer Trockental)
(Abb. 7). Das Ende der mittelpaläolithischen Industrien, die
auch mit dem Menschentyp des Neanderthalers gleichge-
stellt werden, bildet die auffällige Blattspitzengruppe, die
wegen ihres dortigen konzentrierten Vorkommens auch Alt-
mühlfazies genannt wird.
Um 35000 v. Ghr. erscheint der anatomisch moderne
Mensch des Jungpaläolithikums, unser direkter eiszeitli-
cher Vorfahr, der in Bayern bisher an nur wenigen Lokalitä-
ten nachzuweisen war (Ofnethöhlen im Ries, Fischleithöhle
im Altmühltal, Irnsing bei Neustadt a. d. Donau). Seine
Steingerätekultur wird als Aurignacien bezeichnet und ist
durch einen hohen Anteil an Klingenwerkzeugen charakteri-
siert. Ähnlich verhält es sich mit der darauffolgenden Stufe,
dem Gravettien.
Eine bedeutende Station dieser Zeitstellung (ca. 25000 v.
Chr.) wurde in den Weinberghöhlen bei Mauern im Wellhei-
mer Trockental freigelegt. Auch nur an wenigen Stellen zu
belegen ist die Stufe des Magdalenien. Bildliche Darstel-
lungen von Tieren und stilisierte Frauenfiguren auf Elfen-
bein, Knochen und Steinplatten zeigen die Kunstfertigkeit
dieser letzten „Eiszeitjäger".
Von dieser Stufe an ist ein offensichtlich kontinuierlicher
Übergang zur archäologisch faßbaren Steingeräteindustrie
zu verfolgen, der im Mesolithikum der Nacheiszeit mündet.
Dabei kann eine flächige Verbreitung der letztgenannten
Kultur über ganz Bayern festgestellt werden, die wohl im
fünften vorchristlichen Jahrtausend mit dem sich ausbrei-
tenden Neolithikum endet. (ri)
7 Paläolithischer Faustkeil aus dem Wellheimer
Trockental, Lkr. Eichstätt. L. 11 cm.
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