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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 3.1969

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Nr. 2
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Toran, Eduard: Die Avantgarden der bildenden Kunst und die Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.31181#0232

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Wenn wir also über die ,, Avantgarde-Kunst
und die Gegenwart" Erwägungen anstellen
sollen, wird es von grosser Wichtigkeit sein, sehr
konkret festzulegen, welchen Umkreis sozialer
und künstlerischer Probleme, Interessen und
welches Milieu wir im Sinne haben; denn auch
beim Stellen gleicher Fragen kann Uneinigkeit
herrschen.
Ich bitte Sie, mir gleich eine kleine Paraphrase
zn gestatten: ,,der Hungrige glaubt dem Satten
nicht" — und in der Problematik der Architektur
und der Milieugestaltung wirken auf das Ästhe-
tische auch solche Faktoren ausserästhetischer
Bereiche wie etwa, dass viele Leute nicht einmal
12 nF Wohnfläche für sich selbst haben, die auf
Grund eines Gesetzes in gewissen Relationen
irgendein Maximum bedeuten. Hier ist es schwer,
sich übereinstimmende ästhetische Kriterien und
Konventionen anzueignen, (in den Diskussionen
ausserästhetischer Abhandlungen der Räume und
Dinge, die uns umgeben), die man auf Flächen,
die um vieles grösser sind, anwenden könnte.
Um diese — auf den ersten Blick vielleicht unwür-
digen, kleinlichen und nach Querulanz riechenden
— Unterschiedlichkeiten in den materiellen Be-
dingungen einer Gesellschaft, interessiert sich die
grosszügige Milieuschöpfung und der international
modische architektonische Geschmack nicht all-
zusehr. Doch schon inbezng darauf, dass es sich
uns um eine Wissenschaft mit deren konkreten
humanisierenden Zielen handelt, ist es nicht
möglich, einer nüchternen Beurteilung der Wirkung
der Theorie auf die Praxis auszuweichen. In der
Konsequenz eines Interesses um eine Einmündung
der Theorie in die soziale Realisierung, in diesem
zielbewussten und ehrlichen Bemühtsein um eine
effektive Verbesserung des menschlichen Milieus,
sehen wir den grundlegenden gesellschaftlichen
Wert der Existenz solcher Avantgarden, wie es
zum Beispiel bei uns die sogenannten linksorien-
tierten Architekten vor dem zweiten Weltkrieg
waren.
Die Beziehung zwischen der künstlerischen
Konzeption des Menschen und seinem bürgerlichen
Standpunkt, oder seiner politischen Engagiertheit,
ist bei der Beurteilung des wahren Avantgardismus
eines Künstlers nicht ohne Bedeutung. Herr
Dozent Claude Schnaidt konstatiert trefflich —
und deshalb erlaube ich mir eine Passage aus
seinem Artikel, den die Zeitschrift Ulm 19/20 — (67)

brachte, - auf Grund der slowakischen Über-
setzung von Herrn Ing. I. Kuhn — zu zitieren:
dass die Theorie der Architekten und Urbanisten
wie Corbusier, Wright, Gropius, Mumford u. a.
jedesmal gleiche, charakteristische Merkmale ha-
ben: erstens kritisieren sie die urbanistischen
Konsequenzen eines existierenden gesellschaftlich-
politischen Regimes". Dazn könnten wir präzi-
sierend hinzufügen, dass sie nicht nur die urba-
nistischen Konsequenzen, sondern auch die raum-
mässige Organisierung der Menschheit überhaupt,
im physischen und sozialen Milieu, als Ausdruck
ihres Anteils am Beherrschen des Lebens, kriti-
sieren. Weiter ,,betonen" solche Künstler und
Theoretiker die Unordnung und Unmenschlichkeit
der gegebenen Zustände. Darauf verlassen sie in
ihren Projekten konkrete revolutionäre Pläne
und begeben sich auf die idealistische und uto-
pistische Plattform. Dabei weisen sie nicht auf
die unausweichliche dialektische Verknüpftheit
der kommenden und gegenwärtigen Gesellschaft,
auf die Verbindung, aus der die zukünftige Gesell-
schaft durch Bruch mit der gegenwärtigen ent-
steht, hin. Statt dessen unterordnen sie die histo-
rische Entwicklung der Realisierung Ihrer Ideen,
denen sie ,,angeblich" absolute Gültigkeit zu-
schreiben. Die Gegenwart ist das Symbol voll-
kommener Unordnung, die Zukunft das Symbol
vollkommener Ordnung. Wegen der Unfähigkeit,
die Gesellschaft und ihr Lebensmilieu effektiv
zu ändern, sind sie ,,angeblich" geneigt zu glau-
ben. dass die gesellschaftliche Entwicklung im
Grunde genommen von den Ideen determiniert
ist. Deswegen betonen sie in ihren Projekten den
Verstand und nicht die Engagiertheit und nicht
die politische Aktivität an der Seite benachteilig-
ter Klassen. (Dazu nur die Bemerkung, dass
dies das Los der Spezialisierung im Rahmen
gesellschaftlicher Arbeitsteilung ist; Fachleute,
die voll ihren Arbeitsanteil verrichten, mögen
wohl ihre politischen Vorstellungen haben, jedoch
können sie nicht die Engagiertheit professioneller
Politiker ersetzen, obwohl sie alle und gemeinsam
in Grenzbereichen viel Gutes leisten könnten).
Schnaidt fährt in seinen Erwägungen damit fort,
dass diese Künstler und Theoretiker ,,wohl glau-
ben, dass es genügt, die Leute von den Vorzügen
ihrer Projekte zu überzeugen nm diese schliesslich
realisieren zu können. ,,So ein Verhandlungs-
konzept hat sich immer als wirkungslos erwiesen.

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