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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 3.1969

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Nr. 2
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Toran, Eduard: Die Avantgarden der bildenden Kunst und die Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.31181#0237

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dort immer die Tendenz des funktionellen Denkens
vorzufinden !
Das Wolilstandsniveau ist ausserdem etwas
so festes, resp. etwas so labiles, wie zum Beispiel
die Höhenlage eines Flugzeuges: diese Lage bei-
zubehalten, bedeutet die Potenz der ständigen
Energie-Investition; die geringste Gleichgewichts-
störung oder der kleinste Energieverlust bedeuten
den Verlust des erreichten Niveaus, den Verlust
des ,,unfunktionellen Standpunktes" und das
augenblickliche Interesse für Wahrheit, Gesetz-
mässigkeit und für die Funktionalität der Dinge,
die man zwar vielleicht missachtend zu den ^vul-
gären, niedrigen" Interessen einreihen könnte,
aber eben ,,von der Erde aus" starten sie und
werden von hier aus errichtet und hierher kehren
wieder, dank der Mängel nicht nur Flugzeuge und
Gebäude, sondern auch schöpferische Bestrebun-
gen und Aussichten mehr oder minder stürmisch
zurück.
Zur Illustration des nicht versiegenden Inte-
resses für Objekte der funktionalistischen Be-
trachtungsweise bietet sich eine Reihe landläufiger,
manchmal auch ziemlich aussergewöhnlicher Bei-
spiele.
Es ist interessant, die Veränderung der men-
schlichen Stellungnahme zum Milieu in solchen
Augenblicken zu beobachten, wenn die Zivilisation
durch das Versagen einiger ihrer Errungenschaften
gestört ist, zum Beispiel: die Beziehungen der
Menschen zum Bewerten der Dinge ihrer Umge-
bung; als New York ohne elektrischen Strom war
oder während der grossen Streiksituation in Frank-
reich von unlängst, von den maximalen Kata-
strophen wie zum Beispiel Krieg ganz zu schweigen,
ln solchen Zeiten werden Erkenntnisse beglaubigt,
die wir ansonsten im täglichen Leben erwerben,
dass nämlich die Bestandteile des Milieus, sei es
ein Werk der Architektur, der angewandten Kunst
oder Gebrauchskunst mit funktionalistisch konzi-
pierten Bestandteilen dauerhafter, begründeter,
lebensfähiger und gesuchter sind, somit Elemente
enthalten, die notwendig zum Erlangen der ge-
samten, also ästhetischen Anerkennung sind. Da-
mit ist nicht die veralterte avantgardistische
Parole ausgesprochen, laut der die Ästhetik des
Objektes seiner Funktionalität gleichkommt; aber
wie wir wissen existiert hier begreiflicherweise ein
Abhängigkeitsverhätnis.
Die Wohlstandsgesellschaft übt also eine sehr

direkte Wirkung auf das Schaffen von Milieuob-
jekten, also auf die Arbeit der Architekten, De-
signers und weitere aus, auf deren Aufgaben,
Lösungsmethoden von Problemen, Arbeitsvorgän-
ge und auch auf die Art ihrer Erziehung. Nur
existiert kein perfekter, allumfassender Wohlstand,
keine absolute Problemlosigkeit und keine voll-
kommene Saturiertheit aller menschlichen Be-
dürfnisse; das bedeutet, dass es immer notwendig
sein wird etwas zu lösen, auch wenn die Impulse
aus anderen Bereichen kommen als sie sich äussern.
Die gegenwärtige Neosezession ist eher psycholo-
gisch und durch ausgeprägt kommerzielle Motive
bedingt.
Ich nehme an, dass die künstlerische Aktivität
der Avantgarden wieder — im guten Sinne des
Wortes — sozialistische oder sozialistisch-huma-
nistische Prinzipien charakterisierten.
Betrachten wir zum Beispiel die Avantgarde
bei uns, in ihrer Bezogenheit auf die Gegenwart.
Die Tschechoslowakei reihte sich in der Zeit
zwischen den beiden Weltkriegen mit ihrer Archi-
tektur und ihren Institutionen, die sich mit der
Entfaltung der angewandten Kunst und der
industriellen Formbildung widmeten, in das Ge-
schehen hochentwickelter, kultureller und in-
dustrieller Staaten ein. Die Kunstgewerbeschule
in Bratislava, zu deren Ehre unsere heutige
Konferenz stattfindet, ist der beste Beweis dafür,
Ich glaube, dass ihre Jubiläumsjahre, die wir
heute in unsere Erinnerung rufen, nämlich die
Jahre 1928 und 1938 auch für das Schicksal
unserer avantgardistischen Bewegung bezeichnend
sind.
Das erste Jubiiäumsjahr (1928) ist ein Andenken
daran, dass bei uns fortschrittliche, künstlerische
Kräfte existierten, die sich zu gruppieren, zu
organisieren verstanden; sie konnten gewisse
neue Ansichten formulieren, die nicht nur die
Formäusserungen in der bildenden Kunst beach-
teten. Sie hatten auch ihr ernstes kultur-soziales
Programm. Schliesslich waren sie fähig eine
Lehranstalt aufzubauen, an der sie verantwor-
tungsvoll eine weitere Künstlergeneration heran-
bildeten. Das ist alles durch das erste Jubiläums-
jahr symbolisiert.
Das zweite Jubiiäumsjahr (1938) symbolisiert
den Untergang der avantgardistischen Bewegung
in unseren Verhältnissen und damit auch den

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