Natur ist an ihren Objecten noch eben so, wie sie vor tausend Jahren gewesen ist:
Wälder, Felder, Berge, und Wasser, bleiben allezeit einerley. Derohalben ist die Na-
tur modern, das ist zu sagen / unvollkommen; wieder antique und vollkommen aber
/ wenn man es mit fremden und vortrefflichen Gebäuden, Toniben, und dergleichen
Überbleibseln des Alterthums, welche mit vorgedachter Staffirung zusammen eine
antique Landschafft ausmachen, verständig zu ordnen weiß. Wenn aber heunt zu
tage ein Schein=Prospect mit antiquen Bildern und Geschichten aufgezieret wird, so
ist es beyde lächerlich. Denn die Bauem=Hütten, Bau Kunst, derLand= und Vestung
Bau, würden in dem Bey=Werck den klugen von dem Meister begangenen Unver-
stand, ob er schon in beyden herzlich gewesen wäre, sonnen=klar andeuten.
(Gerhard de Lairesse, Grosses Mahler-Buch, Nürnberg 1728-29,5. Buch, 17. Kapitel, S. 65;
6. Buch, 1. Kapitel, S. 103, 104,108-109)
Kommentar
Wir zitieren allein vier Passagen aus dem bisher umfangreichsten Landschaftskapitel, das
sich in einem kunsttheoretischen Werk findet: aus dem »Groot Schilderboek« von Gerard
de Lairesse (1640-1711), einem wiederum riesigen Kompendium in zwei Bänden, dessen
erster sechs Kapitel führt, von denen sich fünf mit der Malerei allgemein in Hinblick auf
ihre höchste Form in der Historienmalerei beschäftigen. Der Reihe nach werden die Hand-
habung des Pinsels, die Anordnung der Figuren, der Unterschied zwischen antik und mo-
dern, die Farben und das Licht abgehandelt. Als sechstes tritt das umfangreiche Kapitel zur
Landschaft hinzu.
Der zweite Band hat wiederum sechs Kapitel und einen angehängten Essay. Hier wer-
den die weiteren Gattungen Porträt, Architekturmalerei, Deckenmalerei, Grisaille, Stille-
ben und Blumenstücke abgehandelt, gefolgt von einer Abhandlung zur Druckgraphik,
vertreten durch Kupferstich, Radierung und Mezzotinto.1 Das klingt einigermaßen konse-
quent, doch sollte man nicht übersehen, daß der Text durch ungezählte Abschweifungen,
Einschübe, Wiederaufnahmen von Themen, vor allem langatmige Themenbeschreibungen
aufgeschwemmt ist Man hat auch de Lairesses Traktat das Etikett »klassizistisch« ange-
hängt, sieht ihn über seinen Freund, den Theaterdichter und -theoretiker Andries Pels, mit
klassischer französischer Theorie vertraut. Das eine oder andere mag daher stammen,
doch wichtiger ist etwas anderes.
Trotz der üblichen topischen Versatzstücke, die uns gleich auch bei den Landschafts-
passagen wieder begegnen werden, ist de Lairesses Werk keine stringent theoretische
Abhandlung. Der Autor will vielmehr - enzyklopädisch ausgebreitet - praktische Instruk-
tionen geben, Regeln, nicht theoretische Begründungen. De Lairesse hatte das Schicksal
von Lomazzo zu tragen, auch er war ursprünglich Maler gewesen, erblindete, nach
Houbraken, im Jahre 1690, und warf sich danach auf die Theorie. Vor dem »Schilderboek«
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Wälder, Felder, Berge, und Wasser, bleiben allezeit einerley. Derohalben ist die Na-
tur modern, das ist zu sagen / unvollkommen; wieder antique und vollkommen aber
/ wenn man es mit fremden und vortrefflichen Gebäuden, Toniben, und dergleichen
Überbleibseln des Alterthums, welche mit vorgedachter Staffirung zusammen eine
antique Landschafft ausmachen, verständig zu ordnen weiß. Wenn aber heunt zu
tage ein Schein=Prospect mit antiquen Bildern und Geschichten aufgezieret wird, so
ist es beyde lächerlich. Denn die Bauem=Hütten, Bau Kunst, derLand= und Vestung
Bau, würden in dem Bey=Werck den klugen von dem Meister begangenen Unver-
stand, ob er schon in beyden herzlich gewesen wäre, sonnen=klar andeuten.
(Gerhard de Lairesse, Grosses Mahler-Buch, Nürnberg 1728-29,5. Buch, 17. Kapitel, S. 65;
6. Buch, 1. Kapitel, S. 103, 104,108-109)
Kommentar
Wir zitieren allein vier Passagen aus dem bisher umfangreichsten Landschaftskapitel, das
sich in einem kunsttheoretischen Werk findet: aus dem »Groot Schilderboek« von Gerard
de Lairesse (1640-1711), einem wiederum riesigen Kompendium in zwei Bänden, dessen
erster sechs Kapitel führt, von denen sich fünf mit der Malerei allgemein in Hinblick auf
ihre höchste Form in der Historienmalerei beschäftigen. Der Reihe nach werden die Hand-
habung des Pinsels, die Anordnung der Figuren, der Unterschied zwischen antik und mo-
dern, die Farben und das Licht abgehandelt. Als sechstes tritt das umfangreiche Kapitel zur
Landschaft hinzu.
Der zweite Band hat wiederum sechs Kapitel und einen angehängten Essay. Hier wer-
den die weiteren Gattungen Porträt, Architekturmalerei, Deckenmalerei, Grisaille, Stille-
ben und Blumenstücke abgehandelt, gefolgt von einer Abhandlung zur Druckgraphik,
vertreten durch Kupferstich, Radierung und Mezzotinto.1 Das klingt einigermaßen konse-
quent, doch sollte man nicht übersehen, daß der Text durch ungezählte Abschweifungen,
Einschübe, Wiederaufnahmen von Themen, vor allem langatmige Themenbeschreibungen
aufgeschwemmt ist Man hat auch de Lairesses Traktat das Etikett »klassizistisch« ange-
hängt, sieht ihn über seinen Freund, den Theaterdichter und -theoretiker Andries Pels, mit
klassischer französischer Theorie vertraut. Das eine oder andere mag daher stammen,
doch wichtiger ist etwas anderes.
Trotz der üblichen topischen Versatzstücke, die uns gleich auch bei den Landschafts-
passagen wieder begegnen werden, ist de Lairesses Werk keine stringent theoretische
Abhandlung. Der Autor will vielmehr - enzyklopädisch ausgebreitet - praktische Instruk-
tionen geben, Regeln, nicht theoretische Begründungen. De Lairesse hatte das Schicksal
von Lomazzo zu tragen, auch er war ursprünglich Maler gewesen, erblindete, nach
Houbraken, im Jahre 1690, und warf sich danach auf die Theorie. Vor dem »Schilderboek«
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