Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Busch, Werner [Editor]; Freie Universität Berlin / Kunsthistorisches Institut [Contr.]
Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren: eine Buchreihe (Band 3): Landschaftsmalerei — Berlin: Reimer, 1997

DOI chapter:
51. Paul Signac
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65784#0317

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
51. PaulSignac
Neoimpressionismus (1898)
Unter Neo-Impressionisten versteht man diejenigen Maler, welche die Experimente
Delacroix’ und der Impressionisten in Bezug auf Licht und Farbe weiter verfolgt
haben und die dahin gelangt sind, die Technik einer prismatischen Farbenzerlegung
zu begründen und auszubilden und zwar durch Beobachtung der Gesetze des Kon-
trastes und durch künstlerische Ausnützung des Mischungsprozesses, der sich abso-
lut reinen Farben gegenüber in unserem Auge vollzieht.
Auf der letzten Ausstellung der Impressionisten in Paris 1886 war es, wo man zum
erstenmal Bilder sah, die nach diesen Grundsätzen gemalt waren. Ihre Leuchtkraft
und ihre harmonische Stimmung fielen sofort auf. Georges Seurat, der Begründer
dieser entwickelungsfähigen Technik, hatte hier das erste prismatisch aufgelöste Bild;
sein berühmtes »Un dimanche ä la grande Jatte«. Mit ihm zugleich stellten der im-
pressionistische Meister Camille Pissarro, dessen Sohn Lucien, und Paul Signac
ähnlich ausgeführte Werke aus. [...]
Eine bedeutsame Ausstellung von Werken dieser Künstler wird im kommenden Herbst
in Berlin eröffnet werden und so wohl besser als alle Worte das Ziel, das sie suchen
und die Resultate, die sie gefunden haben, darthun.
Die Neo-Impressionisten »zerlegen die Farbe« - um den höchst möglichen Grad an
Leuchtkraft, an Farbenglanz und an Harmonie zu erreichen; - sie halten kein ande-
res Mittel hierzu für genügend. Unter diesem »Zerlegen« ist zu verstehen:
1) Die Ausnützung des Mischungsprozesses, der sich bei vollkommen reinen Farben
(d. h. bei Farben, die denen des Sonnenspektrums am nächsten kommen) auf der
Netzhaut unseres Auges vollzieht.
2) Das Getrennthalten der verschiedenen Elemente, welche die einzelnen Nüancen
ergeben, also der Lokalfarbe, der Beleuchtungsfarbe, der Reflexfarbe u. s. w.
3) Die Abwägung und die Ausgleichung dieser Elemente gegeneinander (nach den
Gesetzen der Kontrastwirkung, der Abschwächung und der Strahlung).
4) Die Verwendung von einzelnen Pinselstrichen, deren Größe in einem richt i-
gen Verhältnis zur Größe des Bildes s e l b s t stehen, so daß sie
beim erforderlichen Abstand mit den angrenzenden Pinselstrichen im Auge eine
Mischung eingehen.
Außer diesen vier Regeln, die nach ihrer Ansicht die Farbengebung bestimmen, be-
rücksichtigen die meisten Neo-Impressionisten noch die geheimnisvolleren Gesetze,
die das Zusammenwirken von Linie und Farbe ordnen, insbesondere wollen sie, daß
die Linien, ebenso wie die Licht- und Schattenverteilung (Tönung) und die Farbe
(Nüancierung) zu dem besonderen Charakter der Bilder passen. Die Liniendominante
wird durch das Sujet bestimmt werden: horizontale Linien werden Ruhe ausdrücken,
steigende - Freude, sinkende - Trauer, eine Menge dazwischen liegender Richtun-

315
 
Annotationen