42. Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr
Über ein zum Altarblatte bestimmtes Landschaftsgemälde von
Herrn Friedrich in Dresden, und über Landschaftsmalerei,
Allegorie und Mystizismus überhaupt (1809)
Aber das Bild des Herrn Friedrich weicht von der gewöhnlichen Bahn ab: Es eröff-
net eine neue, mir wenigstens bisher unbekannt gebliebene Ansicht der Landschafts-
malerei; es zeugt von einem phantasiereichen, gefühlvollen Künstler; es teilt die
Meinung des Publikums; es macht Effekt auf den großen Haufen. Und wenn ich nun
sehe, daß die Tendenz, die hier das Talent nimmt, dem guten Geschmack gefährlich
wird, daß sie dem Wesen der Malerei, besonders der Landschaftsmalerei, ihre eigen-
tümlichsten Vorzüge raubt, daß sie mit einem Geiste in Verbindung steht, der die
unglückliche Brut der gegenwärtigen Zeit und das schauderhafte Vorgesicht der
schnell heraneilenden Barbarei ist - dann wäre es Pusillanimität [Kleinmut] zu
schweigen. [...]
Ich rede frei von jeder fremden Eingebung; keiner Partei zugetan, als der längst
verstorbener Meister, eines Claude Lorrain, Nicolas und Gaspard Poussin, Ruisdaels
[...]■
Daß hier eine allegorische Deutung unterliege, kann von dem unbefangenen Be-
schauer nicht bezweifelt werden. Dahin führt der Rahmen, der das Bild umfaßt, mit
seinen Symbolen, [...] Es leidet keinen Zweifel, hinter der Naturszene, die der Maler
dargestellt hat, liegt eine allegorische Deutung verborgen, die den Beschauer auf-
fordern soll zu einer frommen, auf den Genuß des Abendmahls sich beziehenden
Stimmung. [...]
Läßt sich die angegebene Naturszene malen, ohne die wesentlichen Vorzüge der
Malerei und besonders der Landschaftsmalerei aufzuopfem? Ist es ein glücklicher
Gedanke, die Landschaft zur Allegorisierung einer bestimmten religiösen Idee oder
auch nur zur Erweckung der Andacht zu gebrauchen? Endlich: Ist es der Würde der
Kunst des wahrhaft frommen Menschen angemessen, durch solche Mittel, wie sie
Herr Friedrich angewandt hat, zur Devotion einzuladen? [...]
Die Landschaftsmalerei legt dagegen eine Fläche vor mir nieder, auf der sie mir eine
Menge von Gegenständen, die man, wenigstens in der Malersprache, nicht einmal
alle Körper nennen kann, schichtenweise, szenenartig hintereinander herreiht, die
sie mir stets in einiger Entfernung zeigt. Sie rechnet folglich darauf, daß meine Auf-
merksamkeit sich auf dasjenige beschränken werde, was ich bei einer Aussicht in die
fremde Natur erkennen und prüfen will. Mannigfaltigkeit ist hier das erste, was ich
suche, und wenn ich gleich zu meiner Befriedigung Abteilung und Zusammenhang
verlange, so will ich doch, daß diese eher versteckt als auffallend sei, daß sich die
Massen ungefähr gegeneinander balancieren, daß sich die Umrisse der einzelnen
Erdplane kadenzieren, das heißt gegeneinanderbeugen, sanft nebeneinander her-
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Über ein zum Altarblatte bestimmtes Landschaftsgemälde von
Herrn Friedrich in Dresden, und über Landschaftsmalerei,
Allegorie und Mystizismus überhaupt (1809)
Aber das Bild des Herrn Friedrich weicht von der gewöhnlichen Bahn ab: Es eröff-
net eine neue, mir wenigstens bisher unbekannt gebliebene Ansicht der Landschafts-
malerei; es zeugt von einem phantasiereichen, gefühlvollen Künstler; es teilt die
Meinung des Publikums; es macht Effekt auf den großen Haufen. Und wenn ich nun
sehe, daß die Tendenz, die hier das Talent nimmt, dem guten Geschmack gefährlich
wird, daß sie dem Wesen der Malerei, besonders der Landschaftsmalerei, ihre eigen-
tümlichsten Vorzüge raubt, daß sie mit einem Geiste in Verbindung steht, der die
unglückliche Brut der gegenwärtigen Zeit und das schauderhafte Vorgesicht der
schnell heraneilenden Barbarei ist - dann wäre es Pusillanimität [Kleinmut] zu
schweigen. [...]
Ich rede frei von jeder fremden Eingebung; keiner Partei zugetan, als der längst
verstorbener Meister, eines Claude Lorrain, Nicolas und Gaspard Poussin, Ruisdaels
[...]■
Daß hier eine allegorische Deutung unterliege, kann von dem unbefangenen Be-
schauer nicht bezweifelt werden. Dahin führt der Rahmen, der das Bild umfaßt, mit
seinen Symbolen, [...] Es leidet keinen Zweifel, hinter der Naturszene, die der Maler
dargestellt hat, liegt eine allegorische Deutung verborgen, die den Beschauer auf-
fordern soll zu einer frommen, auf den Genuß des Abendmahls sich beziehenden
Stimmung. [...]
Läßt sich die angegebene Naturszene malen, ohne die wesentlichen Vorzüge der
Malerei und besonders der Landschaftsmalerei aufzuopfem? Ist es ein glücklicher
Gedanke, die Landschaft zur Allegorisierung einer bestimmten religiösen Idee oder
auch nur zur Erweckung der Andacht zu gebrauchen? Endlich: Ist es der Würde der
Kunst des wahrhaft frommen Menschen angemessen, durch solche Mittel, wie sie
Herr Friedrich angewandt hat, zur Devotion einzuladen? [...]
Die Landschaftsmalerei legt dagegen eine Fläche vor mir nieder, auf der sie mir eine
Menge von Gegenständen, die man, wenigstens in der Malersprache, nicht einmal
alle Körper nennen kann, schichtenweise, szenenartig hintereinander herreiht, die
sie mir stets in einiger Entfernung zeigt. Sie rechnet folglich darauf, daß meine Auf-
merksamkeit sich auf dasjenige beschränken werde, was ich bei einer Aussicht in die
fremde Natur erkennen und prüfen will. Mannigfaltigkeit ist hier das erste, was ich
suche, und wenn ich gleich zu meiner Befriedigung Abteilung und Zusammenhang
verlange, so will ich doch, daß diese eher versteckt als auffallend sei, daß sich die
Massen ungefähr gegeneinander balancieren, daß sich die Umrisse der einzelnen
Erdplane kadenzieren, das heißt gegeneinanderbeugen, sanft nebeneinander her-
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