37. Friedrich Schiller
Über Matthissons Gedichte (1794)
Daß die Griechen, in den guten Zeiten der Kunst, der L a n d s c h aft ma l e re i
nicht viel nachgefragt haben, ist etwas Bekanntes, und die Rigoristen in der Kunst
stehen ja noch heutiges Tages an, ob sie den Landschaftmaler überhaupt nur als
echten Künstler gelten lassen sollen. Aber, was man noch nicht genug bemerkt hat,
auch von einer Landschaft- Dichtung, als einer eigenen Art von Poesie, die der
epischen, dramatischen und lyrischen ohngefähr ebenso wie die Landschaftmalerei
der Tier- und Menschenmalerei gegenüber steht, hat man in den Werken der Alten
wenig Beispiele aufzuweisen.
Es ist nämlich etwas ganz anders, ob man die unbeseelte Natur bloß als Lokal
einer Handlung in eine Schilderung mit aufhinimt und, wo es etwa nötig ist,
von ihr die Farben zur Darstellung der beseelten entlehnt, wie der Historienmaler
und der epische Dichter häufig tun, oder ob man es gerade umkehrt, wie der
Landschaftmaler, die unbeseelte Natur für sich selbst zur Heldin der
Schilderung und den Menschen bloß zum Figuranten in derselben macht. Von dem
erstem findet man unzählige Proben im Homer, und wer möchte den großen Maler
der Natur in der Wahrheit, Individualität und Lebendigkeit erreichen, womit er uns
das Lokal seiner dramatischen Gemälde versinnlicht? Aber den Neuem (worunter
zum Teil schon die Zeitgenossen des Plinius gehören) war es aufbehalten, in Land-
schaftsgemälden und Landschaftspoesien diesen Teil der Natur für sich selbst zum
Gegenstand einer eigenen Darstellung zu machen und so das Gebiet der Kunst,
welches die Alten bloß auf Menschheit und Menschenähnlichkeit scheinen einge-
schränkt zu haben, mit dieser neuen Provinz zu bereichern.
Woher wohl diese Gleichgültigkeit der griechischen Künstler für eine Gattung, die
wir Neuem so allgemein schätzen? Läßt sich wohl annehmen, daß es dem Griechen,
diesem Kenner und leidenschaftlichen Freund alles Schönen, an Empfänglichkeit
für die Reize der leblosen Natur gefehlt habe, oder muß man nicht vielmehr auf die
Vermutung geraten, daß er diesen Stoff wohlbedächtlich verschmähet habe,
weil er denselben mit seinen Begriffen von schöner Kunst unvereinbar fand? [...]
Es ist, wie man weiß, niemals der Stoff, sondern bloß die Behandlungs-
weise, was den Künstler und Dichter macht; ein Hausgeräte und eine moralische
Abhandlung können beide durch eine geschmackvolle Ausführung zu einem freien
Kunstwerk gesteigert werden, und das Portrait eines Menschen wird in ungeschick-
ten Händen zu einer gemeinen Manufaktur herabsinken. Steht man also an, Gemäl-
de oder Dichtungen, welche bloß unbeseelte Naturmassen zu ihrem Gegenstand
haben, für echte Werke der schönen Kunst (derjenigen nämlich, in welcher ein Ideal
möglich ist) zu erkennen, so zweifelt man an der Möglichkeit, diese Gegenstände so
zu behandeln, wie es der Charakter der schönen Kunst erheischt. Was ist dies nun
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Über Matthissons Gedichte (1794)
Daß die Griechen, in den guten Zeiten der Kunst, der L a n d s c h aft ma l e re i
nicht viel nachgefragt haben, ist etwas Bekanntes, und die Rigoristen in der Kunst
stehen ja noch heutiges Tages an, ob sie den Landschaftmaler überhaupt nur als
echten Künstler gelten lassen sollen. Aber, was man noch nicht genug bemerkt hat,
auch von einer Landschaft- Dichtung, als einer eigenen Art von Poesie, die der
epischen, dramatischen und lyrischen ohngefähr ebenso wie die Landschaftmalerei
der Tier- und Menschenmalerei gegenüber steht, hat man in den Werken der Alten
wenig Beispiele aufzuweisen.
Es ist nämlich etwas ganz anders, ob man die unbeseelte Natur bloß als Lokal
einer Handlung in eine Schilderung mit aufhinimt und, wo es etwa nötig ist,
von ihr die Farben zur Darstellung der beseelten entlehnt, wie der Historienmaler
und der epische Dichter häufig tun, oder ob man es gerade umkehrt, wie der
Landschaftmaler, die unbeseelte Natur für sich selbst zur Heldin der
Schilderung und den Menschen bloß zum Figuranten in derselben macht. Von dem
erstem findet man unzählige Proben im Homer, und wer möchte den großen Maler
der Natur in der Wahrheit, Individualität und Lebendigkeit erreichen, womit er uns
das Lokal seiner dramatischen Gemälde versinnlicht? Aber den Neuem (worunter
zum Teil schon die Zeitgenossen des Plinius gehören) war es aufbehalten, in Land-
schaftsgemälden und Landschaftspoesien diesen Teil der Natur für sich selbst zum
Gegenstand einer eigenen Darstellung zu machen und so das Gebiet der Kunst,
welches die Alten bloß auf Menschheit und Menschenähnlichkeit scheinen einge-
schränkt zu haben, mit dieser neuen Provinz zu bereichern.
Woher wohl diese Gleichgültigkeit der griechischen Künstler für eine Gattung, die
wir Neuem so allgemein schätzen? Läßt sich wohl annehmen, daß es dem Griechen,
diesem Kenner und leidenschaftlichen Freund alles Schönen, an Empfänglichkeit
für die Reize der leblosen Natur gefehlt habe, oder muß man nicht vielmehr auf die
Vermutung geraten, daß er diesen Stoff wohlbedächtlich verschmähet habe,
weil er denselben mit seinen Begriffen von schöner Kunst unvereinbar fand? [...]
Es ist, wie man weiß, niemals der Stoff, sondern bloß die Behandlungs-
weise, was den Künstler und Dichter macht; ein Hausgeräte und eine moralische
Abhandlung können beide durch eine geschmackvolle Ausführung zu einem freien
Kunstwerk gesteigert werden, und das Portrait eines Menschen wird in ungeschick-
ten Händen zu einer gemeinen Manufaktur herabsinken. Steht man also an, Gemäl-
de oder Dichtungen, welche bloß unbeseelte Naturmassen zu ihrem Gegenstand
haben, für echte Werke der schönen Kunst (derjenigen nämlich, in welcher ein Ideal
möglich ist) zu erkennen, so zweifelt man an der Möglichkeit, diese Gegenstände so
zu behandeln, wie es der Charakter der schönen Kunst erheischt. Was ist dies nun
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