45. Ludwig Richter
Lebenserinnerungen eines deutschen Malers (1823-1826)
Ein kleines Geräusch machte, daß ich aufsah. Mit nicht geringem Erstaunen er-
blickte ich drei kleine Haustüren in freundschaftlichem Gespräch den Berg mitein-
ander hinabwandeln, und zwar ordentlich auf zwei Menschenfüßen. Es kam mir
aber sogleich ins Gedächtnis, daß ich bereits eine komische Beschreibung von den
riesengroßen Malkästen einiger französischer Maler gehört hatte, welche seit meh-
reren Tagen sich in der Sibylle [in Eivoli] einquartiert hatten. Und so war es. Denn
bald darauf gingen auch die Inhaberder Kasten vorüber, welche letztere den Jungen
auf den Rücken geschnallt waren und von welchen Sie völlig bis auf die Füße - die
allein unten hervorragten - bedeckt waren.
»Die Gegensätze berühren sich!« Dies war hier nur räumlich der Fall, denn die
Zimmer der Franzosen stießen unmittelbar an die unsrigen, und, obwohl sie minde-
stens ebenso liebenswürdige und solide Leute waren, als wir zu sein uns schmeichel-
ten, so kamen wir doch durchaus in keinen Verkehr miteinander. Im Gegenteil mie-
den wir uns mit einer Art von Scheu; denn jede Partei mochte die andere für mezzo
matti halten; die Gegensätze waren damals zu stark. - Die französischen Maler mit
ihren Riesenkästen brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe,
welche mit großen Borstpinseln halbfingersdick auf gepatzt wurde. Stets malten sie
aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt - oder wie w i r sagten -
einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und
Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet. Dagegen wir: da wurde
- gerade umgekehrt - mehr gezeichnet als gemalt. Der Bleistift konnte nicht hart,
nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest, bestimmt zu umzie-
hen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein klei-
ner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich
sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten
keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher
gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objek-
tiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben. [...]
Doch ich kehre zu meinem Tale von Amalfi zurück, dessen Untermalung ich mit
großem Eifer betrieb. Auch meine Landschaft trug den charakteristischen Zug an
sich, welcher fast allen Bildern eigen ist, welche in jener Zeit von deutschen Künst-
lern in Rom gemalt wurden. Eine gewisse feierliche Steifheit und Härte in den Um-
rissen, Magerkeit in den Formen, dünner Farbenauftrag usw., von solchen Eigen-
schaften war mehr oder weniger in den Bildern damals zu finden. Die große Vorlie-
be, ja begeisterte Verehrung, welche man für die Werke der ältesten Florentiner, der
deutschen und niederländischen Meister trug, hatte das Auge an diese Eigenheiten
nicht allein gewöhnt, sondern man fand sie für den Stil, welchen man erstrebte,
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Lebenserinnerungen eines deutschen Malers (1823-1826)
Ein kleines Geräusch machte, daß ich aufsah. Mit nicht geringem Erstaunen er-
blickte ich drei kleine Haustüren in freundschaftlichem Gespräch den Berg mitein-
ander hinabwandeln, und zwar ordentlich auf zwei Menschenfüßen. Es kam mir
aber sogleich ins Gedächtnis, daß ich bereits eine komische Beschreibung von den
riesengroßen Malkästen einiger französischer Maler gehört hatte, welche seit meh-
reren Tagen sich in der Sibylle [in Eivoli] einquartiert hatten. Und so war es. Denn
bald darauf gingen auch die Inhaberder Kasten vorüber, welche letztere den Jungen
auf den Rücken geschnallt waren und von welchen Sie völlig bis auf die Füße - die
allein unten hervorragten - bedeckt waren.
»Die Gegensätze berühren sich!« Dies war hier nur räumlich der Fall, denn die
Zimmer der Franzosen stießen unmittelbar an die unsrigen, und, obwohl sie minde-
stens ebenso liebenswürdige und solide Leute waren, als wir zu sein uns schmeichel-
ten, so kamen wir doch durchaus in keinen Verkehr miteinander. Im Gegenteil mie-
den wir uns mit einer Art von Scheu; denn jede Partei mochte die andere für mezzo
matti halten; die Gegensätze waren damals zu stark. - Die französischen Maler mit
ihren Riesenkästen brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe,
welche mit großen Borstpinseln halbfingersdick auf gepatzt wurde. Stets malten sie
aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt - oder wie w i r sagten -
einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und
Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet. Dagegen wir: da wurde
- gerade umgekehrt - mehr gezeichnet als gemalt. Der Bleistift konnte nicht hart,
nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest, bestimmt zu umzie-
hen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein klei-
ner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich
sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten
keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher
gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objek-
tiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben. [...]
Doch ich kehre zu meinem Tale von Amalfi zurück, dessen Untermalung ich mit
großem Eifer betrieb. Auch meine Landschaft trug den charakteristischen Zug an
sich, welcher fast allen Bildern eigen ist, welche in jener Zeit von deutschen Künst-
lern in Rom gemalt wurden. Eine gewisse feierliche Steifheit und Härte in den Um-
rissen, Magerkeit in den Formen, dünner Farbenauftrag usw., von solchen Eigen-
schaften war mehr oder weniger in den Bildern damals zu finden. Die große Vorlie-
be, ja begeisterte Verehrung, welche man für die Werke der ältesten Florentiner, der
deutschen und niederländischen Meister trug, hatte das Auge an diese Eigenheiten
nicht allein gewöhnt, sondern man fand sie für den Stil, welchen man erstrebte,
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