drücken.«3 Die »touche spirituelle«, von der Baudelaire schon im Salon 1845 spricht, ist
wichtiger als bloße Korrektheit. Der Salon von 1846 beginnt mit einer Klärung des Begrif-
fes »Romantik«, sieht seine zentrale Dimension nicht in der angemessenen Gegenstands-
wahl, auch nicht im exakten Erzielen der Naturwahrheit, sondern in der Erregung des
richtigen Gefühls; dies führt Baudelaire am Beispiel seines großen Helden Delacroix aus.
Diese romantische Sicht färbt hier auch auf seine Beurteilung Rousseaus ab, den er in
verschiedener Hinsicht direkt mit Delacroix vergleicht. Mit Schärfe deklariert er das Ende
der historischen Landschaft, sie trage Ethik von außen an die Landschaft heran, die doch
ihre eigene Ethik habe. Er streicht die melancholische Dimension der Landschaften
Rousseaus heraus, lobt ihr Zwielicht, ihre weichen, aber vollfarbigen Himmel und sieht
die Magie seiner Bilder - ein Begriff Diderots - durch eine Beseelung der Landschaft
erreicht.
Der letzte Gedanke leitet sich offenbar wieder von Stendhal her: Rousseau sei ein
Naturalist, der unaufhörlich zum Ideal hingerissen werde. Inspirierte Hingabe an die Natur
produziert nach dieser Überzeugung aus sich heraus das Ideal. Von Cozens bis Constable
haben die englischen Landschafter über eben diese Form - ohne zu idealisieren zum Ideal
zu kommen - nachgedacht. In nuce findet sich hier ein neues Realismuskonzept, das nun
bei Baudelaire ohne die Verpflichtung des Künstlers auf das moderne Leben nicht zu
denken ist.
Im Salon von 1846 greift Baudelaire den Gedanken vom Heroismus des modernen
Lebens, das er später durch den Außenseiter, den Dandy, ja den Verbrecher und die Hure
verkörpert sieht, zuerst auf. 1863 vermeint er, in Constantin Guys den vollkommenen
Künstler des modernen Lebens gefunden zu haben, der die Produkte der Großstadt, ohne
zu zögern, vorführt. Selbst im Auswurf der Stadt vermag sich der Heroismus der Moderne
zu erklären4 - das führt deutlich über die Möglichkeiten der Landschafter hinaus.
Anmerkungen
1 Kat. Ausst. Zurück zur Natur. Die Künstlerkolonie von Barbizon. Ihre Vorgeschichte und ihre Auswir-
kung, Kunsthalle Bremen 1977/78, Bremen 1977, bes. den Beitrag von Günter Busch, Einige Gedanken
zum Thema und seiner Herleitung, ferner Kat. Ausst. Corot, Courbet und die Maler von Barbizon, hrsg.
von Christoph Heilmann, Michael Clarke und John Sillevis, Haus der Kunst, München 1996, bes. die
Beiträge von John Sillevis, S. 18-22 und John Leighton, S. 23-31.
2 Zu den Einflüssen kurz: Jonathan Mayne, Art in Paris 1845-1862. Salons and Other Exhibitions, Reviewed
by Charles Baudelaire, London 1965, S. IX-XII.
3 Eugene Delacroix, Journal, hrsg. von Andre Joubin, 3 Bde., Paris 1932, Bd. 2, S. 17.
4 S. dazu das grandiose Kapitel ΠΙ: »Die Moderne« in: Walter Benjamin, Das Paris des Second Empire bei
Baudelaire, in: ders., Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hrsg. von Rolf
Tiedemann, Frankfurt a. Μ. 1974, S. 66-100.
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wichtiger als bloße Korrektheit. Der Salon von 1846 beginnt mit einer Klärung des Begrif-
fes »Romantik«, sieht seine zentrale Dimension nicht in der angemessenen Gegenstands-
wahl, auch nicht im exakten Erzielen der Naturwahrheit, sondern in der Erregung des
richtigen Gefühls; dies führt Baudelaire am Beispiel seines großen Helden Delacroix aus.
Diese romantische Sicht färbt hier auch auf seine Beurteilung Rousseaus ab, den er in
verschiedener Hinsicht direkt mit Delacroix vergleicht. Mit Schärfe deklariert er das Ende
der historischen Landschaft, sie trage Ethik von außen an die Landschaft heran, die doch
ihre eigene Ethik habe. Er streicht die melancholische Dimension der Landschaften
Rousseaus heraus, lobt ihr Zwielicht, ihre weichen, aber vollfarbigen Himmel und sieht
die Magie seiner Bilder - ein Begriff Diderots - durch eine Beseelung der Landschaft
erreicht.
Der letzte Gedanke leitet sich offenbar wieder von Stendhal her: Rousseau sei ein
Naturalist, der unaufhörlich zum Ideal hingerissen werde. Inspirierte Hingabe an die Natur
produziert nach dieser Überzeugung aus sich heraus das Ideal. Von Cozens bis Constable
haben die englischen Landschafter über eben diese Form - ohne zu idealisieren zum Ideal
zu kommen - nachgedacht. In nuce findet sich hier ein neues Realismuskonzept, das nun
bei Baudelaire ohne die Verpflichtung des Künstlers auf das moderne Leben nicht zu
denken ist.
Im Salon von 1846 greift Baudelaire den Gedanken vom Heroismus des modernen
Lebens, das er später durch den Außenseiter, den Dandy, ja den Verbrecher und die Hure
verkörpert sieht, zuerst auf. 1863 vermeint er, in Constantin Guys den vollkommenen
Künstler des modernen Lebens gefunden zu haben, der die Produkte der Großstadt, ohne
zu zögern, vorführt. Selbst im Auswurf der Stadt vermag sich der Heroismus der Moderne
zu erklären4 - das führt deutlich über die Möglichkeiten der Landschafter hinaus.
Anmerkungen
1 Kat. Ausst. Zurück zur Natur. Die Künstlerkolonie von Barbizon. Ihre Vorgeschichte und ihre Auswir-
kung, Kunsthalle Bremen 1977/78, Bremen 1977, bes. den Beitrag von Günter Busch, Einige Gedanken
zum Thema und seiner Herleitung, ferner Kat. Ausst. Corot, Courbet und die Maler von Barbizon, hrsg.
von Christoph Heilmann, Michael Clarke und John Sillevis, Haus der Kunst, München 1996, bes. die
Beiträge von John Sillevis, S. 18-22 und John Leighton, S. 23-31.
2 Zu den Einflüssen kurz: Jonathan Mayne, Art in Paris 1845-1862. Salons and Other Exhibitions, Reviewed
by Charles Baudelaire, London 1965, S. IX-XII.
3 Eugene Delacroix, Journal, hrsg. von Andre Joubin, 3 Bde., Paris 1932, Bd. 2, S. 17.
4 S. dazu das grandiose Kapitel ΠΙ: »Die Moderne« in: Walter Benjamin, Das Paris des Second Empire bei
Baudelaire, in: ders., Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hrsg. von Rolf
Tiedemann, Frankfurt a. Μ. 1974, S. 66-100.
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