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SW ETWAS VOM PORTRÄTIEREN ^3
unmittelbarer Naturbeobachtung. Von den
übermenschlichen Geduldproben, denen der
Porträtist während und nach der Vollendung
seines Werkes nicht selten ausgesetzt ist,
wollen wir schweigen.
Wenn der Künstler einen Menschen vor
sich hinstellt, um nach ihm zu malen oder
zu modellieren, so können ihn dabei die ver-
schiedensten Absichten leiten. Meistens geht
er gar nicht auf eine porträtmäßige Nach-
bildung aus, sondern will von dem »Modell«
nur die Züge im allgemeinen verwerten, nur
die Kopf- oder Körperhaltung beobachten, die
Lichter und Farbentöne nach der Natur ver-
gleichen, die Figur in ihrem malerischen Ver-
halten zur Umgebung verfolgen und höch-
stens in der Wirklichkeit einige Anregung
für den beabsichtigten Ausdruck eines Ge-
sichtes suchen oder die innere Vorstellung
nachprüfen. Bei dieser Tätigkeit entsteht un-
ter der Hand des »Idealisten« ein Bild, das
nur wenig oder gar nicht jene Person er-
kennen läßt, vor welcher er arbeitet, während
der »Realist« das Naturvorbild unverkennbar
wiedergibt, wenn ihm auch die Absicht, zu
porträtieren, fern liegt. Dem Künstler kann
bei religiösen Themen die porträtmäßige An-
lehnung an das »Modell« gefährlich werden,
wenn er es nicht versteht, den Personen eine
höhere Geistigkeit einzugießen.
Letzteres braucht der Porträtist nicht zu
WALTER THOR HERRENPORTRÄT
tun, sondern er kann es sich bei dem genug
sein lassen, was das Modell ihm bietet. Seine
Aufgabe besteht darin, die Personen in »spre-
chender« Ähnlichkeit auf den Malgrund zu
bannen oder in Ton zu formen. Hierüber
sind so ziemlich alle einig. Aber bei der Be-
antwortung der Frage, worin die sprechende
Ähnlichkeit zu suchen ist, wie weit sie auf
dem äußerlich Gesehenen beruht, gehen die
Künstler in Theorie und Praxis weit ausein-
ander. Die einen nähern sich mit ihrer Auf-
fassung der Photographie, indem sie den Dar-
zustellenden mit kühler Objektivität nach
seiner äußeren Erscheinung wiedergeben und
dabei das Wesentliche und das Zufällige und
Nebensächliche gleich sorgsam behandeln.
Etliche andere befolgen einen gegensätzlichen
Weg und gehen auf die äußere Erscheinung
nur soweit ein, als sie ihrer zur Festhaltung
des innern Menschen bedürfen. Es ist nur
konsequent, wenn die ersteren die Krawatte
und die Knöpfe am Rock mit ähnlicher Liebe
malen, wie den Kopf, die letzteren aber all
ihre Sorgfalt auf das Antlitz konzentrieren
und die Kleider mit allem um und an mehr
als farbige Umrahmung des Kopfes behan-
deln. Die Mehrzahl der Porträtisten hält die
Mitte zwischen diesen Extremen und auch
der einzelne Künstler verfährt keineswegs in
allen Fällen gleichmäßig, sondern modifiziert
die Anwendung seiner Prinzipien je nach dem
besonderen Fall.
Das Porträt darf einer geschlossenen Bild-
wirkung nicht entbehren. Das Bild wird
leicht hart, die Person scheint wie »heraus-
geschnitten«, »fällt aus dem Rahmen«, wenn
alle Einzelheiten an der dargestellten Person
bis zum unteren Bildrand hin gleichmäßig
plastisch durchgeführt sind, während die Umge-
bung der Figur flach gehalten ist. Mit Vorliebe
konzentriert man deshalb im Porträt das Licht
auf eine einzige Stelle, gewöhnlich auf den
Kopf, während die Modellierung der übrigen
Teile nach den Bildrändern hin in Dunkel-
heiten verläuft, in welche beim »Kniestück«
nicht selten auch die Hände untertauchen.
Besitzt der zu Porträtierende eine sprechende
Hand, so verdient sie gewiß in das Bild auf-
genommen zu werden; aber viele Menschen
wissen mit ihren Händen nichts anzufangen,
und diese Tatsache ist wohl nicht der letzte
Grund für die Beobachtung, daß die Hände
nicht selten einen wunden Punkt im Porträt
bilden. Glaubt ein Künstler, daß die Hand
eher von der Hauptsache, dem Kopfe näm-
lich, störend ablenkt, anstatt den geistigen
Eindruck zu steigern, so möge er darnach
verfahren. Daß aber ein großer Künstler je-
SW ETWAS VOM PORTRÄTIEREN ^3
unmittelbarer Naturbeobachtung. Von den
übermenschlichen Geduldproben, denen der
Porträtist während und nach der Vollendung
seines Werkes nicht selten ausgesetzt ist,
wollen wir schweigen.
Wenn der Künstler einen Menschen vor
sich hinstellt, um nach ihm zu malen oder
zu modellieren, so können ihn dabei die ver-
schiedensten Absichten leiten. Meistens geht
er gar nicht auf eine porträtmäßige Nach-
bildung aus, sondern will von dem »Modell«
nur die Züge im allgemeinen verwerten, nur
die Kopf- oder Körperhaltung beobachten, die
Lichter und Farbentöne nach der Natur ver-
gleichen, die Figur in ihrem malerischen Ver-
halten zur Umgebung verfolgen und höch-
stens in der Wirklichkeit einige Anregung
für den beabsichtigten Ausdruck eines Ge-
sichtes suchen oder die innere Vorstellung
nachprüfen. Bei dieser Tätigkeit entsteht un-
ter der Hand des »Idealisten« ein Bild, das
nur wenig oder gar nicht jene Person er-
kennen läßt, vor welcher er arbeitet, während
der »Realist« das Naturvorbild unverkennbar
wiedergibt, wenn ihm auch die Absicht, zu
porträtieren, fern liegt. Dem Künstler kann
bei religiösen Themen die porträtmäßige An-
lehnung an das »Modell« gefährlich werden,
wenn er es nicht versteht, den Personen eine
höhere Geistigkeit einzugießen.
Letzteres braucht der Porträtist nicht zu
WALTER THOR HERRENPORTRÄT
tun, sondern er kann es sich bei dem genug
sein lassen, was das Modell ihm bietet. Seine
Aufgabe besteht darin, die Personen in »spre-
chender« Ähnlichkeit auf den Malgrund zu
bannen oder in Ton zu formen. Hierüber
sind so ziemlich alle einig. Aber bei der Be-
antwortung der Frage, worin die sprechende
Ähnlichkeit zu suchen ist, wie weit sie auf
dem äußerlich Gesehenen beruht, gehen die
Künstler in Theorie und Praxis weit ausein-
ander. Die einen nähern sich mit ihrer Auf-
fassung der Photographie, indem sie den Dar-
zustellenden mit kühler Objektivität nach
seiner äußeren Erscheinung wiedergeben und
dabei das Wesentliche und das Zufällige und
Nebensächliche gleich sorgsam behandeln.
Etliche andere befolgen einen gegensätzlichen
Weg und gehen auf die äußere Erscheinung
nur soweit ein, als sie ihrer zur Festhaltung
des innern Menschen bedürfen. Es ist nur
konsequent, wenn die ersteren die Krawatte
und die Knöpfe am Rock mit ähnlicher Liebe
malen, wie den Kopf, die letzteren aber all
ihre Sorgfalt auf das Antlitz konzentrieren
und die Kleider mit allem um und an mehr
als farbige Umrahmung des Kopfes behan-
deln. Die Mehrzahl der Porträtisten hält die
Mitte zwischen diesen Extremen und auch
der einzelne Künstler verfährt keineswegs in
allen Fällen gleichmäßig, sondern modifiziert
die Anwendung seiner Prinzipien je nach dem
besonderen Fall.
Das Porträt darf einer geschlossenen Bild-
wirkung nicht entbehren. Das Bild wird
leicht hart, die Person scheint wie »heraus-
geschnitten«, »fällt aus dem Rahmen«, wenn
alle Einzelheiten an der dargestellten Person
bis zum unteren Bildrand hin gleichmäßig
plastisch durchgeführt sind, während die Umge-
bung der Figur flach gehalten ist. Mit Vorliebe
konzentriert man deshalb im Porträt das Licht
auf eine einzige Stelle, gewöhnlich auf den
Kopf, während die Modellierung der übrigen
Teile nach den Bildrändern hin in Dunkel-
heiten verläuft, in welche beim »Kniestück«
nicht selten auch die Hände untertauchen.
Besitzt der zu Porträtierende eine sprechende
Hand, so verdient sie gewiß in das Bild auf-
genommen zu werden; aber viele Menschen
wissen mit ihren Händen nichts anzufangen,
und diese Tatsache ist wohl nicht der letzte
Grund für die Beobachtung, daß die Hände
nicht selten einen wunden Punkt im Porträt
bilden. Glaubt ein Künstler, daß die Hand
eher von der Hauptsache, dem Kopfe näm-
lich, störend ablenkt, anstatt den geistigen
Eindruck zu steigern, so möge er darnach
verfahren. Daß aber ein großer Künstler je-