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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Editor]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 4.1907/​1908

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Harter, Josef: Das Rathaus zu Steyer
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SW DAS RATHAUS ZU STEYR ^3

DAS RATHAUS ZU STEYR«, Text nebenan


DAS RATHAUS ZU STEYR
Von JOSEF HARTER in Steyr
A ls das krafstrotzende, dramatische Barocco den Höhe-
punkt erreicht, offenbarte sich schon gegen das Ende
derRegierungLudwigsXIV. eine Stil wendung. Man wollte
und liebte noch immer das Glänzende, aber in kleinen,
zierlichen Formen, im Reizenden, Graziösen und Koketten,
und damtt war das Rokoko entstanden, das bald trium-
phierend allerorts seinen Einzug hielt. Freilich ist das
Rokoko kein konstruktiver, sondern nur Ornamentalstil,
und als Frankreich und Deutschland mit ihm zu bauen
versuchten, ging es in die ausgelassensten Formen über,
und führte zu allerlei Absonderlichkeiten.
Als ein Meisterwerk des phantasiereichen Rokokos
zählt das Rathaus zu Steyr in Oberösterreich, das von
1765 bis 1778 unter der Leitung des Stadtkämmerers
Anton Mayrhofer nach den Plänen Gotthart Haybergers
aus Steyr erbaut wurde. Das drei Stockwerke messende
Gebäude, dessen Hauptfassadefenster mit kapriziösen Ein-
rahmungen und Verdachungen überwölbt sind, sowie
die schwungvollen, zierlichen Schnörkel in stucco lustro
verleihen dem Bau ein palastartiges Gepräge, das durch
den unvergleichlichen schöngekuppelten und klassisch
gegliederten Turm in seiner Monumentalität noch er-
höht wird. Eine Balustrade mit schwungvoll angesetzter
Volute, auf deren nicht minder bizarr gestaltetem Ab-
schlußgesimse die gewaltigen Steinfiguren der Allegorien
des Glaubens und der Klugheit in sitzender Stellung
Platz genommen haben, und die auf der Balustrade stehen-
den, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Frömmigkeit und Stark-
mut versinnbildlichenden Gestalten, bekrönen in rhythmi-
scher Harmonie den Prachtbau. Die mit klassischen
Formen ausgestattete Kuppel wird mit einer nach Lorenzo
Berninis Art gewundenen Säule abgeschlossen, auf
welcher der österreichische Reichsadler thront, der im
Herzschilde das Wappen des Erzherzogtumes Nieder-
österreich trägt. Säulenbasen und Kapitäle offenbaren
die Dekoration des deutschen Rokokos, dessen luftige
Ornamente auch zum anderweitigen Schmucke der Haupt-
fassade beigezogen und teils aus Sandstein, teils in
Stucco verfertigt und aufgesetzt sind. Über dem steiner-
nen Hauptportale befindet sich der Balkon, der zur Be-
grüßung erlauchter Gäste seitens des Stadtrates dient,
und zu welchem ein vom ersten Stockwerke ausgehendes,
mit dem Stadtwrappen bekröntes Portal führt, das mit
einem hübschen, teilweise vergoldeten, stilgerechten
Eisengitter geschlossen ist.
Sehenswert ist der große Sitzungssaal mit vierzehn
Porträts fürstlicher Persönlichkeiten sowie von Wohl-
tätern der Stadt, und einer in Silber von Wolfgang
Hauser getriebenen Ansicht Steyrs und Umgebung aus
dem 16. Jahrhundert, und das mit seltenen Urkunden
bereicherte Archiv, das das herrliche Stadtrichterschwert
mit den entzückenden Silberornamenten beherbergt; ein
Prachtwerk der deutschen Goldschmiedekunst des 16. Jahr-
hunderts. Außerdem birgt dasselbe ein 2,70 m langes
Schwert, dessen Parierstange allein 61 cm mißt, das
vielleicht als das größte der Welt angesehen werden kann.
Die im Sitzungssaale aufgehängte, aus weißen Marmor
gemeißelte Reliefschrift ermahnt den Richter, bei seinem
Ürteilspruche Gerechtigkeit walten zu lassen.
»Richter schau, daß du riehst recht
Gott ist Richter und Du sein Knecht.
Dann gleich wie Du thust richten mich
Also wird Gott auch Richten Dich.
16—12.«
Die Länge des Prachtschwertes mißt 1,30 m, der
Griff 31,5 cm, die Klinge 90 cm, ihre obere Breite 4,5 cm
und an der Spitze 3 cm. Die gesamte Ornamentik ge-
hört der Originalzeit der deutschen Renaissance an, und
zwar jenem Charakter, der vornehmlich in den Städten
 
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