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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0185

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GROSSHABERSDORF • PFARRKIRCHE

180
Jahrhunderts neu errichtet wurde. Der eingezogene, kreuzrippengewölbte Chor mit einem Joch und 5/8-Schluß
besitzt sechs zweibahnige Fensteröffnungen von drei bzw. vier Zeilen in der Höhe, Kopfscheiben und bekrönende
Drei- und Vierpaßformen.
Spätestens zum Zeitpunkt der Barockisierung 1726/28, als mit dem Einbau der Chorempore - und insbesondere der
schönen Chororgel - die Chorschlußfenster nicht nur großenteils verdeckt (das Achsenfenster völlig, die beiden
Schrägfenster je zur Hälfte), sondern zudem als Hauptlichtquelle benötigt wurden, dürften die damals noch vorhan-
denen Teile der ursprünglichen Chorverglasung herausgenommen, vereinzelt auch versetzt, doch überwiegend durch
blanke Scheiben ersetzt worden sein: Darauf deuten nicht allein die stattlichen Beträge, die dem Glaser zu Cadolz-
burg, Johann Conradt Schuller in den Jahren 1726 und 1728 ausbezahlt wurden1 2 3 4. Auch der damalige Verkauf von vier
alten und mit abgöttischen Figuren und Bildern gezierten Altären um den Preis von 20 Gulden zeugt von der Einstel-
lung, die man den alten Monumenten entgegenbrachte5. Um die Jahrhundertwende, möglicherweise im Zuge der
Renovierung von 1909/10, wurden die mittelalterlichen Scheiben ergänzt und mit einer neu angefertigten, fensterfül-
lenden Ornamentverglasung - im wesentlichen Grauteppichmuster mit eingestreuten Farbakzenten und florale Kopf-
und Maßwerkscheiben - umgeben. Die beiden letzten Restaurierungen der Glasgemälde in den Werkstätten Frenzei,
Nürnberg (1964), und G. van Treeck, München (1982), galten der wiederholten Reinigung der Innen- und Außensei-
ten von Wetterstein, der Entfernung von Schmutzkrusten und Kittrückständen, der Sicherung der Malschichten und
der Stabilisierung der Verbleiung.
Erhaltung: Gemessen an den extremen Schadensbildern einer überwiegenden Mehrzahl mittelfränkischer und
Nürnberger Farbfenster des ausgehenden 14. Jahrhunderts, die in erster Linie auf die Verwendung damals üblicher,
weicher, alkalireicher Gläser, aber gewiß auch auf verfahrenstechnische Mängel beim Brand im Rahmen jener gewalti-
gen Massenproduktion Nürnberger Glasmalereibetriebe zurückzuführen ist6, erscheinen die Restfelder in Großha-
bersdorf in einem außerordentlich guten Zustand. Ergänzungen, meist aus jüngerer Zeit, bleiben in der Hauptsache
auf den Randbereich beschränkt und beeinträchtigen das Gesamtbild nur vereinzelt. Transparenzeinbußen, wie beim
größten Teil Nürnberger Farbfenster dieser Zeit, sind so gut wie nicht zu verzeichnen, nicht zuletzt weil die Farbglä-
ser, mit Ausnahme von Weiß und Bernsteingelb, auf der Außenseite eine zwar geschlossene, im Zuge der beiden letz-
ten Restaurierungen jedoch bis auf die Gelschicht abgetragene, außerordentlich ausgedünnte Korrosionsschicht zei-
gen. In erstaunlich gutem Zustand befindet sich auch die unprätentiöse Bemalung, deren locker wässriger Auftrag alle
Anzeichen einer routinemäßigen Ausführung besitzt; Nachkonturierungen jüngerer Zeit, wie sie angesichts der brei-
ten Strichführung mehrfach behauptet wurden, konnten nur ganz punktuell in Kaltmalerei nachgewiesen werden. Zu
den schwerstwiegenden Eingriffen in die originale Substanz zählen die von Gottfried Frenzei vor 1964 vorgenomme-
nen umfangreichen rückseitigen Doublierungen, die aus heutiger Sicht nur in Einzelfällen durch die Entfernung wirk-
lich störender Sprungbleie gerechtfertigt erscheinen. Inzwischen sind durch Vergilbung des Klebers (Araldit) zuneh-
mende Farbverschiebungen eingetreten. Im gleichen Rahmen wurden die aufgeschlossenen Rückseiten und
vereinzelte Partien der Innenflächen samt fragilen Teilen der Bemalung mit einer stark verdünnten Aralditlösung
imprägniert.
Rekonstruktion, ikonographisches Programm: Die scheinbar wahllose Erhaltung von Resten eines Passionsfen-
sters, eines Marienfensters und eines Heiligenfensters erklärt sich zum einen gewiß aus der beiläufigen, dekorativen
Wiederverwendung der Felder seit der Barockisierung der Kirche im 18. Jahrhundert, zum anderen könnte aber doch

1 Kroner, 1986, S. 155.
2 Heidingsfelder, 1938, S. 142, Nr. 447.
3 August Gebessler, Kurzinventar Fürth, 1963, S. 102f.; Kroner, 1986,
S. 33E
4 LkAN, PfA Großhabersdorf, R. 3:1726, S. 9; 1728, S. 10; die betreffen-
den Bauakten Nr. 21 o und 211 geben keinen weiteren Hinweis.
5 LkAN, MKA, Spez. 349, Großhabersdorf II, 1674-1795 (Schreiben
des Pfarrers Joh. Ludwig Pfenning an das Konsistorium vom 2. April
1726).

6 Zum Monopol Nürnberger Glasmalerei im ausgehenden 14. Jh. vgl.
die Kunstgeschichtliche Einleitung S. 57-63. Zur herausragenden Erhal-
tung der Großhabersdorfer Scheiben vgl. etwa die annähernd zeitglei-
chen Scheiben in Markt Erlbach (S. 2861.) und Dietenhofen (S. 118), aber
auch Creglingen (Beoksmann, CVMA Deutschland 1,2, 1986, S. 16-25),
Mühlhausen/Thüringen (Richter, CVMA Deutschland XVI, 1993,
S. 71, 88-106) und besonders Nürnberg selbst: St. Sebald und St. Martha;
zu den Fenstern des 14. Jh. in St. Sebald einstweilen Frenzel, 1954, lei-
der ohne eine diesbezügliche Charakterisierung der Erhaltung.
 
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