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HENFENFELD * PFARRKIRCHE
die zu Teilen noch ihre ursprüngliche Gestalt besitzen (Fig. pj)5 6 7. Die Breite von rund 35 cm der beiden kleinen rund-
bogigen Flankenfenster läßt sich ebensogut mit dem schlanken Hochformat der Nikolausscheibe (B. 16 cm) wie mit
der etwas gedrungeneren Proportion der Michaelsscheibe (B. 21 cm) in Einklang bringen, vorausgesetzt, man rechnet
in beiden Fällen mit den zeittypischen breiten ornamentalen Randbordüren. Vergleicht man zeitgleiche Standfiguren-
fenster, etwa in St. Kunibert in Köln, im Straßburger Münster oder - in moderateren Verhältnissen - in der Pfarrkir-
che St. Mauritius zu Heimersheim/Ahr, dann nehmen dort die Borten mindestens ebensoviel Platz ein wie die figür-
lichen Teile8. Übertragen auf die kleineren rundbogigen Fensteröffnungen in Henfenfeld kann das Beispiel
Heimersheim aber noch etwas anderes verdeutlichen: Das Verhältnis von Figurenhöhe und lichten Fenstermaßen
erlaubt auch hier ohne weiteres die Übereinanderstellung zweier Standfiguren, eine Möglichkeit, die folglich für Hen-
fenfeld nicht ausgeschlossen werden kann; andernfalls könnte die verbleibende Fläche aber auch ornamental gefüllt
gewesen sein. Nimmt man das schmalere Format des Nikolaus für die Seitenfenster in Anspruch, dann dürfte der
Erzengel einst (vor der gotischen Erweiterung) im Mittelfenster gesessen haben; denkbar ist aber auch die ursprüngli-
che Plazierung einer der beiden Figuren im (später vergrößerten) Südfenster des Chores.
Technik, Stil, Datierung: Daß die Scheiben des 13. Jahrhunderts gewöhnlich bis zu zwanzig Jahre separiert und
auch stilistisch unterschiedlich eingeordnet werden konnten, ist angesichts der absolut identischen Maltechnik mit
ihren signifikanten Eigentümlichkeiten in den originalen Teilen heute nicht mehr nachzuvollziehen9. Völlig irrelevant
ist dabei auch die postulierte wesensmäßige Unterscheidung des bewegten Drachentöters von der hieratisch strengen
Frontalfigur des Bischofs, die in diesem Zusammenhang von Kautzsch so ausgiebig beschrieben worden ist. Ein
übriges dürfte auch die erst von Wentzel als solche erkannte Reparatur des Nikolaus mit einem Kopf des späten 14.
Jahrhunderts (Nürnberger Provenienz) beigetragen haben, den vermeintlichen Unterschieden stärker nachzuspüren
als den tatsächlich vorhandenen Gemeinsamkeiten10.
Sehen wir ab von der einfühlsam, aber doch nicht ganz stilecht ergänzten Partie im gelben Mantel des Michael und
vom »Nürnberger Kopf< des Nikolaus, dann sind die unmittelbaren Zusammenhänge evident: Die saubere, dekorative
Malerei baut sich auf aus flüssig gesetzten breiten Konturstrichen in deckendem Schwarzlot, die - auch rückseitig
unterstützt - von dünnen Parallel-Linien, z.T. in Halbton, und radierten Lichtern begleitet werden. Ein Spezifikum
des Glasmalers sind die an den Enden wie Enterhaken umgebogenen breiten Konturen, wobei der weicheren breiten
Hauptbiegung stets eine dünnere, zackig spitze eingeschrieben ist (Fig. 95 f.). In dieser Hinsicht eng vergleichbar -
nicht jedoch im Typenschatz - sind die Reste der spätromanischen Chorverglasung der Erfurter Barfüßerkirche, die
um 1230/40 in einer Mainzer oder Erfurter Werkstatt ausgeführt worden ist11.
Der Henfenfelder Nikolaus ist von Kautzsch durch den direkten Vergleich einer Stifterscheibe mit Standfiguren der
Hll. Augustinus und Nikolaus im Hessischen Landesmuseum Darmstadt um 1250/60 und pauschal behaupteten
Beziehungen zur Würzburger Buchmalerei der Jahrhundertmitte für eine Würzburger Werkstatt in Anspruch genom-
men worden - eine Lokalisierung, die zusammen mit der Datierung später auch von den einschlägigen Denkmälerin-
ventaren übernommen wurde12. Die Darmstädter Heiligen, die tatsächlich bereits einer fortgeschrittenen Stilstufe
5 Die fraglichen Akten Nr. 186 (Bauliche Unterhaltung der einzelnen
Teile der Kirche 1810-1913), Nr. 190 (Restaurierung der Kirche 1911,
1914 und 1925) und Nr. 193 (Totenschilder, Altar, Kanzel, Taufstein u.a.
1902-1921) waren im PfA Henfenfeld leider nicht aufzufinden.
6 Dem Kurzbericht vom 1. 10. 1998 im PfA Henfenfeld zufolge waren
nur 4 mittelalterliche Felder in den Ostfenstern des Chores von der
Maßnahme betroffen; zur Montage vor der Schutzverglasung mußten die
Felder seitlich z.T. extrem beschnitten werden.
7 Im schwedischen Gotland sind noch ähnlich bescheiden proportio-
nierte Dreifenstergruppen mit intakter Farbverglasung in spätromani-
schen Rechteckchören erhalten geblieben, die dort in der Regel Szenen
der Heilsgeschichte vorbehalten sind, aber dennoch eine gute Vorstel-
lung vermitteln können (vgl. CVMA Skandinavien, 1964, S. 17-21, 27,
Abb. 1-4, 10).
8 Wentzel, Meisterwerke, ^954, Abb. 26, 28-41, 52E; Corpus Vitrea-
rum France IX,1, 1986, v.a. S. 59!!. (Querhausfenster mit überwiegend
erneuerten Randbordüren). - Ein dem kleinen Maßstab der Henfenfel-
der Scheiben ebenbürtiges, zudem im Typus der Figuren verblüffend
ähnliches Vergleichsbeispiel befand sich ehemals in der Pfarrkirche zu
Silte in Gotland (CVMA Skandinavien, 1964, Taf. 48 f.). Die Maße der
Scheiben eines Hl. Michael als Drachentöter und eines Hl. Martin als
Bischof betragen dort 52,5 x 30 cm bzw. 52 x 37,5 cm.
9 Erstmals bei Kautzsch, 1931, S. io bzw. 18; später übernommen von
Wilhelm Schwemmer in: Kdm. Bayern, MF X, 1959, S. 113, bzw. Dehio
Franken, 1979, S. 362, und 2i999, S. 447, sowie Fitz-Ulrich, 1984,
S. 139.
10 Wentzel, Meisterwerke, 219 54, S. 88.
11 Karl-Joachim Maercker, in: CVMA DDR I,i, Berlin 1976, S. 3-78;
Becksmann, 1995, S. 54-56; Daniel Hess, Barocke Spätromanik oder
byzantinische Gotik ?, in: Kat. Ausst. Köln 1998, S. 63-67.
12 Kautzsch, 1931, S. 10; vgl. hierzu auch Anm. 7.
HENFENFELD * PFARRKIRCHE
die zu Teilen noch ihre ursprüngliche Gestalt besitzen (Fig. pj)5 6 7. Die Breite von rund 35 cm der beiden kleinen rund-
bogigen Flankenfenster läßt sich ebensogut mit dem schlanken Hochformat der Nikolausscheibe (B. 16 cm) wie mit
der etwas gedrungeneren Proportion der Michaelsscheibe (B. 21 cm) in Einklang bringen, vorausgesetzt, man rechnet
in beiden Fällen mit den zeittypischen breiten ornamentalen Randbordüren. Vergleicht man zeitgleiche Standfiguren-
fenster, etwa in St. Kunibert in Köln, im Straßburger Münster oder - in moderateren Verhältnissen - in der Pfarrkir-
che St. Mauritius zu Heimersheim/Ahr, dann nehmen dort die Borten mindestens ebensoviel Platz ein wie die figür-
lichen Teile8. Übertragen auf die kleineren rundbogigen Fensteröffnungen in Henfenfeld kann das Beispiel
Heimersheim aber noch etwas anderes verdeutlichen: Das Verhältnis von Figurenhöhe und lichten Fenstermaßen
erlaubt auch hier ohne weiteres die Übereinanderstellung zweier Standfiguren, eine Möglichkeit, die folglich für Hen-
fenfeld nicht ausgeschlossen werden kann; andernfalls könnte die verbleibende Fläche aber auch ornamental gefüllt
gewesen sein. Nimmt man das schmalere Format des Nikolaus für die Seitenfenster in Anspruch, dann dürfte der
Erzengel einst (vor der gotischen Erweiterung) im Mittelfenster gesessen haben; denkbar ist aber auch die ursprüngli-
che Plazierung einer der beiden Figuren im (später vergrößerten) Südfenster des Chores.
Technik, Stil, Datierung: Daß die Scheiben des 13. Jahrhunderts gewöhnlich bis zu zwanzig Jahre separiert und
auch stilistisch unterschiedlich eingeordnet werden konnten, ist angesichts der absolut identischen Maltechnik mit
ihren signifikanten Eigentümlichkeiten in den originalen Teilen heute nicht mehr nachzuvollziehen9. Völlig irrelevant
ist dabei auch die postulierte wesensmäßige Unterscheidung des bewegten Drachentöters von der hieratisch strengen
Frontalfigur des Bischofs, die in diesem Zusammenhang von Kautzsch so ausgiebig beschrieben worden ist. Ein
übriges dürfte auch die erst von Wentzel als solche erkannte Reparatur des Nikolaus mit einem Kopf des späten 14.
Jahrhunderts (Nürnberger Provenienz) beigetragen haben, den vermeintlichen Unterschieden stärker nachzuspüren
als den tatsächlich vorhandenen Gemeinsamkeiten10.
Sehen wir ab von der einfühlsam, aber doch nicht ganz stilecht ergänzten Partie im gelben Mantel des Michael und
vom »Nürnberger Kopf< des Nikolaus, dann sind die unmittelbaren Zusammenhänge evident: Die saubere, dekorative
Malerei baut sich auf aus flüssig gesetzten breiten Konturstrichen in deckendem Schwarzlot, die - auch rückseitig
unterstützt - von dünnen Parallel-Linien, z.T. in Halbton, und radierten Lichtern begleitet werden. Ein Spezifikum
des Glasmalers sind die an den Enden wie Enterhaken umgebogenen breiten Konturen, wobei der weicheren breiten
Hauptbiegung stets eine dünnere, zackig spitze eingeschrieben ist (Fig. 95 f.). In dieser Hinsicht eng vergleichbar -
nicht jedoch im Typenschatz - sind die Reste der spätromanischen Chorverglasung der Erfurter Barfüßerkirche, die
um 1230/40 in einer Mainzer oder Erfurter Werkstatt ausgeführt worden ist11.
Der Henfenfelder Nikolaus ist von Kautzsch durch den direkten Vergleich einer Stifterscheibe mit Standfiguren der
Hll. Augustinus und Nikolaus im Hessischen Landesmuseum Darmstadt um 1250/60 und pauschal behaupteten
Beziehungen zur Würzburger Buchmalerei der Jahrhundertmitte für eine Würzburger Werkstatt in Anspruch genom-
men worden - eine Lokalisierung, die zusammen mit der Datierung später auch von den einschlägigen Denkmälerin-
ventaren übernommen wurde12. Die Darmstädter Heiligen, die tatsächlich bereits einer fortgeschrittenen Stilstufe
5 Die fraglichen Akten Nr. 186 (Bauliche Unterhaltung der einzelnen
Teile der Kirche 1810-1913), Nr. 190 (Restaurierung der Kirche 1911,
1914 und 1925) und Nr. 193 (Totenschilder, Altar, Kanzel, Taufstein u.a.
1902-1921) waren im PfA Henfenfeld leider nicht aufzufinden.
6 Dem Kurzbericht vom 1. 10. 1998 im PfA Henfenfeld zufolge waren
nur 4 mittelalterliche Felder in den Ostfenstern des Chores von der
Maßnahme betroffen; zur Montage vor der Schutzverglasung mußten die
Felder seitlich z.T. extrem beschnitten werden.
7 Im schwedischen Gotland sind noch ähnlich bescheiden proportio-
nierte Dreifenstergruppen mit intakter Farbverglasung in spätromani-
schen Rechteckchören erhalten geblieben, die dort in der Regel Szenen
der Heilsgeschichte vorbehalten sind, aber dennoch eine gute Vorstel-
lung vermitteln können (vgl. CVMA Skandinavien, 1964, S. 17-21, 27,
Abb. 1-4, 10).
8 Wentzel, Meisterwerke, ^954, Abb. 26, 28-41, 52E; Corpus Vitrea-
rum France IX,1, 1986, v.a. S. 59!!. (Querhausfenster mit überwiegend
erneuerten Randbordüren). - Ein dem kleinen Maßstab der Henfenfel-
der Scheiben ebenbürtiges, zudem im Typus der Figuren verblüffend
ähnliches Vergleichsbeispiel befand sich ehemals in der Pfarrkirche zu
Silte in Gotland (CVMA Skandinavien, 1964, Taf. 48 f.). Die Maße der
Scheiben eines Hl. Michael als Drachentöter und eines Hl. Martin als
Bischof betragen dort 52,5 x 30 cm bzw. 52 x 37,5 cm.
9 Erstmals bei Kautzsch, 1931, S. io bzw. 18; später übernommen von
Wilhelm Schwemmer in: Kdm. Bayern, MF X, 1959, S. 113, bzw. Dehio
Franken, 1979, S. 362, und 2i999, S. 447, sowie Fitz-Ulrich, 1984,
S. 139.
10 Wentzel, Meisterwerke, 219 54, S. 88.
11 Karl-Joachim Maercker, in: CVMA DDR I,i, Berlin 1976, S. 3-78;
Becksmann, 1995, S. 54-56; Daniel Hess, Barocke Spätromanik oder
byzantinische Gotik ?, in: Kat. Ausst. Köln 1998, S. 63-67.
12 Kautzsch, 1931, S. 10; vgl. hierzu auch Anm. 7.