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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0025

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XX

KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

Untersuchungen unabdingbare Voraussetzungen sind. Kennzeichnend für die damalige Situation ist die Fehlbeurteilung
der Heldenfenster im alten Ratssaal des Lüneburger Rathauses durch H. Schmitz. In seiner überaus kenntnisreichen
und noch immer lesenswerten Einführung in die Geschichte der deutschen Glasmalerei, die er seinem 1913 erschienenen
monumentalen Katalog der Glasmalereien des Berliner Kunstgewerbemuseums vorangestellt hatte, ordnete er die
»unter zusammengestückten Baldachinen« stehenden Standfiguren der Neun Guten Helden, ausgehend von der 1843
von J.W. Albers veröffentlichten Umrißzeichnung (Taf. XII) — offenbar der einzigen vor 1913 verfügbaren Gesamtab-
bildung —, den Heiligengestalten des von ihm »wenig vor 1500« angesetzten Töbing-Fensters im Nonnenchor der
Klosterkirche zu Wienhausen zu, von dem ihm ebenfalls nur die 1853 veröffentlichte Nachzeichnung Mithoffs
(Taf. XXX) vorlag3. Obwohl V.C. Habicht die fraglichen Denkmäler aus eigener Anschauung kannte und die
Fehlbewertung von Schmitz bereits 1919 berichtigt hatte, blieb sein 1930 unternommener Versuch eines Überblicks
über die erhaltenen Glasmalereien im Rahmen einer gattungsübergreifenden Gesamtdarstellung der niedersächsischen
Kunst des Mittelalters vor allem in seinen Lokalisierungs- und Datierungsvorschlägen fragwürdig, konnte er sich
doch weder auf grundlegende archäologisch-historische Bestandsaufnahmen noch auf stilkritische Spezialuntersuchun-
gen stützen4. Erst in den 1951 erstmals erschienenen »Meisterwerken der Glasmalerei« hat H. Wentzel die hier
bearbeiteten Bestände überzeugend in ihre größeren Zusammenhänge eingeordnet und entsprechend gewürdigt5.
Wentzel, der sich bereits mit seinem 1938 erschienenen Werk über die Lübecker Plastik bis zur Mitte des 14. Jh.
als profunder Kenner der Kunst des Hanseraumes ausgewiesen hatte, konnte hierzu nicht nur auf die während
des Krieges unter seiner Leitung für den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft angefertigten Einzel- und Detail-
aufnahmen zurückgreifen. Von ihm stammt auch die bis heute einzige, 1944 in schwedischer Sprache erschienene
Spezialuntersuchung zur norddeutschen Glasmalerei von etwa 1250 bis um 1400, in der erstmals versucht wird,
die Lüneburger Glasmalereiproduktion zu umreißen und gegen andere Kunstzentren, vor allem Lübeck abzugrenzen6.
Dabei war auch ihm eine aus heutiger Sicht unverständlich erscheinende Fehlbeurteilung unterlaufen: Wohl wegen
fehlender Maße hatte er die Zugehörigkeit der in das Schweriner Museum gelangten Alexander-Mauritius-Scheibe
(Abb. 295) zu jenen heute im Chorgang des Klosters Wienhausen eingesetzten Scheiben aus der Farbverglasung
des Glockengangs (Abb. 232, 240-243) nicht erkannt und so irrigerweise in der Schweriner Scheibe den einzigen
Rest figürlicher Glasmalerei des frühen 14. Jh. aus Lübeck vermutet.
In den frühen fünfziger Jahren hatte schließlich M. Mollenhauer in Mainz bei Friedrich Gerke eine Dissertation
über die Lüneburger Glasmalerei von 1380 bis 1530 in Angriff genommen, die, wäre sie abgeschlossen und gedruckt
worden, neben das 1959 erschienene grundlegende Werk von W. Meyne über die Lüneburger Plastik des 15. Jh.
hätte treten können, zumal den schriftlichen Quellen dort eine ähnliche Bedeutung eingeräumt wird7. Der überraschen-
den Fülle an schriftlicher Überlieferung zur Stiftung und Ausführung von Glasmalereien unterschiedlichster Art

Bände umfassenden Collectanea des Ludwig Albrecht Gebhardi (1735-
1802) zu nennen, der seit 1765 Lehrer an der Ritterakademie in Lüneburg
war, bevor er 1799 als Bibliothekar und Archivar nach Hannover ging,
wo in der Niedersächsischen Landesbibliothek auch sein schriftlicher
Nachlaß verwahrt wird.
Dieser Tradition bleibt auch noch das 1925 erschienene, durch seine
zahlreichen Holzschnittillustrationen von Arthur Illies ganz expressioni-
stisch anmutende Buch von W. Reinecke über das Lüneburger Rathaus
verpflichtet, enthält es doch in anschaulich erzählender Form eine Über-
fülle archivalischer Fakten.
3 Da H. Schmitz, 1913, 1, S. 82f., 256; II, Taf. 26, nur drei Scheiben
des Berliner Kunstgewerbemuseums einer Lüneburger Werkstatt zuwei-
sen konnte, dürfte er vergleichsweise wenig Zeit für die Aufarbeitung
des Abschnitts über niederdeutsche Glasmalerei, die in der Sammlung
ohnedies nur schwach vertreten war, aufgewendet haben.
4 V.C. Habicht, Kunstkreis, Hannover 1930, S. 375-378. In seinem
früheren Werk, Die mittelalterliche Malerei Niedersachsens I (von den
Anfängen bis um 1450), Straßburg 1919, S. 158, Taf. XXII, hatte er
lediglich die Heldenfenster im Rathaus in seine stilgeschichtlichen Be-
trachtungen einbezogen, »um einen Begriff von der ortsangesessenen
Verarbeitung der Stilbewegung um 1400 zu bieten und den Unterschied

gegenüber den Malereien der goldenen Tafel, namentlich des Mittelteils,
recht deutlich werden zu lassen«.
5 H. Wentzel, Meisterwerke, 2i954, S. 41, 54, 70, Textabb. 31, 43,
Abb. 125 f., 178. Mit seiner Auswahl der Abbildungen vermochte er frei-
lich den spezifischen Charakter der Lüneburger Glasmalerei nicht hinrei-
chend zu veranschaulichen. Dies wurde erst mit den seit 1972 angefertig-
ten Neuaufnahmen möglich. Vgl. hierzu R. Becksmann, Deutsche Glas-
malerei des Mittelalters. Eine exemplarische Auswahl (Katalog einer
Wanderausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen), Stuttgart
1988, Nr. 26, 36, 38f.
6 H. Wentzel, Nordtyska glasmälningar, 1944, S. 21-28, Abb. 10-17.
- An dieser Stelle sei Herrn Professor Dr. Erik Forssman, Freiburg
i. Br., herzlich gedankt für seine liebenswürdige Hilfe bei der Überset-
zung des schwedischen Textes.
7 Von der bereits bei H. Wentzel, Meisterwerke, 2i954, S. 99, 109,
angekündigten Arbeit, stand den Autoren der Urkundenkatalog (Ms.
in der Arbeitsstelle des CVMA in Freiburg i. Br.) zur Verfügung. Veröf-
fentlicht sind davon nur die im Kassenbuch der St.-Lukas-Gilde enthalte-
nen Eintragungen aus der Zeit um 1500. Vgl. M. Mollenhauer, Die
Glasewerter des St. Lukas-Büssenbuches im Lüneburger Museum, in:
Lüneburger Blätter 5, 1954, S. 62-70.
 
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