Metadaten

Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0308

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WIENHAUSEN
EHEMALIGES ZISTERZIENSERINNENKLOSTER

Die Errichtung eines Nonnenklosters in Wienhausen, einer Ortschaft, die seit der Mitte des n. Jh. unter dem rechtli-
chen Schutz des Bischofs von Hildesheim stand und Sitz eines Archidiakons war, dürfte durch die Nähe zur Burg
der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, die bis zum Ende des 13. Jh. in Altencelle residierten, begünstigt worden
sein1. 1221 soll es, mit Nonnen aus dem Zisterzienserinnenkloster Wöltingerode am Harz besetzt, zunächst in Nienhagen
gegründet worden sein; 1229 war es bereits nach Wienhausen verlegt2. Dort erhielt das von Bischof Konrad II.
von Hildesheim reich dotierte Kloster die abseits des Marktfleckens in den Niederungen der Aller gelegene Archidiako-
natskirche samt ihrem Grundbesitz und allen ihren Rechten zugewiesen. Dieser möglicherweise in das erste Jahrtausend
zurückreichende, dem Hl. Alexander geweihte Saalbau mit eingezogenem Chorquadrum besaß eine quergelagerte,
den Aposteln Simon und Judas Thaddäus geweihte Vorkirche, die als Baptisterium diente. Ihr Obergeschoß dürfte
sich emporenartig zum Schiff hin geöffnet haben — ein Umstand, der den Nonnen einen sofortigen Um- bzw. Neubau
der Kirche erspart haben wird; erst im späten 13. Jh. wurde dieser in Angriff genommen (s. S. 233)3. Mit der
Klostergründung war außerdem das Amt des Archidiakons auf den Propst, dem die weltliche Verwaltung des Klosters
oblag, übergegangen.
Als Stifterin des Klosters gilt Markgräfin Agnes von Meißen, die zweite Gemahlin des 1227 verstorbenen Herzogs
Heinrich von Sachsen und Pfalzgrafen bei Rhein, des ältesten Sohnes Heinrichs des Löwen. Sie verbrachte ihre
letzten Lebensjahre in Wienhausen und soll — der Chronik zufolge — dort 1266 in der Vorhalle vor dem Taufstein
beigesetzt worden sein4. Um 1290, vermutlich zu jenem Zeitpunkt, da diese Vorkirche einem Neubau der Nonnenkirche
weichen mußte, errichtete man ihr jenes Stifterdenkmal, das heute wieder in der Nähe ihres Grabplatzes in der
Halle unter dem Nonnenchor steht5.
Entgegen der überall zu findenden Angabe, das Nonnenkloster Wienhausen sei 1244 in den Zisterzienserorden aufge-
nommen worden, ist inzwischen erwiesen, daß Herzog Otto I. von Braunschweig-Lüneburg 1244 zwar dessen Auf-
nahme beantragt hatte, diese aber vom Generalkapitel abgelehnt worden war6. Angesichts des 1220 erlassenen und
1244 nochmals verschärften Aufnahmeverbots von Nonnenklöstern in den Gesamtorden verwundert dieser Tatbestand
nicht. Obwohl das Nonnenkloster Wienhausen, den Gepflogenheiten des Zisterzienserordens folgend, der Muttergottes
geweiht war, und seine zunächst meist dem Fürstenstand entstammenden Insassen nach den Consuetudines des Hl.
Bernhard von Clairvaux zu leben vorgaben, blieben sie, adligen Kanonissenstiften vergleichbar, mit ihren Angehörigen
verbunden, behielten sie Besitz und Privilegien bis zu ihrem Tode.

1 Die Darstellung der Geschichte des Klosters folgt im wesentlichen
der grundlegenden Bearbeitung und Auswertung der Quellen durch K.
Maier, in: Kdm. Wienhausen, 1970, S. XVII-XIX. Darüber hinaus
sei auf die jüngste Darstellung durch H. Appuhn, Wienhausen hySd,
S. 8—11, 46—49, 58—64, verwiesen.
2 Diese Überlieferung beruht auf der zwar erst im 17. Jh. verfaßten,
aber auf ältere Vorlagen zurückgehenden Chronik des Klosters Wienhausen,
die H. Appuhn zusammen mit dem Totenhuch des Klosters (Wienhausen
31986) ediert und kommentiert hat. Zum Gründungsdatum vgl. zuletzt
H. Appuhn, Wienhausen, 2i986, S. 66, Anm. 3.
3 Zu diesen auf Ausgrabungen beruhenden Überlegungen vgl. J. Som-
mer, Neue Funde zur Baugeschichte der romanischen Archidiakonatskir-
che in Wienhausen, in: Niedersächsische Denkmalpflege 4, 1958/59,
S. 15-22, und K. Maier, Materialien zur Frühgeschichte der Klosterkir-
che in Wienhausen und ihrer Baulichkeiten, ebenda 6, 1965/69. S. 102-
121.
4 Das Datum ihres Todes ist nicht gesichert. K. Maier (s. Anm. 3),

1965/69, S. 105 f., nimmt mit guten Gründen an, daß Agnes bereits zwi-
schen 1248 und 1253 verstorben ist.
5 Zuletzt hierzu H. Appuhn, Wienhausen, 2i986, S. gf., 29, Abb. 7, und
K. Maier, in: Kdm. Wienhausen, 1970, S. I28f., Abb. 162. Daß zwi-
schen der Verlegung des Grabes, der Anfertigung der St'ifterfigur und
dem Neubau der Kirche ein ursächlicher Zusammenhang bestehen dürf-
te, war bisher nicht erwogen worden.
6 Als erster hatte dies N. Heutger, Zisterzienser-Nonnen in Niedersach-
sen, in: Clteaux 38, 1987, S. 193—200, unter Verweis auf die von J.-M.
Canivez edierten Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis II,
Löwen 1934, S. 283, richtiggestellt und darauf hingewiesen, daß Wien-
hausen in den Statuten später nicht mehr erwähnt wird. Zweifel hatte
zuvor schon R. Kroos, Der Codex Gisle, in: Niederdeutsche Beiträge
zur Kunstgeschichte 12, 1973, S. 124, unter Verweis auf die reiche künst-
lerische Ausstattung des Klosters geäußert. Vor allem aber war ihr in
den erhaltenen Urkunden aufgefallen, daß bei allen wichtigen Rechtsge-
schäften nie ein Ordensvertreter, sondern stets der Bischof von Hildes-
heim seine Zustimmung erteilt.
 
Annotationen