Metadaten

Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0268

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RAMELSLOH • EHEMALIGES KANONIKERSTIFT

Das Kanonikerstift SS. Sixti et Sinnitii in Ramelsloh gehört zu den ältesten geistlichen Niederlassungen im nördlichen
Niedersachsen1. Der genaue Zeitpunkt der Gründung läßt sich nicht festlegen; sie dürfte um die Mitte, spätestens
im letzten Drittel des 9. Jh. erfolgt sein. Zwei im frühen 11. Jh. gefälschte Urkunden, die sich als Diplom König
Ludwigs des Deutschen von 842 und als Bestätigung dieses Privilegs durch Papst Nikolaus I. von 864 ausgeben
und vermutlich dazu dienten, Besitzansprüche des Bischofs von Verden gegen das Erzbistum Bremen abzuwehren,
berichten, daß der von Kaiser Ludwig dem Frommen als erster Erzbischof von Hamburg eingesetzte Corveyer
Mönch Ansgar nach der Zerstörung Hamburgs (die aber erst 845 stattfand) mit einigen Begleitern umhergeirrt
sei, bis die edle Frau Ikia ihm einen kleinen Besitz im Bardengau im Walde Hramesloa, in der Diözese Verden
gelegen, überließ. Ansgar habe dort als Refugium für sich, seine Begleiter und die mitgeführten Reliquien eine
cella errichtet, doch habe Bischof Waldgar von Verden gegen die Gründung des Klosters Widerstand geleistet. Später
habe er eingewilligt; Ludwig habe darauf verfügt, daß die cellula Ramelsloh auf ewig bei der Hamburger Kirche
verbleibe, habe sie unter seinen und seiner Nachfolger Schutz genommen und ihr eine weitgehende Immunität verliehen.
Für einen wahren historischen Kern der beiden Urkundenfälschungen, die vielleicht Ramelsloher mündliche Überliefe-
rungen festhielten, spricht die Verehrung der Hll. Sixtus und Sinnitius als Stiftspatrone in Ramelsloh.
Noch 1529 besaß das Stift eine Sielbern Capsel verguldet darin S. Sixti houett, also ein Kopfreliquiar2. Sixtus und sein
Nachfolger Sinnitius waren die ersten Bischöfe von Reims. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Bischof Ebo von
Reims, dem zusammen mit Ansgar die Mission im Norden Europas aufgetragen war, die Reliquien dieser Reimser
Heiligen mitgebracht und in Hamburg hinterlegt hatte. Von dort können sie kaum anders als infolge der Zerstörung
Hamburgs in das abgelegene Ramelsloh gelangt sein, am ehesten durch Ansgar selbst. Die zwischen 865 und 876
verfaßte und zuverlässige Vita Anskarii des Rimbert von Bremen erwähnt die Gründung von Ramelsloh nicht;
allein nach den Quellen beurteilt, muß sie nach Ansgars Tod (865) durch einen seiner Nachfolger geschehen sein.
Die erste sichere Erwähnung erfolgt im Diplom König Ottos I. für die Bremer Kirche vom 30. Juni 937.
Die gesamte Geschichte des Stifts ist bis zu seiner formellen Auflösung 1863 nur äußerst lückenhaft überliefert,
zum einen wegen des fast vollständigen Verlustes des Stiftsarchivs durch ungünstige Zeitläufte und mangelnde Sorgfalt,
zum anderen infolge der Existenz des Stifts am Rande des politischen und kirchlichen Geschehens. Die seit der
Gründung bestehende Bindung an die Bremer Kirche blieb erhalten, doch führten die Auseinandersetzungen um
die erledigte Grafschaft Stade (1144 und 1235) dazu, daß Ramelsloh als stiftbremische Insel in welfischem Gebiet
lag und keine Möglichkeit mehr hatte, sich der allmählich sich festigenden Landeshoheit der Herzöge von Braunschweig
und Lüneburg zu entziehen. Von den Grafen von Wölpe, die noch 1270 als Schutzvögte erscheinen, ging das Stift
im 14. Jh. an das Herzogtum Lüneburg über. Die Propstei wurde weiterhin an Bremer Domherren übertragen,
die in der Regel auch in Bremen residierten. Das kleine Ramelsloher Kapitel umfaßte im 15. Jh. dreizehn Mitglieder,
die teils aus dem niederen lüneburgischen Landadel, teils aus bürgerlichen Familien stammten. Daneben gab es
Vikare, denen der Altardienst oblag; zehn solcher Vikarien, denen vermutlich je ein Altar in der Stiftskirche zugeordnet
war, sind bekannt. Residierende Kanoniker und Vikare wohnten in einzelnen Kurien rings um den Stiftskirchhof.
Von gemeinsamen Räumen wie Remter oder Refektorium ist nichts bekannt; das Kapitel versammelte sich in der
Katharinenkapelle an der Stiftskirche. Letztere stand allein dem Kapitel zur Verfügung. Die Einwohner des Dorfes
Ramelsloh waren bis 1684 in das 8 km entfernte Pattensen eingepfarrt, doch gab es für die Dorfleute einen Kaland,
eine Gebets- und Fürsorgevereinigung, die nach der Reformation als Gilde weiterbestand. Der Grundbesitz des
Stifts war recht bescheiden und lag überwiegend in den weitum liegenden Dörfern der Acht Ramelsloh, dazu kamen

1 Zum folgenden vgl. ausführlich D. Brosius, Zur Geschichte des Stifts
Ramelsloh im Mittelalter, in: Lüneburger Blätter 25/26, 1982, S. 27—70
(mit allen einschlägigen Nachweisen) sowie Urkundenbuch des Stifts

Ramelsloh (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens
im Mittelalter 2), bearbeitet von D. Brosius, Hildesheim 1981.
2 HStA Hannover, Hann. 113 L III, Nr. 1817.
 
Annotationen