Metadaten

Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0154

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ANHANG • SCHERBENFUNDE

75

Unter den figürlichen Scherben sind hervorzuheben ein grünlichweißes Pferd (Nr. if.; Abb. 257), das zu einem Hl.
Martin oder einem Hl. Georg, dem Stadtpatron von Lüneburg, gehört haben könnte, ein zu Teilen erhaltener,
nach links gewendeter, hellrosaviolett getönter bärtiger Kopf eines Heiligen oder Apostels (Nr. 49—53; Abb. 261),
im Stil den Engeln in den Maßwerkzwickeln der Fenster NORD II—IV nahe verwandt, sowie der Rest eines grün-
lichweißen Engelsflügels (Nr. 54F; Abb. 261), der auf Grund seiner größeren Proportionierung nicht zu einem Engel
der Maßwerkzwickel, sondern zu einem Hl. Michael (?) gehört haben muß. Zusammen mit rotvioletten Gewandresten
(Nr. 5 f., 14; Abb. 258) sind alle diese Scherben jenen Standfiguren zuzuweisen, die einst unter den zu Teilen erhaltenen
Tabernakeltürmen die Zeilen 2 und 3 besetzten (vgl. S. 9f.).
Von den architektonischen Scherben läßt sich der größte Komplex (Nr. 7-11; Abb. 258) einem aus Fenster NORD II
oder NORD V stammenden Architekturbaldachin zuweisen, da entsprechende Bildungen in den Fenstern NORD III
und NORD IV lückenlos erhalten geblieben sind. Von den kleineren Scherben (Nr. 15—32; Abb. 257) läßt sich nur
der Rest einer gelben Kreuzblume (Nr. 24) genau zuordnen: Er stammt aus Fenster NORD IV, 5 c, wo die entspre-
chende Kreuzblume 1852 von Glasmaler H. Horn nach dem erhaltenen Gegenstück in 5 c ergänzt worden ist.
Sechzehn ornamentale Fragmente (Nr. 33—48; Abb. 260) mit lappigem, z.T. löwenzahnartigem Blattwerk auf grün-
lichweißem, mit Braunlot bemaltem Glas stammen ebenfalls aus Fenster NORD IV, unter dem sie 1979 zusammen
mit Blankverglasungsabfall gefunden worden waren. Vermutlich bei der Ersetzung gesplitterter Teile durch Blankglas
im Laufe des 18. Jh. waren sie hinter das Chorgestühl gefallen; 1852 hat Glasmaler H. Horn sämtliche Ausflickungen
mit Blankglas durch gemalte Ergänzungen ersetzt. Zwei Bruchstücke einer grünlichweißen Scherbe mit löwenzahnartig
gelappten Blättern dürften ebenfalls aus Fenster NORD IV stammen, da sie in der Bildung den Randborten der
Stifterscheiben in NORD IV, ia + c (Abb. 15!.) entsprechen.
Einer möglicherweise mit dem Sturmschaden von 1522 zusammenhängenden Reparatur der Nonnenchorfenster sind
die Reste zweier Kopfscherben (Nr. 12, 59—62; Abb. 258, 261) zuzuweisen. Die Härte des nahezu unverwitterten
Glases von Nr. 12 wie die Art der Bemalung erinnern an die Fensterstiftung des Lüneburger Rats von 1523 für
NORD V; die Zeichenweise spiegelt hingegen deutlich das Stilbild der damals in Mitleidenschaft gezogenen Nonnen-
chorverglasung der Zeit um 1390/1400 wider. Auch die für das frühe 16. Jh. ungewöhnlich dunklen Inkarnattöne
weisen auf eine sich an einen älteren Bestand anpassende Instandsetzung hin.
Ein weiterer Komplex durchweg weißer, mit Schwarzlot und reichlich Silbergelb bemalter Scherben (Nr. 64-77;
Abb. 262) ist einem Standfigurenfenster zuzuweisen, dessen Standort im Chor der Klosterkirche zu vermuten ist.
Auf Grund formaler Übereinstimmungen in der Bildung der Rippenknaufkapitelle (Nr. 64—68) stammt es aus derselben
Werkstatt, die um 1470 das Töbing-Fenster für den Nonnenchor des Klosters Wienhausen, 1488 die Chorfenster
für die Ramelsloher Stiftskirche und um 1505 die Chorfenster für die Zisterzienserinnenkirche von Kloster Neuendorf
in der Altmark geliefert hat199. Auch die heute im Kreuzgang eingesetzte kleine Scheibe einer Gregorsmesse (Abb. 18)
kann dieser Lüneburger Werkstatt zugewiesen werden.
Schließlich lassen sich aus diesem Scherbenfund — wenigstens bruchstückhaft — noch zwei Monolithscheiben des
späten 15. Jh. zurückgewinnen, die einst Kapellen- oder Zellenfenster geschmückt haben dürften: Die eine zeigte
unter einem flachbogigen Architekturrahmen einen Hl. Bartholomäus (?) mit Messer und Buch (Nr. 78-80; Abb. 263),
die andere einen vor dem thronenden Gottvater knienden Christus mit Leidenswerkzeugen, wie er ähnlich auf einem
Holzschnitt Wolgemuts im Nürnberger Schat^behalter von 1491 erscheint200. Auf dem schwarz abgedeckten Grund
steht über der verlorenen Christusfigur ein vielfach gefaltetes Schriftband mit silbergelben Rändern, darauf, durch
senkrechte Striche getrennt, folgende Worte in gotischen Minuskeln: one / leue / kint / my(n) v ... n ... arme(n)
su(n) der / ey(n) / 0 ..., über Gottvater: ... st / dat / schal / sy(n).
Ulf-Dietrich Korn

196 Vgl. etwa die Darmstädter Handschrift (H. Appuhn, 1981, S. 68).
197 Dabei lagen zwei Kärtchen mit Aufschriften von der Hand einer
Stiftsdame des späten 19. Jh. mit folgendem Wortlaut: 1. Reste eines
in Blei gefaßten Fensters (Häuser und Türme) 16. Jahrhundert / Kloster Eigen-
tum, 2. Reste einer Christusfigur vermutlich früher in einem Fenster des nördlichen
Kreuzhanges. ig.Jahrh. / Kloster Eigentum.
198 Vgl. hierzu den von U.-D. Korn 1983 verfaßten ausführlichen Scher-

benkatalog (Exemplare des maschinenschriftlichen Manuskriptes befin-
den sich im Archiv des Klosters Ebstorf sowie in der Arbeitsstelle des
CVMA in Freiburg i. Br.).
199 Vgl. zu dieser Werkgruppe ausführlich S. 179
200 M. Geisberg, Geschichte der deutschen Graphik vor Dürer, Berlin
1959, S. ijzf., Abb. 45, bzw. H.Th. Musper, Der Holzschnitt in fünf
Jahrhunderten, Stuttgart 1964, Abb. 64.
 
Annotationen