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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0206

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KÖRKAMMER

II9
2. DIE FARBVERGLASUNG DER BÜRGERMEISTER-KÖRKAMMER VON 1491
Bibliographie: W. Lotz, I, 1862, S. 408 (erste Erwähnung mit teilweise unzutreffender Benennung der Dargestellten);
H.W.H. Mithoff, 1877, S. 186 (beschreibt die vier erstmals richtig identifizierten Bürgermeisterbildnisse in der
1853 vorgenommenen Anordnung; Lesung der Inschriften nicht immer korrekt); F. Krüger/W. Reinecke, Kdm.
Lüneburg, 1906, S. 204, 236—238, Fig. 76 (beschreibende Erwähnung und versuchsweise Verknüpfung mit der Nachzah-
lung, die Gerd Wulff 1495 erhält; s. auch Reg. Nr. 20); H. Schmitz, 1913, I, S. 83 (nach Mithoff; datiert fälschlicher-
weise in die 1. Hälfte des 16. Jh.); W. Reinecke, 1925, S. 71 f. (genaue Beschreibung mit Deutung der nicht vollständig
überlieferten Inschriften); H. Wentzel, Meisterwerke, 21954, S. 70 (Erwähnung); Kat. Ausst. L’äge d’or des grandes
cites, Gent 1958, S. 136, Taf. 17 (ausgestellt waren alle vier Scheiben); J. Paul, in: Kat. Ausst. Braunschweig, 1985,
IV, S. 103 (Erwähnung).
Gegenwärtiger Bestand : Von der ursprünglich acht Felder umfassenden Farbverglasung der einzigen Fensteröffnung
der Körkammer (Fig. 30, 41, Taf. XIVc, Abb. 135—138) blieben die vier 1853 allerdings weitgehend erneuerten unteren
Felder mit den ganzfigurigen Bildnissen der Bürgermeister des Jahres 1490/91 erhalten.
Geschichte des Baues und seiner Verglasung: Ein schmaler, dunkler Gang führt nach Überwindung von zwei
mal vier Stufen und drei (!) Türen von der Westseite des alten Ratssaales hinauf in einen entlegenen, kleinen, längsrecht-
eckigen Raum, in dem nach alter Überlieferung die Bürgermeister gewählt wurden und der daher als Körkammer
bezeichnet wird. 1491 — ein trapezförmiges Leinwandbild über dem Kamin mit einer sitzenden Jungfrau, die an
Bändern zwei einander zugeneigte Schilde mit dem Stadtwappen hält, trägt dieses Datum - hatte der mit einer
Balkendecke versehene, rundum holzgetäfelte Raum seine noch heute nahezu unveränderte Gestalt erhalten115. Die
zahlreichen Regalfächer in der Wand sowie der ursprünglich hierher gehörige große Rechentisch deuten darauf hin,
daß der dank des riesigen Kamins leicht heizbare, auf drei Seiten von verschließbaren Sitzladen umzogene Raum
sowohl zur Beratung als auch zur Ablage von Rechnungen und Verträgen diente. Erhellt wird er ausschließlich
durch ein die ganze Südwand durchbrechendes, stichbogiges Kreuzstockfenster, dessen reich profilierte hölzerne
Rahmen innen mit Basen, Pfeilern und Kapitellen besetzt sind. Wie in Bürgerhäusern waren die unteren Flügel
zur Lüftung des Raumes nach außen auszustellen (Taf. XI a); die hierzu erforderlichen Haken sind noch vorhanden.
Aus diesem Grunde mußten auch die zum Schutz der hier verwahrten Rechnungen und Verträge notwendigen rauten-
förmigen Eisengitter auf der Innenseite des Fensters angebracht werden.
1495 erhält der Lüneburger Glasmaler Gerd Wulff eine Nachzahlung für die Fenster uppe der lutken nygen kamere
uppe deme radhuse (s. Reg. Nr. 20), die mit einiger Gewißheit auf die vermutlich 1491 gelieferte Farbverglasung bezogen
werden kann. Danach schweigen die Quellen. Auch L. A. Gebhardi erwähnt in seinen Collectanea von 1763 die Körkam-
mer nicht. Erst 1853 taucht ihre hauptsächlich aus 4 Figuren bestehende Farbverglasung im Kostenvoranschlag des Rostok-
ker Glasmalers H. Horn (s. Reg. Nr. 27) auf; für eine Summe von 34 rheinischen Talern bot er an, diese vollständig
in gleicher Art wiederher^ustellen, was dann auch geschah. Ob freilich eine so weitgehende kopistische Erneuerung,
wie sie Horn vorgenommen hat, notwendig war, entzieht sich unserer Beurteilung, da wir nichts über ihren Vorzustand
wissen. Immerhin wäre es denkbar, daß die Flügel durch das häufige Ausstellen in stärkerem Umfang als die Heldenfen-
ster durch Sprünge beeinträchtigt gewesen waren. Jedenfalls hat Horns »Wiederherstellung« wesentlich dazu beigetra-
gen, daß dieses für die Geschichte des ganzfigurigen Gruppenbildnisses so bedeutsame Denkmal bisher nicht zur
Kenntnis genommen worden ist116.
Während des Zweiten Weltkriegs waren die Scheiben ausgebaut und sichergestellt. 1955 hat sie H. Mühlenbein,
Hannover, neu verbleit und in korrigierter Anordnung wieder eingesetzt; 1976 wurden sie von der Glasmalerei-
Werkstatt Dr. H. Oidtmann, Linnich, gereinigt, gesichert und durch eine Außenverglasung geschützt.

115 Den besonderen Charakter dieses Raums hat bereits W. Reinecke,
1925, S. 70-74, unnachahmlich erfaßt.
116 Daran hat auch ihre Präsentation auf der 1958 in Gent veranstalteten
Ausstellung »L’äge d’or des grandes cites« nichts zu ändern vermocht.

In der unendlichen Fülle der 1985 in Braunschweig zusammengetragenen
Denkmäler zum Thema »Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bür-
gertums in Norddeutschland 1150—1659« fehlten die Lüneburger Bürger-
meisterbildnisse.
 
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