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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0205

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118

LÜNEBURG • RATHAUS

ANHANG: ABGEWANDERTE SCHEIBEN
HANNOVER, NIEDERSÄCHSISCHES LANDESMUSEUM
WAPPEN UND HELMZIER DES HERZOGTUMS
LÜNEBURG Abb. 296 f.
Zwei Scheibenfragmente. Durchmesser 52 cm. Inv. Nr. WM
XXVIII, 5,6.
1861 vom Rat der Stadt Lüneburg für das Weifenmuseum in
Hannover erworben.
Ehemals Lüneburg, Rathaus. Möglicherweise Reste der Erstver-
glasung der Südfenster der sog. Gerichtslaube (vgl. hierzu auch
S. 92E).
Bibliographie: H. Wentzel, Meisterwerke, 2i954, S. 41, 108,
Textabb. 31 (Lüneburg oder Lübeck, Mitte 14. Jh.); U.-D.
Korn, in: Kat. Ausst. Braunschweig 1985, I, S. 147E, Nr. 90
(kommt auf Grund entwicklungsgeschichtlicher wie heraldischer
Anhaltspunkte zu einer Datierung um 1320/30).
Erhaltung: Gut. Rückseiten geringfügig verwittert. Auf der Vor-
derseite nur in der Zeichnung des Löwen und der Pfauenfedern
der Helmzier leichte Lotverluste. Verbleiung jedoch erneuert;
mehrere Notbleie. Glasbestand in dem Feld mit dem Wappen
bis auf ein kleines rotes Flickstück rechts oben neben dem Schild
intakt erhalten; in dem Feld mit der Helmzier unten links ein
rotes Flickstück mit einem verräumlichten zinnenbekrönten
Rundturm mit Fenstern, darüber ein seitenverkehrt eingesetztes
gelbes Flickstück einer Blattkrabbe. Beide Stücke könnten mit
Wappen und Helmzier zu derselben monumentalen Farbvergla-
sung gehört haben. Einer jüngeren Ergänzung ist nur das dun-
kelrote Glas im Grund über dem rechten Pfauenstutz zuzuwei-
sen.
Ikonographie, Komposition, Farbigkeit: Wappen wie Helmzier sind
jeweils mit rotem Grund hinterlegt und von einem Fünfpaß
kreisförmig gefaßt. Die Trennung von Wappen und Helmzier
sowie deren gleichwertige Rahmung sind ungewöhnlich und las-
sen einen größeren kompositionellen Zusammenhang erschlie-
ßen112.
Das Wappen zeigt in einem goldenen Schild, der allerdings nicht
mit roten Herzen bestreut ist, einen steigenden blauen Löwen
(Herzogtum Lüneburg). Das in dieser Form von den Herzögen
von Alt-Lüneburg seit der Teilung von 1267 geführte Wappen
knüpft mit Schild und Helmzier an das Wappen der Großmutter
des 1277 verstorbenen Herzogs Johann von Lüneburg, Helene
von Dänemark, an, verminderte aber die Anzahl der Löwen
von drei auf einen, während Albrecht I. der Lange, der Gründer
des Hauses Alt-Braunschweig, der — wie sein Onkel, Pfalzgraf
Heinrich (f 1227), der älteste Sohn Heinrichs des Löwen — das
geminderte Wappen des englischen Königshauses (in Rot zwei
goldene Leoparden) übernahm, da seine 1189 gestorbene Ur-
großmutter Mathilde eine Tochter Heinrichs II. von England
war. Beide Wappen wurden 1367 im Siegel Herzog Wilhelms
NACHTRAG

Abb. 296 f.
von Lüneburg in geviertem Schild vereinigt und in dieser Form
nach dem Aussterben der alt-lüneburgischen Linie seit 1369 von
Herzog Magnus II. Torquatus weitergeführt. Die Stadt Lüne-
burg behielt allerdings die ältere Form - das geminderte dänische
Königswappen — bei und setzte dieses stets neben ihr eigenes
Wappen mit der dreitürmigen silbernen Burg auf rotem Feld,
unter deren Torbogen der herzogliche Schild nochmals er-
scheint. Dies dürfte auch hier der Fall gewesen sein. Erst um
1500 trat gelegentlich der braunschweigische Leopardenschild
neben den alt-lüneburgischen Löwenschild, etwa in den Wappen-
scheiben des Kämmereiflügels (s. S. 126)113.
Das Oberwappen besteht aus einem oben völlig flachen stahl-
blauen Topfhelm, über den eine mit grünen Pfauenfedern ge-
schmückte Kapuze gezogen ist, und zwei Büffelhörnern, die an
den Außenseiten mit gelben, aus dem schwarzen Grund heraus-
radierten Pfauenfedern besetzt und an der Spitze mit je einem
entsprechenden Pfauenstutz bestückt sind.
Technik, Stil, Datierung: Für die oben leicht eingezogene Schild-
form wie für den kapuzenartigen Helmüberzug verweist U.-D.
Korn auf die Wappen des um 1330 entstandenen Lüneburger
Falttisches114. Da die Topfhelme dort jedoch bereits Ansätze
zu jener für die damals aufkommenden Kübelhelme typischen
konischen Aufwölbung zeigen, datiert er die beiden Scheiben-
fragmente etwas früher, um 1320/30. Die flächig undifferenzierte
Art der Paßrahmung wie die verräumlichte Zeichnung des einge-
flickten Architekturfragments weisen jedoch eher in die Zeit
um 1330/40.
Auch die Wahl der Farbgläser — lichtes bis sattes Kobaltblau,
bis ins Ocker spielendes Gelb und kaltes Grün — stimmt wie
die ausgesprochen rotbraune Lotfarbe so weitgehend mit der
zweiten Gruppe der Wienhausener Chorgangscheiben (s. S. 220)
überein, daß — den Rekonstruktionsüberlegungen (s. S. 92f.) fol-
gend — eine Entstehung um oder bald nach 1330 möglich er-
scheint.
CVMA B 1423 f.
112 Als Beleg hierfür sei auf das um 1370 als Gemeinschaftsstiftung des
Grafen von Württemberg und des Markgrafen von Baden in einer Straß-
burger Werkstatt ausgeführte ehemalige Achsenfenster im Chor der
Pfarr- und Wallfahrtskirche zu Tiefenbronn bei Pforzheim verwiesen.
Vgl. hierzu R. Becksmann, CVMA Deutschland II, 1, 1979, S. 232,
239, Fig. 149, Abb. 32if.
113 Die Darstellung folgt nahezu wörtlich U.-D. Korn, Kat. Ausst.
Braunschweig 1985,1, S. 148.
114 Vgl. die Umzeichnungen bei O. Neubecker, Die Wappen auf dem
Faktisch im Fürstensaal des Rathauses zu Lüneburg, in: Lüneburger
Blätter 2, 1951, S. 65-86. Eine gute Farbabb. in: O. Neubecker, Heral-
dik - ihr Ursprung, Sinn und Wert, Frankfurt a.M. 1977, S. i54f.

Während der Drucklegung gelang F. Herz der Nachweis, daß die beiden oben behandelten Wappenscheiben ursprüng-
lich aus dem Chor von St. Michael in Lüneburg stammen. Vgl. daher Anhang S. 254.
 
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