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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0159

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LÜNEBURG • RATHAUS

Der seit dem zweiten Viertel des 13. Jh. zwischen dem alten Stadtkern im Süden und dem nördlich davon gelegenen
Franziskanerkloster St. Marien am Neumarkt errichtete Rathauskomplex ist ein unvergleichliches, in Jahrhunderten
zusammengewachsenes Konglomerat von Einzelbauten. Bis auf die um 1900 weitgehend durch einen historistischen
Neubau ersetzte alte Ratsküche, das heutige Stadtarchiv, spiegeln diese in ihrer Gestalt und Funktion noch heute
die im Laufe der Zeit gewandelten Ansprüche und Bedürfnisse der Selbstverwaltung der Stadt wider. 1239 wird
erstmals ein Gremium von Ratsmannen erwähnt; das erste Stadtrechtsprivileg stammt aus dem Jahre 1247. Obwohl
Lüneburg nicht wie Lübeck eine freie Hansestadt war, sondern den welfischen Herzögen von Braunschweig und
Lüneburg unterstand und diese Zugehörigkeit in unzähligen Wappenallianzen an und in seinem Rathaus auf fast
hypertrophe Weise immer wieder bekundet hat, gewann es mit der Eroberung und Zerstörung der herzoglichen
Burg auf dem Kalkberg und dem Sieg über Herzog Magnus im Jahre 1371 auf Grund seiner wirtschaftlichen Bedeutung
im Laufe des 15. Jh. nahezu den Status einer freien Stadt, die sogar über ein kleines Territorium verfügte und
als Mitglied der Hanse mit benachbarten Landesherren selbständig Verträge abschloß. Reichtum, Macht und Ansehen
beruhten jedoch fast ausschließlich auf der Salzgewinnung und dem Salzhandel. Diese wirtschaftliche Monostruktur,
die seit dem späten 14. Jh. nicht mehr von den über den ganzen norddeutschen Raum verstreuten Eignern der
Salinen — meist geistlichen Institutionen, denen die welfischen Herzöge ihre Rechte abgetreten oder verpfändet hatten
—, sondern von den in Lüneburg ansässigen Sülfmeistern, den Betreibern der Salinen, bestimmt wurde, führte auch
dazu, daß in der Blütezeit Lüneburgs in der Regel nur noch Sülfmeister in den Rat gewählt wurden. Diese gegen
Bürger- oder Handwerkeraufstände erstaunlich resistente politische Monokultur wurde zwar in den Jahren 1454—1462
durch überzogene Steuerforderungen des Rates gegenüber den Sülzeigentümern im sogenannten Prälatenkrieg schwer
erschüttert, konnte danach jedoch durch geschicktes Taktieren des Rates nicht nur wiederhergestellt, sondern sogar
gefestigt werden. Erst mit der gegen den Willen des Sülfmeister-Patriziats von Herzog Ernst dem Bekenner durchge-
setzten Einführung der Reformation im Jahre 1531 gewannen die welfischen Herzöge als Landesherren ihren 1371
weitgehend verlorenen politischen Einfluß auf die Geschicke der Stadt allmählich wieder zurück. Nach Aufhebung
des Salzmonopols büßte Lüneburg schließlich 1639 mit seiner patrizischen Stadtverfassung auch seine frühere Eigen-
ständigkeit und wirtschaftliche Bedeutung ein1. Die hier nur in Umrissen skizzierte historische Entwicklung dürfte
entscheidenden Anteil daran gehabt haben, daß der aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit stammende
Rathauskomplex — abgesehen von der barocken Umgestaltung der Ostfassade — nicht nur einzelne Bauteile, sondern
auch deren Ausstattung in seltener Vollständigkeit bewahrt hat.
Bibliographie: H.W.H. Mithoff, 1877, S. 184—187, 189 (erste genauere Beschreibung des überkommenen wie
des verlorenen Glasmalereibestandes unter Auswertung der Aufzeichnungen Gebhardis mit Transkription der noch
lesbaren Inschriften); F. Krüger/W. Reinecke, Kdm. Lüneburg, 1906, S. 203^, 215, 223—235, 287 (knappe Angaben
zu den erhaltenen Glasmalereien, zu den hierauf bezüglichen Rechnungsbelegen wie zu den überlieferten Restaurierun-
gen); W. Reinecke, 1925, S. 52h, 58—60, 71 f., 95, 121 (grundlegende Beschreibung der erhaltenen Farbverglasungen;
erwähnt von den überlieferten nur die in den Quellen mit Hinrik Gronow und Hans Grassow verbundenen).
Gegenwärtiger Bestand: Von den ursprünglichen Färb Verglasungen des Rathauses haben sich aus mittelalterlicher
Zeit noch 72 Scheiben in situ erhalten: 68 Scheiben des frühen 15. Jh. in der sogenannten Gerichtslaube und vier
Scheiben von 1491 in der nur von dort aus zugänglichen Körkammer der Bürgermeister. Hinzu kommen noch zwölf

1 Grundlegend W. Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg (2 Bde.),
Lüneburg 1933 (Nachdruck: Lüneburg 1977). Darüber hinaus sei ver-
wiesen auf die vorzüglichen historischen Beiträge in: Das Lüneburger
Ratssilber (Bestandskatalog XVI des Kunstgewerbemuseums Berlin),

Berlin 1990, vor allem auf E. Michael, Die Blütezeit Lüneburgs und
ihre Grundlagen, ebenda, S. 49-57, und K. Alpers, Patriziat in Lüne-
burg, ebenda S. 58-63.
 
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