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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0217

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128

LÜNEBURG • RATHAUS

Beginnen wir mit der Laube, jenem 14081411 neu errichteten, heute verlorenen Vorbau an der Nordfront zum
Ochsenmarkt hin, dessen Bezeichnung offensichtlich von Anfang an den dahinterliegenden ehemaligen Zwischentrakt
mit Eingangshalle und Zugängen zu Gewandhaus, Ratssaal, zu der von U. Boeck vermuteten Empore der Ratskapelle
und später auch zum Fürstensaal mit einbezog133 134. 1459 bezahlte die Stadtkämmerei einen kleineren Betrag an den
Glasmaler Hinrik Gronow für kapfinster vor der louen''v'. 1515 wurden an gleicher Stelle befindliche »farbige Fenster
mit Darstellungen von Propheten« neu verbleit; 1526 lieferte Hans Stapel für die Laube neben einfachen Scheiben
»vier Wappen tafeln« (s. Reg. Nr. 22f.). Im darauffolgenden Jahr wäscht er die Fenster der Laube, dar men de bürsprake
aff secht (s. Reg. Nr. 24). Unklar bleibt, ob hier verschiedene Standorte gemeint sind; in jedem Falle dürfte es sich
jedoch um mehrere Fensteröffnungen gehandelt haben, in denen einmal die 1459 von Hinrik Gronow geschaffenen
Propheten, das andere Mal die 15 26 von Hans Stapel gelieferten Wappen zu sehen waren.
Der Umbau des über dem Gewandhaus und der Alten Kanzlei gelegenen Fürstensaales gilt als die wichtigste Bauunter-
nehmung des Rats um die Mitte des 15. Jh.135. Die den sogenannten Prälatenkrieg auslösenden finanziellen Schwierig-
keiten der Stadt und die durch ihn ausgelösten politischen Wirren dürften seine Fertigstellung und Ausstattung
verzögert haben. 1467 lieferte jedenfalls Hinrik Gronow für des rades nyen huse uppe deme marckede (s. Reg. Nr. 15)
neue Glasfenster. Sollte sich die Angabe to deme nigen make (s. Reg. Nr. 14) ebenfalls auf den Fürstensaal beziehen,
so hätte er für diesen bereits 1460 vierzehn, von der Stadtkämmerei bezahlte Wappenfenster angefertigt. Die sechs
nach Süden gerichteten Fensteröffnungen des Fürstensaales zeigten einst — wie diejenigen der Stirnseite zum Neumarkt
hin — jeweils drei von einem Stichbogen überfangene, gestaffelt angeordnete, genaste Lanzetten, die in der Mitte
eine Höhe von etwa 3,40 m erreicht und demnach ohne Kopfscheiben mindestens neun Rechteckfelder umfaßt haben
dürften136. Die »vielen artigen Figuren von eingebrandten rothen, blauen und anderen Farben«, die J. Taube 1769
noch beschrieben hat, müssen jedenfalls in diesen Fensteröffnungen gestanden haben und von monumentalem Zuschnitt
gewesen sein. Was sie darstellten, hätte man gerne gewußt. Gebhardi (s. Reg. Nr. 26) erwähnt in seinen Aufzeichnungen
in jedem der 6 Fenster, also an gleicher Stelle, nur Wappen der Stadt, flankiert von den Wappen Georgs von Dassel
und Alberts von Elver, die die Verglasung des Fürstensaales 1606 hatten erneuern lassen. Sie dürften unter den
Standfiguren angebracht gewesen sein; Reste hiervon blieben, übertragen in die Gerichtslaube (s. S. 105), erhalten
und bezeugen die Zuverlässigkeit der Angaben Gebhardis.
Besonders reich war der in den Jahren 14781481 errichtete Kämmereiflügel, mit dem der spätmittelalterliche Rathaus-
komplex seinen krönenden Abschluß erhielt, mit Farbverglasungen ausgestattet gewesen. 1479 war die Neue Ratsschreibe-
rei so weit vollendet, daß ein großes vom Michaeliskloster gestiftetes Farbfenster eingebaut werden konnte (s. Reg.
Nr. 17). Der Rat selbst hatte eine siebzehn Felder umfassende Fensterkomposition mit Ratswappen bei Hans Grassow
in Auftrag gegeben und 1484 hierfür den ansehnlichen Betrag von 24 Mark bezahlt137. Nach 1486 erhielt seine
Witwe noch für vier weitere Wappenscheiben eine Nachzahlung. Ende des 15. Jh. lieferten Hans Wolders und Gerd
Wulff weitere Glasmalereien für diesen Raum138, an dessen Verglasung bereits 1512 und 1516 Reparaturen durchgeführt
werden mußten; 1538 wurden zwei Felder neu verbleit (s. Reg. Nr. 21, 24). Dank der Aufzeichnungen Gebhardis

133 Zur Baugeschichte vgl. F. Krüger/W. Reinecke, Kdm. Lüneburg
1906, S. 205. Uneinigkeit besteht allerdings darüber, wie dieser Vorbau
ausgesehen hat. U. Boeck (s. Anm. 2), 1969, S. ;zf., Abb. 12, 15 f., re-
konstruiert einen nach drei Seiten offenen Vorbau mit Treppengiebel
und nimmt im Dach eine Gaupe an, die zur Verlesung der Bürsprake
gedient habe. M. Mollenhauer, Urkundenkatalog, S. 255, vermutet
dagegen einen » nach dem Ochsenmarkt vorspringenden Erker, von wel-
chem die Kundgebungen und Verordnungen des Rats an die Bürger-
schaft verlesen« wurden.
134 Lüneburg, StA, Kämmereirechnungen A 56 I. Gemeint sind damit
vermutlich kleine Fenster in Dachgaupen. Gegenüber U. Boeck (s.
Anm. 135) ist festzuhalten, daß von einer Mehrzahl die Rede ist. Ande-
rerseits ist es wenig wahrscheinlich, daß das »Auffseggen der bürsprake«
durch ein Dachfenster geschah.
135 Zu der im einzelnen noch nicht geklärten Baugeschichte vgl. F.
Krüger/W. Reinecke, Kdm. Lüneburg, 1906, S. 202-204, tmd U.
Boeck (s. Anm. 2), 1969, S. 53.

136 Geht man davon aus, daß die Fensterteilung derjenigen der Fassaden-
fenster entsprach, die der Umbauentwurf Daniel Freses (?) von 1605
zeigt, so muß man mit fünfzehn nahezu quadratischen Feldern rechnen.
Vgl. hierzu bereits Anm. 5 und 81. Statt einer Rautenverglasung wie
im Originalentwurf enthält in Gebhardis Nachzeichnung jedes Feld der
seitlichen Fassadenfenster ein kleines Wappen; in den beiden mittleren
werden sie um zwei große Wappenkomplexe (Stadt und Fürstentum
Lüneburg?) herumgruppiert. Ob Gebhardi hier eine im frühen 17. Jh.
unter Verwendung von Wappen aus dem späten 15. Jh. geschaffene,
zu Teilen noch vorgefundene Verglasung wiedergibt oder diese ein Pro-
dukt seiner heraldischen Phantasie ist, konnte nicht geklärt werden.
137 W. Reinecke, 1925, S. 121. — Die genannte Anzahl von Feldern
deutet darauf hin, daß die Schreiberei ursprünglich zweibahnige, sechs-
zeilige Lanzettfenster mit zwei Kopf- und drei Zwickelscheiben besessen
hat.
138 Lüneburg, StA, Aufzeichnungen von W. Reinecke zu den verlore-
nen Kämmereirechnungen AB 56 II.
 
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