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Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0237

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LÜNEBURG • KLOSTER LÜNE

deren Verehrung sich in Frauenklöstern besonderer Beliebtheit erfreute, und einer dritten, nicht benennbaren Heiligen
(Ursula?) für eine Priorin naheliegend.
Ein einheitliches ikonographisches Programm läßt sich in den erhaltenen bzw. überlieferten Scheiben mit weiblichen
Heiligen, dem Erzengel Raphael und der Verklärung Christi nicht erkennen. Die Verschiedenartigkeit der Bildinhalte
wird sich vielmehr aus den persönlichen Wünschen und Anliegen der jeweiligen Stifter oder ihrer Familien ergeben
haben.
Komposition, Ornament: Anders als in den Kreuzgangfenstern von Ebstorf und Wienhausen, die nur in den oberen
Feldern der Lanzetten mit Glasmalereien ausgestattet waren, während die unteren Teile ursprünglich unverglast geblie-
ben waren und mit hölzernen Klappläden verschlossen werden konnten (s. S. 32, 218, Fig. 87), waren die Fenster
in Lüne vollständig farbig verglast. Mit Ausnahme des Verklärungsfensters (nord V) zeigten sie in den beiden unteren
Zeilen aller drei Bahnen stehende Heilige oder Engel; die beiden oberen Zeilen waren mit Architekturbekrönungen
gefüllt, begleitet von Stifterwappen in den Zwickelfeldern. Die Tabernakelaufbauten der Bahnen a und c entsprachen
sich vermutlich spiegelbildlich, wenn auch nicht in allen Einzelheiten der Farbgebung; zwischen ihnen stand in
der Mittelbahn eine über zwei Felder (3/4b) reichende Turmkomposition. Ähnlich wie in den Ebstorfer Nonnenchorfen-
stern (s. S. 10, Abb. 1 f., 4—6) sind die einzelnen Tabernakeltürme für sich zentriert, so daß sich keine quer durch
alle Bahnen reichende Prospektwirkung ergibt. Die Phantasiearchitekturen sind außerdem weder als orthogonale
Aufrisse wie in den hochgotischen Tabernakelfenstern wiedergegeben noch in einer auf die Einzelkomposition bezoge-
nen Zentralperspektive. Vielmehr wechselt der Augpunkt selbst innerhalb eines Feldes, so daß Unter- und Aufsichten
nach Art isometrischer Konstruktionen in den einzelnen Geschossen reizvoll wechseln.
Die Tabernakelscheiben prägt ein hoher Anteil an weißem Glas in den Architekturen; einzelne Teile wie Eck- und
Seitentürme, Wimperge und Dächer zeigen Gelb, Rot, Grün oder Purpurviolett. Soweit der fragmentarische Zustand
dies festzustellen erlaubt, waren die Gründe hinter den Tabernakeltürmen einheitlich blau, die Gewölbe der Tabernakel
rot oder purpurviolett, so daß für den Grund hinter den Figuren wiederum mit Blau (oder Grün?) zu rechnen
ist42. Der auf starken Farbgegensätzen aufgebaute Gesamtfarbklang erscheint damit recht bunt. Gegenfarbklänge
wie Rotviolett/Grün bzw. Blau/Gelb fehlen hingegen oder treten nur in untergeordneten Partien auf.
Technik: Auffällig ist der weitgehende Verzicht auf Silbergelb in den architektonischen wie in den figürlichen
Teilen; nur im Verklärungsfenster wird es ausgiebiger verwendet. Ungewöhnlich sind die graue, jetzt weitgehend
abgewitterte Lasur beim Esel im Wappen des Rupert von Nortlo (nord II, 4 c) und die Fleisch-Farbe (so Gebhardi,
1764) am Horn des Einhorns im Bodenstedt-Wappen (nord V, 4 c). Sie ist rückseitig nur noch in der andersartigen
Verwitterung des Glases nachzuweisen, so daß offenbleiben muß, ob es sich hier um einen abgewitterten roten
Überfang oder um die sehr frühe Verwendung einer Art Eisenrot gehandelt hat.
Die Tunika Christi (nord V, 3 b) weist rückseitig eine aus feiner Lasur radierte Damaszierung mit Ranken und nierenför-
migen, gelappten Blättern auf. In der Durchsicht ist sie nur mehr in schwachen Spuren auszumachen.
Stil, Datierung: In der Wiedergabe der Architekturen scheinen sich die Tabernakelscheiben (Abb. 146—155) auf
den ersten Blick eng an die um 1390/1400 entstandenen Fenster des Ebstorfer Nonnenchores (Abb. if., 4—6) anzuschlie-
ßen. Das Verfahren, Elemente einer Phantasie-Architektur mit wechselnden Auf- und Untersichten übereinanderzutür-
men, ist hier wie dort in der Tat sehr ähnlich, doch wirken die Ebstorfer Tabernakeltürme mit ihren Randstreifen
und rahmenden Strebepfeiler-Elementen straffer und zugleich leichter, weil neben den verschachtelten Gehäusen
größere Partien des einfarbigen Grundes sichtbar bleiben. In den Lüner Architekturfeldern wird dagegen auf Rahmung
und Randstreifen verzichtet: Die Felder zeigen eine dicht gedrängte, kaum mehr übersehbare Fülle von Türmen,
Häusern, Wimpergen, Dächern und Fialen, die den blauen Grund weitgehend verdrängen. Dazu kommen vorgesetzte
Maßwerkkämme, Rundbogen-, Wellen- und Kugelfriese, ausradierte Blütenbögen, Maßwerkbrüstungen und hängende,
42 Die blanke Rautenverglasung um die Standfigurenreste in nord II—IV stellt eine irreführende Angleichung an die jüngeren Kreuzgangfenster
entspricht daher sicherlich nicht dem ursprünglichen Zustand, sondern dar.
 
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