Metadaten

Becksmann, Rüdiger; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Lüneburg und den Heideklöstern — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1992

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.52868#0348

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
NONNENCHOR

233


Fig. 94. Nonnenchor. Grundriß mit Fensterschemata. Maßstab 1:300.

Daß der Westflügel der Klosteranlage und die Nonnenkirche nicht im Verbund miteinander errichtet worden sind,
ist offenkundig. Bedenkt man andererseits, daß der Neubau der zweigeschossigen, vierjochigen Nonnenkirche die
Achse des romanischen Vorgängerbaues beibehält, der Westflügel jedoch im spitzen Winkel dazu errichtet worden
ist, so dürfte die Nonnenkirche einer älteren Planung angehören, die in die Zeit um 1290 weist (s. S. 205 f.). Ungewöhn-
lich ist das niedrige Sockelgeschoß, dessen ursprüngliche Verwendung (Sepultur?) nicht geklärt ist. Außerdem reichen
sämtliche Fensteröffnungen des Hauptgeschosses bis auf das knapp oberhalb der Fensteröffnungen des Sockelgeschosses
umlaufende Trenngesims herab, so daß sie im unteren Teil — des Chorgestühls wegen - verblendet werden mußten.
Die Fenster der Südseite zeigen bei zweifacher Gewändeabstufung mit ihren spitzbogigen Doppellanzetten und den
schlichten Kreisrosetten darüber eindeutig Formen des späten 13. Jh., während das Maßwerk des dreibahnigen Achsen-
fensters, das mit seinen drei radial angeordneten, genasten Bogenquadraten als einziges in Sandstein ausgeführt ist,
in die Zeit nach 1325 gehört, also nachträglich eingesetzt sein muß88. Ebenfalls nachträglich wurden die der Südseite
entsprechenden Fensteröffnungen der Nordseite mit Birnstabformsteinen zugesetzt und zu Blendnischen umgestaltet.
Dies geschah vermutlich zu jenem Zeitpunkt, da man die zweischiffige Anlage des südlichen Kreuzgangflügels mit
eigenem Satteldach aufgab89. Da die ursprünglich geöffneten Fenster der Nordseite in die Gewölbezone des heutigen
Chorganges hineinreichen, erweist sich die vom Westflügel ausgehende zweigeschossige Anlage des Kreuzganges
gegenüber der Nonnenkirche als die jüngere Planung, d. h. diese müßte vor dem Baubeginn am Westflügel zumindest
im Rohbau fertiggestellt gewesen sein90. Aus noch ungeklärten Gründen erfolgte der Ausbau in seiner heutigen
Gestalt erst nach 1325. Damals wurde - den Ergebnissen der dendrochronologischen Untersuchungen folgend -
der auf Eichenständern ruhende Dielenboden des Nonnenchores eingezogen. Möglicherweise wurden auch die auf
Konsolen ruhenden, aus kräftigen Birnstabrippen gebildeten Kreuzgewölbe erst zu diesem Zeitpunkt eingefügt. Die
ursprünglich zur Aufnahme der Gewölberippen vorgesehenen, aus dem Untergeschoß hochgeführten Eckvorlagen
brechen jedenfalls unterhalb der Konsolen ab. Sichtbarstes Zeichen dieser nach 1325 zum Abschluß gekommenen

88 Eine nachträgliche Einsetzung hatte bereits H. Appuhn, Wienhausen,
1955, S. 38, vermutet. Durch die Glasscherbe aus einer Darstellung der
Anna Selbdritt (s. S. 245), die 1953 unter dem Westfenster im Gestühl
gefunden worden war, hatte er sich jedoch verleiten lassen, das Fenster-
maßwerk in das frühe 15. Jh., die Entstehungszeit dieses Glasmalerei-
fragments, zu rücken. Vgl. hierzu H. Appuhn/Ch. v. Heusinger, Der
Fund kleiner Andachtsbilder des 13. bis 17. Jh. in Kloster Wienhausen,
in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 4, 1965, S. 162. Eine
Datierung des Maßwerks in die Zeit um 1330 hat dann W. Michler,
1967, S. 148 f., überzeugend begründet.

89 Vgl. hierzu wiederum W. Michler, 1967, S. 141 f.
90 Bisher nicht durchgeführte dendrochronologische Untersuchungen
des hölzernen Dachstuhls, der nach K. Maier, Kdm. Wienhausen, 1970,
S. 25, zum ursprünglichen Baubestand gehört, dürften den Beweis hier-
für liefern, da Rohbauten in der Regel vor Fertigstellung der Wölbung
eingedeckt worden sind. Die Tatsache, daß sowohl im Fußboden als
auch im Chorgestühl ältere Eichenbretter verarbeitet worden sind, dürfte
ebenfalls hierfür sprechen.
 
Annotationen