WALSRODE • KLOSTER
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ausradiert — bei der Feinmodellierung von Gesicht und Händen wohl mit einer Radiernadel, sonst mit einem gröberen
Werkzeug (Holzstab, Federkiel o.ä.). Silbergelb ist nur beim Haar des Evangelisten Johannes, am Kelch und im
Haar des Engels unter dem rechten Kreuzarm verwendet, ferner bei dekorativen Teilen in den kleinen Figurenscheiben.
Die Figur der Scholastika in süd IV, 1 b und ihr (erneuertes) Gegenstück zeigen eine ungewöhnliche, aus dem decken-
den Überzug negativ, d. h. weiß ausradierte Gewandzeichnung, wie sie auch in dem 1491 entstandenen Bildnis des
Bürgermeisters Cord Lange in der Körkammer des Lüneburger Rathauses (Abb. 136) begegnet.
Im Glaszuschnitt des Kreuzigungsfensters ist eine Drittelteilung der Scheiben mit Rücksicht auf die Windstangen
angedeutet, aber nicht durchgehalten. Im Laubwerk der Wappenscheibe unter Johannes dem Täufer sowie in der
Architekturbekrönung folgt der Bleiriß weitgehend den Konturen; Sockel und Bekrönung im Benediktfenster zeigen
einen vielfach willkürlichen und zufälligen Zuschnitt, der auf den Verlauf der Konturen wenig Rücksicht nimmt.
Stil, Datierung: Den beträchtlichen Unterschieden in Farbigkeit, Maltechnik und Glaszuschnitt zwischen der Kreuzi-
gung und dem Johannesfenster einerseits und dem Benediktfenster andrerseits entsprechen ebenso markante stilistische
Verschiedenheiten. Der Meister des Kreuzigungsfensters stellt schwere, plastisch gedachte Gestalten mit großflächigen,
nur mäßig geknitterten Gewändern vor den Rankengrund bzw. das Tabernakelgehäuse, dessen architektonische Kon-
struktion folgerichtig durchdacht und perspektivisch ablesbar ist. Trotz der Abweichung von der Zentralperspektive
des Gehäuses bildet der einseitig schräg verlaufende Fliesenboden beim Täufer eine einheitliche Standfläche. Ähnlich
klar gegliedert ist die Wappenscheibe unter Johannes mit den symmetrisch geordneten Blattranken und den eingehäng-
ten Schilden.
Die bei aller Knochigkeit doch weich modellierte Figur des Gekreuzigten scheint den Christus in Hans Bornemanns
Kalvarienberg aus der Zeit um 1440 zu wiederholen23; zur Gewandbehandlung finden sich vielfach Parallelen oder
zumindest Ähnlichkeiten in Bornemanns jüngeren Werken, dem Heiligentaler Passionsaltar (um 1444-47) und dem
Lambertialtar (um 1458) in der Lüneburger Nikolaikirche24. Auch die reich ornamentierten Brokatgewänder lassen
sich von diesen in Lüneburg befindlichen Altarwerken herleiten, einschließlich der großen, mit Inschriften versehenen
Nimben. Selbst für Gesichtsschnitt und -typ der Maria und des Johannes Ev. mit großen Wangenflächen und schmalen,
langen Nasen scheinen Anregungen aus den genannten Altären vorzuliegen, wobei freilich Bornemanns Malweise
trockener und hölzerner wirkt25. Die Anlehnung an seine Tafelmalerei würde zwanglos auch die »niederländisch-
rogiersche Stilprägung« erklären, die H. Wentzel an eine Lehrzeit des Meisters der Kreuzigung in einem elsässischen
Atelier denken ließ26.
Gegenüber den voluminösen Gestalten der Kreuzigung und des Johannes Baptist wirkt der Hl. Benedikt trotz der
kräftigen und kontrastreichen Modellierung der Einzelformen eigentümlich flach, einmal wegen des Zuhängens des
Gehäuses mit dem Brokatvorhang, der nur unter seiner Bekrönung neben dem Nimbus einen Einblick in den polygonal
geschlossenen Raum erlaubt, zum anderen wegen des unräumlichen »Herunterklappens« der Standfläche, des sorglosen
Nebeneinanders von Aufsicht und Untersicht an der Konsole, die in flächenfüllendes Gerank eingebettet ist, und
wegen der Einschichtigkeit des Tabernakelaufbaus. Seine seltsame Schiefstellung bezeugt überdies, daß dem sicheren
Zeichner an architektonischer Logik und räumlicher Ablesbarkeit wenig gelegen war. Die souveräne Beherrschung
der vorwiegend graphischen Mittel und die metallisch wirkende Brillanz des Fensters lassen hier einen Meister vermu-
ten, der im Elsaß, vielleicht in Straßburg gelernt hatte und seine Erfahrungen in eine norddeutsch-herbe, etwas
knorrig wirkende Formensprache umsetzte. Zwischen die Pfeiler gespannte Brokatvorhänge erscheinen (erstmalig?)
bald nach 1460 im Agnesfenster der Georgskirche in Schlettstadt27; zum Repertoire dieser Straßburger Werkstatt
23 Zu der im Bremer Roseliushaus befindlichen Tafel vgl. H. G. Gmelin,
1974, Kat. Nr. i, S. 84f. (mit Abb.).
24 Ebenda, Kat. Nr. 2, S. 84-99; Kat. Nr. 4, S. 100-110 (jeweils mit
Abb.). Vgl. auch Textabb. 33—36.
25 Die unmittelbare Umsetzung von Anregungen aus Bornemanns Altä-
ren läßt sich für das etwa gleichzeitig entstandene Anbetungsfenster
in Ramelsloh (s. S. 177) nachweisen. Der Rückgriff auf diese gut dreißig
Jahre älteren Tafelmalereien wäre also kein Einzelfall.
26 H. Wentzel, Meisterwerke, 2i954, S. 70. - H.G. Gmelin, 1974, S. 14,
84, 98, 109, unterstreicht bei Bornemann die unmittelbare Kenntnis süd-
niederländischer Werke von Robert Campin, Rogier van der Weyden,
der Brüsseler Buchmalerei um den Meister des Girart, vielleicht auch
des frühen Dierk Bouts, und nimmt zwei Reisen nach Brüssel um 1444
und Mitte der fünfziger Jahre als sicher an.
27 Vgl. hierzu R. Becksmann, Zur Werkstattgemeinschaft Peter Rem-
mels in den Jahren 1477-1481, in: Pantheon 28, 1970, S. 192, Abb. 8.
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ausradiert — bei der Feinmodellierung von Gesicht und Händen wohl mit einer Radiernadel, sonst mit einem gröberen
Werkzeug (Holzstab, Federkiel o.ä.). Silbergelb ist nur beim Haar des Evangelisten Johannes, am Kelch und im
Haar des Engels unter dem rechten Kreuzarm verwendet, ferner bei dekorativen Teilen in den kleinen Figurenscheiben.
Die Figur der Scholastika in süd IV, 1 b und ihr (erneuertes) Gegenstück zeigen eine ungewöhnliche, aus dem decken-
den Überzug negativ, d. h. weiß ausradierte Gewandzeichnung, wie sie auch in dem 1491 entstandenen Bildnis des
Bürgermeisters Cord Lange in der Körkammer des Lüneburger Rathauses (Abb. 136) begegnet.
Im Glaszuschnitt des Kreuzigungsfensters ist eine Drittelteilung der Scheiben mit Rücksicht auf die Windstangen
angedeutet, aber nicht durchgehalten. Im Laubwerk der Wappenscheibe unter Johannes dem Täufer sowie in der
Architekturbekrönung folgt der Bleiriß weitgehend den Konturen; Sockel und Bekrönung im Benediktfenster zeigen
einen vielfach willkürlichen und zufälligen Zuschnitt, der auf den Verlauf der Konturen wenig Rücksicht nimmt.
Stil, Datierung: Den beträchtlichen Unterschieden in Farbigkeit, Maltechnik und Glaszuschnitt zwischen der Kreuzi-
gung und dem Johannesfenster einerseits und dem Benediktfenster andrerseits entsprechen ebenso markante stilistische
Verschiedenheiten. Der Meister des Kreuzigungsfensters stellt schwere, plastisch gedachte Gestalten mit großflächigen,
nur mäßig geknitterten Gewändern vor den Rankengrund bzw. das Tabernakelgehäuse, dessen architektonische Kon-
struktion folgerichtig durchdacht und perspektivisch ablesbar ist. Trotz der Abweichung von der Zentralperspektive
des Gehäuses bildet der einseitig schräg verlaufende Fliesenboden beim Täufer eine einheitliche Standfläche. Ähnlich
klar gegliedert ist die Wappenscheibe unter Johannes mit den symmetrisch geordneten Blattranken und den eingehäng-
ten Schilden.
Die bei aller Knochigkeit doch weich modellierte Figur des Gekreuzigten scheint den Christus in Hans Bornemanns
Kalvarienberg aus der Zeit um 1440 zu wiederholen23; zur Gewandbehandlung finden sich vielfach Parallelen oder
zumindest Ähnlichkeiten in Bornemanns jüngeren Werken, dem Heiligentaler Passionsaltar (um 1444-47) und dem
Lambertialtar (um 1458) in der Lüneburger Nikolaikirche24. Auch die reich ornamentierten Brokatgewänder lassen
sich von diesen in Lüneburg befindlichen Altarwerken herleiten, einschließlich der großen, mit Inschriften versehenen
Nimben. Selbst für Gesichtsschnitt und -typ der Maria und des Johannes Ev. mit großen Wangenflächen und schmalen,
langen Nasen scheinen Anregungen aus den genannten Altären vorzuliegen, wobei freilich Bornemanns Malweise
trockener und hölzerner wirkt25. Die Anlehnung an seine Tafelmalerei würde zwanglos auch die »niederländisch-
rogiersche Stilprägung« erklären, die H. Wentzel an eine Lehrzeit des Meisters der Kreuzigung in einem elsässischen
Atelier denken ließ26.
Gegenüber den voluminösen Gestalten der Kreuzigung und des Johannes Baptist wirkt der Hl. Benedikt trotz der
kräftigen und kontrastreichen Modellierung der Einzelformen eigentümlich flach, einmal wegen des Zuhängens des
Gehäuses mit dem Brokatvorhang, der nur unter seiner Bekrönung neben dem Nimbus einen Einblick in den polygonal
geschlossenen Raum erlaubt, zum anderen wegen des unräumlichen »Herunterklappens« der Standfläche, des sorglosen
Nebeneinanders von Aufsicht und Untersicht an der Konsole, die in flächenfüllendes Gerank eingebettet ist, und
wegen der Einschichtigkeit des Tabernakelaufbaus. Seine seltsame Schiefstellung bezeugt überdies, daß dem sicheren
Zeichner an architektonischer Logik und räumlicher Ablesbarkeit wenig gelegen war. Die souveräne Beherrschung
der vorwiegend graphischen Mittel und die metallisch wirkende Brillanz des Fensters lassen hier einen Meister vermu-
ten, der im Elsaß, vielleicht in Straßburg gelernt hatte und seine Erfahrungen in eine norddeutsch-herbe, etwas
knorrig wirkende Formensprache umsetzte. Zwischen die Pfeiler gespannte Brokatvorhänge erscheinen (erstmalig?)
bald nach 1460 im Agnesfenster der Georgskirche in Schlettstadt27; zum Repertoire dieser Straßburger Werkstatt
23 Zu der im Bremer Roseliushaus befindlichen Tafel vgl. H. G. Gmelin,
1974, Kat. Nr. i, S. 84f. (mit Abb.).
24 Ebenda, Kat. Nr. 2, S. 84-99; Kat. Nr. 4, S. 100-110 (jeweils mit
Abb.). Vgl. auch Textabb. 33—36.
25 Die unmittelbare Umsetzung von Anregungen aus Bornemanns Altä-
ren läßt sich für das etwa gleichzeitig entstandene Anbetungsfenster
in Ramelsloh (s. S. 177) nachweisen. Der Rückgriff auf diese gut dreißig
Jahre älteren Tafelmalereien wäre also kein Einzelfall.
26 H. Wentzel, Meisterwerke, 2i954, S. 70. - H.G. Gmelin, 1974, S. 14,
84, 98, 109, unterstreicht bei Bornemann die unmittelbare Kenntnis süd-
niederländischer Werke von Robert Campin, Rogier van der Weyden,
der Brüsseler Buchmalerei um den Meister des Girart, vielleicht auch
des frühen Dierk Bouts, und nimmt zwei Reisen nach Brüssel um 1444
und Mitte der fünfziger Jahre als sicher an.
27 Vgl. hierzu R. Becksmann, Zur Werkstattgemeinschaft Peter Rem-
mels in den Jahren 1477-1481, in: Pantheon 28, 1970, S. 192, Abb. 8.