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: Der „Deutsche Volksbote“ erſcheint zweimal

g vetllib. 19, VY zeitung: Heide:

„Volksbote“ Heidelberg. Anzeigenpreis : Die
5-geſpaltene Petitzeile 10 Pfg.



Preis vierteljährlich durch den Briefträger

Ô.Sſiccoooeaiaeaelllc
| : holt s0 Pfg. Poſtzeitungsliste Nr. 1964 2.



N 63.

Heidelberg, Samſtag den 7. Auguſt 1897.

S. Jahrgang.



| Was bringt uns Miquel?

Von einem Teil der Presse wird gegenwärtig
laut in die Lobespoſaune für Miquel gestoßen, während
auf der Gegenseite Ziſchlaute des Unmuts sich bemerk-
bar machen. Die „Politik der Sammlung“ wird von
denjenigen, die bei einer Verwisſchung der Parteiunter-
schiede ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen hoffen,
als eine ganz neue Erfindung gepriesen, und doch ift
ſie nichts als ein ſchwacher Abguß des Septennats-

Kartells. Der Landwirtſchaftsminiſter Freiherr von

Hammerstein hat jüngst in Poppelsdorf gesagt: Preu-
ßen sei der Kopf, Süddeutschland das Herz Deutſch-
lands: über dem Herzen müsse ein strammer, starker
Ferf [ht Dazu schreibt die ,Deutſche Wacht“
ſehr treffend:. :

Worte, nichts als Worte! Bis zum TJahre
1890 erhob sich ein ſtar ker Kop f über Preußen
und über das Reich. Aber B is m ar ck iſt nicht mehr
„Kopf’. Und Miquel, der glatte, ſchlaue, vielge-
wandte, iſt nicht ein strammer, starker Kopf gleich dem
HVBismarck's, der durch eine kräftige nationale Wirt-
ſchaftspolitik wirkliche Hülfe schuf. Es giebt gute
Leute, aber schlechte Musikanten, die „g la ub e n“, daß
Miquel's Programm ,ein gutes" iſt. Gewiß, was
Miquel über die Bedeutung des Mittelstandes, über
den Zuſammenſchluß der produktiven Stände gesagt

hat, war schön, war gut. Aber eine gewisse Ent-

täuſchnng macht sich bei allen Parteien geltend über
diese Programmrede; es waren schon zu viel Hoff-
nungen geweckt worden. Bis jetzt können Liberale
und Agrarier zuſtimmen, so allgemein gehalten iſt das

Gesagte. Auf die A us führu ng des schönen Pro-

gramms kommt es an. Wehe, wenn sich dann zeigt,

daß von denen, die bisher zuſtimmten, jeder etwas

anderes will. Man vermißt die Angabe der positiven
Maßnahmen, durch welche die Regierung die gesteckten
Ziele zu erreichen ſucht. Dies gilt insbesondere von
der Bezeichnung der mittleren Linie für unsere Wirt-

linie zu ziehen? Zieht eine mandchesterlich-liberale
Mehrheit in der Volksvertretung diese Linie, ſo haben
Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende die Koſten
zu zahlen. Anders, wenn der deutſche Mittelstand

siegt: dann richtet sich diese Linie gegen die Auswüchse

des Kapitalismus. Die nächsten Wahlen entscheiden.
"Wenn wir also prüfend und wägend bei Seite stehen
und nicht „Wacker! Wacker !" zu den ſchönen Worten
Miquel’s rufen, ſo haben wir guten Grund ; schreitet
Miquel wirklich zu erlöſenden deuts< en Thaten,
dann wird er unserer Mitwirkung sicher sein. Bis
dahin iſt Abwarten besser als Nachsehen.

In der Abgeordnetenhausrede Miquel’'s vom 24.

Juli war ein Satz, der die Hoffnung wecken mußte,

Feuilleton. |



Der Eine und der Andere.
Erzählung von Hans Warrin g.
(Nachdruck verboten.)

„Hier meine Hand darauf !‘ sagte der Müller
| yr hzilt den Jungen behüten, wie meinen
np verwöhnen Sie ihn nicht!“ sprach darauf
Foriaue. 1 seine Arbeit, aber auch sein Vergnügen
haben. Er ſoll Mitglied vom städtischen Turnverein
werden. Und jeden Abend soll der Lehrer mir für
ein paar Stunden ins Haus, daß er ihm noch Unter-
richt giebt. Er soll sich einmal zurechtfinden können
mit all den Scheerereien und Schreibereien, die heutzu-

tage von einem Landwirt verlangt werden!"
„Weshalb wollen Sie das alles für den
Ftrdoti th Lippert ? Meinen Sie, daß er Ihr
Fro !U1 weiß nicht ---.ich möchte beinahe glauben ---:
nach allem, was ich beobachtet habe. Der Jungs ist
dein Kind, Marianne! Vielleicht hab ich ihn gerade

. deshalb so lieb. – Nun, ich sage weiter nichts .

Sie geben mir also den Rudolf ?"

„Ja, Lippert !"

„Er soll mir den Mühlenbetrieb von der Pike
auf kennen lernen !"





bin ?



als werde sich nunmehr ein Uebergang zur Dap-
pelwähr ung vollziehen. Demgegenüber bemerkt die
„Köln. Ztg.", daß Dr. v. Miquel sich noch vor Kurzem
un bedingt für di e G ol dwä hrung ausgesprochen
hat. Als der Staatsrat ſeine Erörterungen über
die Währungsfrage abgeſchloſſen und der Kaiser, der
den Vorsitz geführt hatte, den Gesamteindruck der
Beratungen kurz und bündig zusammengefaßt hatte,
fand am selben Abend das alljährliche Eſſen statt, weiches
Oberpräsſident v. Achenbachdem brandenburgiſchen Provin-

zial-Landtage;, dem Se. Majestät beizuwohnen pflegt, gab.

An dieſem Abend nahm Dr. v. Miquel Gelegenheit, dem
Kaiser für die klare und überzeugende Zuſammen-
faſſung der wichtigsten, in der Währungsfrage aus-
ſchlaggebenden Gesichtspunkte zu danken und auch
seinerseits zu betonen, daß er ein überzeugter Anhän-
ger der Goldwährung sei. : t
Bestätigt sich die Meldung der „Köln. Ztg.", so
iſt das für die Währungsmänner auch reichlicher Grund
zum „Abwarten.“ Die bisherigen Erfolge Miquel's
ſind nicht derart, daß er Vertr auen ohne Wei-
teres für seine künftigen Pläne beanspruchen darf.

Wir leugnen weder seine Kenntnisse, noch seine Er-

fahrung und Geschicklichkeit: bis jetzt sind alle seine

Vorzüge vor alem seiner Perſon zu Gute

ge kom m en. Lange hat er sich vorſichtig im Hinter-
grund gehalten, während heftige politiſche Stürme
tobten, den Reichstag mied er, weil man dort allzu
verfängliche Fragen stellte und Antworlen heiſchte

jetzt iſt er in den Vordergrund getreten und es wird

sich erst zeigen, ob und wie weit er all’ die geweckten
Hoffnungen erſüllen kann. Ein Finanzmeister ersten
Ranges, gewiß; doch seine preußiſche Steuerpolitik
hat zwar pekuniäre Erfolge gehabt, aber zugleich den
Mittelstand in seinen politiſchen Rechten gekürzt. Die

zugeſagte Abhülfe ist bisher ausgeblieben. Und von

einer progreſſiven Besteuerung der großen und größten
Vermögen, über 4 Prozent hinaus, hat Miquel nichts

verlauten lassen.
schafts- und Handelspolitik. Wer hat die Mittel- j

Warum manche Blätler, die der antisemitischen
Bewegung nahe ſtehen wollen, in die Lobes-
hymnen einstimmen, ist uns unter solchen Umständen
befremdlich. Wir sehen keinen genügenden Grund
dafür. Vom rein antisemitisch en Standpunkt aus
wäre es Aberwitz, auf den früheren Direktor der Dis-
kontogesellſchaft irgend welche Hoffnungen zu ſetzen.
Mag Miquel mit Ahlwardt Frieden gesſchlossen haben,
der unerbittliche Otto Gl agau mit ſeinen klaſſiſchen
Nachweiſen aus der Gründerzeit bleibt doch für uns
maßgebend. Und die Kollegen im Mirnisterium ?
Staatssekretär v. Podbielski iſt als Gegner des

Antisemitismus und Geſschäftsfreund des Kommerzien-

ruts Herz bekannt. Vom Staatssekretär Grafen Poſa-

| dowski wird behauptet, daß er in engen verwandt-



_ ySie dürfen ihn nicht zu ihrem Erben machen,
Lippert! Sie sagen ja ſelbſt, daß Sie den Martin

für Ihren Sohn halten." :

„Wenn es einmal zum Erben kommt, dann sollen

Sie mir den Erben ausſuchenn.
„Nein, nein!“ Der Müller lachte.

„Nun, bis dahin hat es noch gute Wege,
wir werden uns darüber s<on noch verständigen.
Aber schicken Sie mir heute noch Ihren Jungen, er
soll alles zu seiner Aufnahme bereit finden.“’ :

Der Andrees hatte nichts dagegen, und der
Martin ſchien mit dem Fortzug ſeines Milchbruders
auch ganz einverſtanden zu sein. Als die Mutter
aber, während sie seine Habſeligkeiten zuſammenpackte,
einige Thränen vergoß, wurde auch er gerührt. „Er
wird ja wiederkommen, Mutter! Und ſiehſt du ~
§ gehört doch eigentlich in die Mühle, sagt der

ater." ;
M cz] weiß weder der Vater noch sonst ein
enſch."

„ Veiuſt du, daß ich der Sohn vom Ohm Lippert

„Das kann keiner wissen, Martin !"

„Die Schugstin hat mir neulich gesagt, ich könnte
wohl auf die Mühle gehören. Die verstorbene
Mute iſt ebenſo groß und breit gewesen
wie ich."

„Der Figur nach könnteſt du ebenſo gut von
Schreinerſchem Blut sein. ; 4

Der Bursche pfiff leiſe vor sich hin, dann sagte
er : „Weine nicht, Mutter! Wenn du woillſt, ziehe ich

hat. Nach der





schaftlichen Beziehungen zu Juden stehe. Also in
antisemitischer Hinsicht sehen wir keinen Fortſchritt,
in sozialpolitiſcher ein Hin und Her, in politischer
den Rückschritt. Hat Johannes v. Miquel ſich gegen
früher wesentlich geändert und gebessert, so soll uns
das freuen, aber wir warten die Proben für diese
Gesinnungsänderung ab.
Schließlich, wer bürgt denn für die Dauer
Miquel’ſcher Herrlichkeit? Das geben ſselbſt die
Migquel-Gläubigen zu, daß ihm möglicherweise durch
„irgend welche Impulſe" die Hände gebunden werden

können. Die Minister wechseln wie herrschende Ann

ſchauungen sehr ſchnell. Erreicht Miquel nicht sein
Hiel, durch die sogenannte „Politik ter Sammlung“

eine bewilligungsfreudige Mehrheit für den nächten.

Reichstag zuſammenzubringen, so dürften seine Tage

gezählt sein. Vorläufig kennen wir die Sommer..

tégierung! Wie wird die Herbſtregierung
autre in Kiel, wo der Kaiser am vorigen Frei-
tag von seiner Nordlandsreiſe anlangte und mehrere

Minifter empfing, geschlossen worden ift, das iſt neh in.

Dunkel gehüllt. Ob Frhr. v. d. Recke sein Amt weiter be-
kleidet oder nicht, das dürfte :bald zu Tage treten.
Für die innere Politik wäre sein Abgang kein Schaden,
ja für die Durchführung der Verſöhnung der nationalen
Parteien eine unerläßliche Vorbedingung. Wenn der
preußiſche Minister des Innern geht, so vermutet man,
daß auf eine Person zurückgegriffen werde, die ſchon
früher an leitender Stelle der Regierung angehört
Petersburger Reiſe kommt die
Kanzlerfrage. Die Aeußerung des Sohnes des

Fürsten Hohenlohe, daß sein Vater im Herbſt vm
Amte scheiden werde, iſt niemals in Abrede geftelln.

worden. Wird er vorher seine Zuſagen noch einlöſen,

die Aufhebung des Verbindungsverbots paolitiſche.

Vereine und die Militär-Strafprozeßreform durchsetzen?
Schwerlich. Graf Walderſee hat gegenwärtig keine
Aussichten für den Kanzlerpoſten, vielleicht gar nicht

die Neigung. Als wahrscheinlich gilt, daß Herr vlÇm
Hülow zum Nachfolger Hohenlohe's auserſehen sei.

Kundige behaupten, v. Bülow werde im Bismarck ſchen
Sinne auswärtige Politik treiben, aber an eine voll-
ständige Aussöhnung mit dem Kaiser sei ebenſo wenig
zu glauben, wie an das Gerücht, daß Graf Herbert
Bismarck noch einmal einen diplomatischen Posten
“halte i nach Erledigung bieſer Perſonenfragen wird

man prüfen können, ob eine äußere und innere Festi-
L ver frgietuu. htm z Siuhriclicheit
“ cſ s ;cn ss Es. iſt "tt Miurls pz huſer |

sicher. Vorläufig iſt Miquel der Wahlminiſter

und die Miquel-Gläubigen sind diejenigen, die aus



später in die Mühle, und der Rudolf kommt zu dir
bvtüt.! Abſchied zwischen den beiden Brüdern war
herzlicher, als Marianne geglaubt hatte. Die ganze
Familie begleitete den Scheidenden bis an den Wagen,

den Lippert geschickt halte.

HvAdieu Vater! — Adieu Martin, sei mir nicht
bös, wenn ich dich gekränkt habe."

„Sei auch mir nicht bös!“ Die beiden Brüder
umarmten und küßten ſich, ſselbſt Andrees war ge-
rührt. Er machte sich an dem Schutzleder des Wagens
zu schaffen und zog Rudolf die Decke über die Kniee,
denn über Nacht war der erſte Froſt gekommen, und
es war empfindlich kalt. Marianne hatte schon
drinnen Abſchied genommen, jetzt stand sie auf der
Treppe und blickte starren Auges dem davonrollenden

Wagen nach. Es war ein hübſches, zierliches Gefähre.

mit zwei schönen Rappen beſpannt. „„Ganz herren-
gh; 11:10, ats. wan.
!echjah. der die Leinen genommen hätte. „Und wie
Gz wur Ur zwohn m.
er kann das sowohl von der Mutter wie vom Vater
hsv t ia und die Mutter schwiegen, aber ſie hatten
ihre eigenen Gedanken. In dem jungen Burſchen war
etwas aufgewallt, - war es Neid gegen den Bruder,
oder war es Schmerz über sein Fortgehen? Es litt
ihn nicht in der Stube, eine Unruhe hatte ihn er-
griffen; zum erſtenmale war ihm der Gedanke ge-

kommen, daß die Vorliebe des Müllers fir Rudoſ”n
 
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