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wöchentlich.

Dorfe + das muß ein ſtädtiſches Geläute

U

Der „D eu t ſ<e Volks bote" erſcheint zweimal

Verlag und Leitung:. Mannheim

U 10, 31. Telegramm - Adreſſe: „V o l k s bot e“

Mannheim. Anzeigenpreis : Ä 5-geſpaltene Petit-
Zeile 10 Pfg. "

n

Preis vierteljährlich durch den Briefträger frei

in's Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſtſchalee.



oder durch unſere Boten in Mannheim 1 Mk.,
von unſerer Expedition abgeholt 80 Pfg.
Poſtzeitungsliſte Nr. 1964a.



A 97.



Mannheim, Samftag, den 4 Dezember 18697.

8. Jahrgang.





Der Reichstag

ift am 30. November, Mittags 12 Uhr, im Weißen
Saale des Königlichen Schloſſes zu Berlin von dem
HNeaiſer mit folgender Thronrede eröffnet worden :

„Geehrte Herren!

* Hei Beginn der lezten Tagung der neunten Legis-
laturperiode des Reichstags entbiete Jch Jhnen Na-
mens der verbündeten Regierungen Gruß und Wille

kommen.
_ Die Vorlagen, welche Ihre Thätigkeit in Anspruch
nehmen werden, stehen zwar dem Umfange nach hinter
dem Arbeitsstoffe der lezten ausgedehnten Tagung zu-
rück, sind aber zum Theil von weittragender Bedeu-
tung..
i ) Die Cntwickelung unferee Kriegsflotte entſvricht
nicht den Aufgaben, welche Deutſchland an seine Wehr-

kraft zur See zu stellen gezwungen iſt. Sie genügt

nicht, bei kriegeriſchen *Vermickelungen die heimiſchen
Häfen und Küſten * gegen? eine“ Blockade und weiter-
gehende Unternehmungen des Feindes ſicherz:ſtellen.
Sie hat auch. nicht'Schritt gehalten mit dem lebhaften

WMachsthum unfererküberſeeiſchen Intereſſen. Während

der deutſche Handel an dem Güteraustauſche der Welt
in steigendem Maaße? Theil nimmt, reicht die* Zahl
unſerec Kriegsſchiffe nicht' hin, unſeren im ' Auslande

thätigen Landsleuten das der Stellung Deutſchlands

entſprechende Maaß von Schutz und’ hiermit den Rück-

„halt zu bieten, den nur die Entfaltung von Macht

zu gewähren vermag.. : |
HYenngleich es nicht unſere Aufgabe sein kann,
den Seemächten erſten Ranges gleichzukommen, ſo muß

Deutschland fich doch in den Stand gesetzt ſehen, auch

durch seine Röſtung zur See ſein Anſehen unter den
Völkern der Erde zu behaupten.
Hierzu ist eine Verſtärkung?ber;heimiſchen Schlacht-
flotte und eine Vermehrung der für’ den’ Auslands-
dienſt im Frieden beftimmten Sch'ffe erforderlich.
Um für dieſe dringenden und nicht länger hinaus-
zuſchiebenden Maaßnahmen einen festen Boden zu ge-

winnen, erachten die verbündeten Regierungen es für

geboten, die Stärke der Marine und den Zeitraum,
in welchem dieſe Stärke erreicht werden ſoll, geſetzlich
festzulegen. Zu dieſem Zwecke wird Ihnen eine Vor-
! behufs verfaſſungsmäßiger Beſchlußnahme zu-
ehen. Ö w
ß Zur Förderung unſerer überſeeiſchen Intereſſen
iſt auch her Ihnen ſchon in der leßten Tagung vor-
gelegle Gesetzentwurf bestimmt, welcher die Verbesse-
rung der Poſtdanpfschiffsverbindungen mit Oſtasien
bezweckt. Nachdem dieſer Entwurf wiederholter Prüf-

. ung unterzogen worden iſt, wird er Ihrer Beſchluß-

; . von Neuem unterbreitet werden.

| t Li welcher im laufenden Jahre noch



Nach vieljährigem, ernſtem Bemühen ist es den
verbündeten Regierungen gelungen, für eine Reform
des Militärftrasverfahrens eine Grundlage zu findern,
welche urter möaglichſter A-lehnu-q an den bürger-
lichen Strafyrozeß den für die Erhaltung der Mannoes-
zucht unbedingt nothwendiaen Forderungen Gonüge
leiſtet. Der hiernach aufgestellte Entwurf riner Mllitär-.
ſtrafgerichtsordnung wird Ihnen unverzüglich vorge-
legt werden. Ich hege die Zuversicht, daß Sie, ge-
ehrte Hr.rren, dem Bestreben, ein gleichmäßiges
aerichtliches Verfahren für die gesammte bewoffnete
Macht einzuführen, Ihre verſtändnißvolle Mitwirkung
gewähren werden.

Das neue bürgerliche Recht kann nicht ins Leben
treten, ohne daß auch das Verfahren in bürgerlichen
Rechtssachen, soweit es ſchon auf gemeinſamem Rechte
beruht, nach mehrfachen Beziehungen abgeändert und,
ſoweit es noch nicht für das ganze Reich geregelt ist,

.neu gestaltet wird. Es wird daher zu dem Entwurf
eines Geſetz-es über die Angelegenheiten der freiwilligen

Gerichtsbarkeit ſowie zu Entwürfen von Gesetzen, be-
treffend Aenderungen der Civilprozeßordnung und der
Konkursordnung, Ihre Zuſtim mung eingeholt werden.
Mit der Verabſchiedung dieſer Gesetze und der zuge-
hörigen Nebengeſeße soll die Rechtseinheit auf dem
Gebiete des bürgerlichen Rechtes zum Abſchluſfe ge-
langen. Die verbündeten Regierungen geben sich der
sicheren Hoffaung hin, daß in gemeinſamer Arbeit mit
Ihnen noch im Laufe der gegenwärtigen Tagung dieſes
hohe, vom deutſchen Volk fo lange ersehnte Ziel end-
lich erreicht werden wird. y

Nachdem die geſetliche Regelung der Ent-
schädigung unſchuldig Verurtheilter in Verbindung
mit der erſtrebten Verbeſſerung des Strafverfahrens
nicht zum Abſchluſſe gelangt ist, wird jeht ein Geſet-
entwurf den Gegenſtand Ihrer Berathung bilden,
welcher lediglich die Ent ſ< ädig un g der im
tzitveteuſrohntvertahren freigeſprochenen Perſonen
bezweckt. uu... t
KB Die allgemeine Finanzlage zeigt ein befriedigendes

ild. .
Auch für das nächste Rechnungsjahr sind in dem
Haushaltsplare des Reichs Matrikularbeiträge nur
in ſolcher Höhe vorgeſehen, daß den Bundesſtaaten
eine materielle Belaſtung daraus nicht erwächst.

Dabei iſt nickt nur die vom Reichstage ſeit Jahren

verlangte, wegen der Unaguvnſt der Finanzlage bisher
aber zurückgeſtellte Verbeſſerung der Mannſchaftskoſt
für das Heer und die Kriegsmarine zur Durchführung
gebracht, sſondern es iſt ferner der ſehr erhebliche

für die zeilgemäße Umgestaltung des



der Anleihe zur Laſt geleqt werden mußte, auf die
regelmäßiaer Einnahrren übernommen worden.

Da die Vnranſchläae für die Reichsstenern mit
cewohnter Vorsicht aufzeſstellt sind. laſſen sich auch

für die Folae Mehreinnahmen erwarten. E8 wird
Ihnen deßhalb zualeich mit dem Haushaltsplan ein

Geſsetz-ntmurf zugehen. welcher Vorsorge trifft, daß
ein erheblichor Theil der xu erhofferden Ueberſchiüfse,
wie in den Vorjahren, zur Verminderung der Reichs-
schuld Verwendung findet.

Zur Vorbereitung und Beautachtung handels-
politiſ ser Maßnahmen ist aus Vertretern der
Industrie. der Landwirtk.ſchaft und des Handels ein
wirthſchaftlicher Ausschuß gebildet worden, mit deſſen
sachkundigem Beirathe die Bedinqaungen und der

Umfana der weitverzweiaten heimiſchen Eittreezrgung .
ie künftige

klargestellt werden sollen, um für
Gestaltung des Zolltarifs und der Handelsbeziehungen
zum Ausland eine feſte, den Bedürfnissen der Gegen-
wart entsprechende Richtſchnur zu gewinnen.

Es würde Mir gzur hohen Genugthuung .
gereichen, wenn dieſe gemeinſame Thätigkeit, zu der

sich hervorragende Vertreter der großen Erwerbs-
gruppen zuſammengesunden haben, dazu beitrüge,

einen gerechten Ausgleich zwiſchen den verſchieden= l
artigen Ansprüchen unseres Erwerbslebens herbein.

zuführen und damit die Schärfe der wirthſchaftlichen

Gegenſäße zu mildern. Q..
Die Entwickelung unſerer Schutzgebiete ift im

Allgemeinen zufriedenstellend. Infolge des Auftretens

der Rinderpeſt in Südwestafrita während de.
Sommers hat ſich die Nothwendig?eit ergeben, ſofoot..)
an eine Beſſerung der Transportverl,ältniſſe durch

Legung von Schienengletiſen heranzutreten.

Ueber die Fesilegung der Grenzen zwischen Togo .
und Dahomey sind mit der franzöfiſchen Regirnng

Verhandlungea gepflogen worden, von deren Ergebniß

zu erwarten iſt, daß es den beiderseitigen wirthſchaſen. .

lichen Intereſſen zum Vortheile gereichen wird.
Die Ermordung tdeutſcher Miſſionare und die

Angriffe auf eine der unter Meinem Kaiserlichen
Schutze stehenden und mir am Herzen liegenden
Miſsionsanstalten in China haben? Mich genöthi ne.
Mein oſtasſiatiſches Geſchwader in die dem Thatoten.

nächstgelegene Kiautſchubucht einlaufen und Truppen
dort landen zu laſſen, um volle Sühne und Sicherhit.
gegen Wiederkehr ähnlicher beklagenswerther Ereigniſſe.
j U9%V tiüſten Veziehtgget;. zu den fremden
Staaten sind durchaus erfreilich. Meine Begegnungen

mit verbündeten und befreundeten Monarchen, ſowien

der glänzende und herzliche Empfang, welcher Mir
bei Meinen Beſuchen in Pelerhoft und Budapest zu



Feuilleton.



Der Eine und der Andere.
Erzählung von Ha n 8 W a rr i n g.

(Nachdruck verboten).
(Fortsetzung.)

Ein lautes, gut abgeſtimmtes Geläute kommt
näher und näher, .das ſind keine Glocken aus âe
ein.

„Wahrſcheinlich das Fuhrwerk aus dem ,weißen
Hirſch"n, das fremde Gäſte, von der Bahn in die
Nachbarſchaft bringt !“ ß | '

Sie will ganz ruhig bleiben, aber das Herz
fängt plötzlich heftig an'zu ?klopfen, fie .ſchiebt das
Spinnrad zurück.

„Ganz unnöihig, daß! ich aufstehe ~ zu mir
wird “t Niemand ; kommen !“ murmelte sie halblaut
vor ſich hin. | |

Aber sie sieht doch auf und ſchreitet! dem Flur
zu. Da bricht! das Geläute jäh ab, gerade vor ihrer
Haustreppe. '

Dann tönen raſche Schritte im Flur, + die
Thür wird aufgestoßen — ein“ großer, bärtiger, statt-
licher Mann steht vor ihr. Er ihut, als ob er. zu
Hauſe wäre, er wirſt den kalten’ Pelz ab, ehe er ſich
ihr nähert. Und dann steht er vor ihr und ſeine
Augen lachen fie an. An dieſen Augen erkennt
ſie ihn. . | ;





„Rudolf !“ ruſt sie und liegt in ſeinen Armen.

Und dann ſiten Mutter und Sohn zuſammen
und sie berichtet von bes Vaters letten Stunden und
seinem ſchmerzloſen Verlöſchen, von der Wirthſchaft
und den Erfolgen, die sie darin gehabt hat. Auch
von ihren Erſparniſſen erzählt sie ihm ſtolz.

Es dausrt lange, bis fie mit den Angelegen-
heiten des Hofes fertig iſt, aher der Sohn unterhrach

sie nicht, er hört geduldig zu ~ er weiß, daß die
Mühle auch ſchließlich an die Reihe kommen wird.

Und nun sind ihre eigenen Erlebniſſe abgethan, fie
ſtreiit die Schürze glatt, faltet ihre Hände
ineinander und fieht ihn an. Er merkt, daß ſie
nicht geſonnen iſt, von ſelbſt davon anzufangen,
alſo er muß fragen.

„Und wie geht es in der Mühle, Mutter “

„OD ganz gut !“ :

„Wie geht's der Eva ?“

„Ganz gut !“
Lid „Ih hab gedacht, ſie würd’ die Mühle ver-
aufen !"

„Ich hab's auch gedacht!“ [

„Hat man ihr kein gutes Angebot gemacht ?“

„D mehr als eins ~ aher sie wollte nichl !“

„Aber warum nicht? – Multer erzähle boch –
du weißt doch, e

„Nichts weiß ich, mein Sohn !“

„Mutterchen, quäle mich doch nicht !“

Dos war seine alte Stimme, die Stimme, mit
der t ſchon als Knabe unbegrenzte Macht über ſie
ausühte. "



„Gut, das kann ich dir erzählen, warum nicht?
Alſo, als sie jedes Angebot, auch das günftigfften.
zurückgewiesen hat, habe ich sie gefragt, weßhalb sie
ſich das Leben nicht bequem machen wolle ? Sie
könnte ja nach Königsberg ziehen und da von ihrem

Gelde wie eine große Dame leben. Da hat fen.
geſagt, sie kenne einen Menſchen, der die Mühle und
das Haus lieb gehabt hat, und sie wolle noch wartene.

ob er die Sache noch lieb habe, dann wolle sie sie
ihm verkaufen für ein Billiges, denn fie brauche nicht
viel, und wie eine große Dame wolle sie nicht leben.

Und nach der großen Stadt ziehe es sie gar nicht.

ſie wolle lieber, wenn es so weit käme, zu mir
kommen und wit mir zuſammen leben. Wer aber

der iſt, dem sie die Mühle verkaufen will, das hat

ſie nicht geſagt.“

„Nicht ?“ fragte Nudolf und lächelte. ;

„Und wie nun ein Jahr vergangen war, und
das andere beinahe auch, und wie ich geſeh:n hab,
daß die Laſt mit der Wirthſchaft ihr immer ſchwerer
wurde, da hab ich zu ihr geſagt : Sei nicht ihöricht,
Eva, dein Eigenthum wird unter"den untüchtigen
Werkmeiſtern immer werthloſer, die Schneidemühle

bringt mit jedem Tage weniger ein, und mit de.

Mahlmühle geht es auch nur ſo ſo. Verkauf, Nind,

je eher, 1e lieber, auf den, von dem du mir geſprochen

haſt, ſcheint doch kein Veilaß zu sein.“
(Schluß folgt.)


 
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