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_ haofstraße 9. Telegramm - Adresse:
... Heidelberg. Anzeigenpreis : Die 5-geſpaltene Petit-

Marianne.

es nicht ab.



Der „Deutſche Volks b o te“ erſcheint zweimal
wöchentlich. Verlag und Leitung : h zivelveta, Zaht:

Zeile 10 Pfg.

.EeaennÀtitftoDD S

j Preis vierteljährlich durch den Briefträger fre
t rf ars M le L OR
von unſerer Expedition abgeholt 80 Pfg

Poſtzeitungsliſte Nr. 1964a.



I 95.

Heidelberg, Samstag den 27. November 1897.

6. Jahrgang.





Noch einmal die Tabakfſrage.

_ Anm Mittwoch haben wir einen Aufsatz über die
Tabakfrage veröffentlicht, den wir unter Angabe der

Quelle, dem „Heidelberger Tageblatt“ entnommen
hzatten. Wir hatten ihu als leſenswerth bezeichnet,

freilich b:handelt er dieſe ſo hochwichtige Frage etwos
oberflächlich, und darum fügen wir heute noch einige
Bemerkungen hinzu. Vorausſchicken wollen wir nur
die Mittheilung, daß der angezogene Artikel auch
durch einen Theil der n a t i o n a l li b er a l e n
Prefſe gegangen ift, ein Zeichen, entweder daß es
auch in dieſer Partei ein wenig zu dämmern anfängt,
oder – was vielleicht richtiger iſt — daß den

Nationalliberalen vor den nächsten Reichstagswahlen
bange iſt. Wenn nämlich in jener Abhandlung

geſagt wird, daß. Anfang der 90er Jahre der konſer-
vative Reichstagsabgeordnete M e nz er, „in richtiger
Würdigung der Lage“ den Antrag auf Zollerhöhung
für ausländiſchen Tabak gestellt habe, daß dieser
Antrag jedoch nicht durchgegangen iſt, so muß man
wiſſen, daß es in erfter Reihe mit die na tio nal-
liberal? Partei geweſen iſt, die ſich g e g en eine
Erhbhung des Einfuhrzolles ſchroff ausgeſprochen hat.
Jeht, da die Noth auf einen noch nie dagewesenen
Höhepunkt geftiegen iſt, wird ein anderer Ton ge-
blaſen, und es ſollte uns herzlich freuen, wenn in der
nationalliberalen Partei thatſächlich ein Stimmungs-
Umſchwung eingetreten ſein ſollte, was wir jedoch,
nach früheren Erfahrungen, nicht ſo ohne weiteres
glauben können. Das iſt eben der große ssehler der
nationalliberalen Partei, daß sie, troßdem fie ſich der
in früheren Jahren begangenen politiſchen Fehler sehr
wohl bewußt iſt, aus falſchem Schamgefühl nicht da-
zu verstehen kann, ihre Irrihümer als ſolche ehrlich
anzuerkennen und an der Umkehr auf der falſchen
Bahn theilzunehmen. Das iſt die Haupturſache für
den stetigen Rückgang der Partei, die noch jetzt die
größte im Reiche ſein könnte, wenn sie sich zu einer
den Zeitverhältniſſen Rechnung tragenden R ef or -
m ation entſchließen würde, anstatt ihre Macht-
ftelung nur durch unliberale Unterdrückung und
obrigkeitliche Bevormundung zu vertheidigeen.
| Doch kehren wir zu den Ausführungen jenes
Aujsatzes über die Tabakfrage zurück. Sehr richtig
ift, daß die „Ueberproduktion“ den gewaltigen Rück-
gang der Preiſe al l ein nicht erklären kann, da
müſſen ſchon noch andere Urſachen mitſprechen. Der
Zwiſchenhandel liegt auch beim Tabak fast ausschließ-

. lich in den Händen der Juden. Wenn man nun

ſicht, daß in a l len Branchen, in denen ſich der
Jude eingenistet, die Waarenpreiſe g ed r ü >t und
dadurch solide Produzenten und Arbeiter in dem Er-
werb ihres täglichen Brodes arg ge ſ ch mälert

werden, ſo kommt man auch der Löſung des ,Tabak-
Preis-Räthſels“" sehr nahe. Man ſorge für Unſchäd-
lichmachung des wucheriſchen Hw i ſchenh andels,
das muß das Bestreben eines jeden ehrlichen, land-
wirthſchafts fr eu n d l i ch e n Politikers sein.

Zollerhöhung a ll e i n, so nüytlich sie auch ist,
um den deutſchen Tabak gegenüber dem ausländiſchen
konkurrenzfähig zu erhalten, genügt nicht, sie kommt
mehr dem Häntler und Fabrikanten zu Gute als dem
Produzenten, der auch dann noch von den
Zwiſchenhändlern nach allen Regeln der Nunfſt übers
Ohr gehauen werden kann. Aus dieſen Erwägungen
heraus iſt das Verlangen unuſerer antiſemitiſchen
Deutſch-ſozialen Reformpartei nach Einführung des
R o ht a b a k - Monopols entstanden. Dieses ſchränkt
die private Tabakfabrikation in keiner Weiſe ein, aber
anstatt des Juden iſt der S t a a t der Zwiſchen-
händler, und daß unſere deutſchen Tabakbauern dann
beſſer Fahren werden, iſt wohl zweifellos.

Neben der auf dem Wege der Geſetgebung zu
erſtrebenden st a a t li ch en Hülfe, muß die S el b ſt-
hül f e einhergehen. Wir können den Tabakbauern
nur immer von Neuem rathen: G r ün d et T ab a k-
V erk a ufs » Gen o ſſ en ſcha f ten, wie sie durch
ten Neuwieder Verband der Raiffeiſenkaſſen ſchon an
vielen Orten ins Leben gerufen worden sind. Die
Leiter unſerer Partei sind gerne erbötig, zur Grün-
dung ſolcher Genoſsenſchaften behülflich zu sein. Jn
den lezten Tagen erſt iſt in Altlu ß h eim, im
Anſchluß an die dort ſchon lange segensreich wirkende

Raiffeiſen - Darlehenskaſſe, eine ſolche Genoſſenſchaft

gegründet worden (wir verweiſen auf die unter den

Nachrichten „Aus, Nah und Fern“ in der heutigen

Nummer befindliche nähere Mictheilung). Dieſe Ver-

eine bezwecken den g emein ſa m e n Verkauf des Ta-

baks, woburch es möglich wird, besſere Preiſe zu er-
zielen, als wenn ein Tabakproduzent dem andern im
Orte Konkurrenz macht. )

Sehr wohlfeil iſt der Rath, andere Gewächse zu |

bauen, wenn der Tabakbau nicht mehr lohnt. In
dem von uns abgedruckten Aufsatz iſt ſchon darauf
hingewieſen, daß dies einmal nicht so einfach iſt, und
daß damit auch nicht die Preis - Frage zu löſen kei.
Vielleicht denken die guten Rathgeber an Tabaks-
Surrog ate, wenn ſie den Bau anderer Handels-
gewächſe vorſchlagen, z. B. Dü > r ü b en. Wir er-
halten nämlich aus Kirchheim folgendes Schreiben :
„Der ,„Deutſche Volkshote“ brachte unter dieſem
Titel in seiner Rr. 94 einen Artikel, der ſehr viel
Richtiges enthält, jedoch viele Gründe, warum ſich
der Tabakbau heute nicht mehr rentirt, vollständig
außer Acht läßt. Daß oft der besſtausgefallene Tabak
infolge der jüdiſchen Tabakringe nicht reell bezahlt



wird, weiß auf dem Lande jedes Kind. Davon |

können auch dieſes Jahr die Kirchheimer ein
Lied singen, die zum Danke dafür, daß sie so stramm
nationalliberal gewählt haben, nun von den Juden

nichts für ihren Tabak bekommen. Doch das nurn

n e b en b ei: Der Pfälzer Tabak ist in der That
lange nicht ſo ſchlec<ht wie sein Rulf.
Die Qualität iſt ja allerdings in den letten Jahren
wesentlich zurückgegangen, aber auch durch diese
Gründe und die Ueberproduktion läßt ſich der furcht-
bare Rückgang des Tabakpreiſes nicht erklären. Jn

den 60er Jahren wurden für Tabak KNirchhime.

Gemarkung 28 Gulden =~ Mk. 47.60 bezahlt. Noch
in den 60er Jahren wurde für denſelben Tabak 22
Gulden –~ NM. 37.40 bezahlt und heuer wird in

Kirchheim Mk. 12, sage und ſchreibe z w ö l f Mark, d
alſo n i < t d er dritt e Theil des Preiſes, den_t

1861, und nicht der vi er t e (1) Theil des Betrages,
der 1858 bezahlt wurde.“ |

Die in dem erwähnten Artikel angeführten
Gründe mögen z um Th eil dazu beigetragen
haben, daß die Preiſe ſo zurückgegangen ind. De.
Urs ache des ſ< le <ten Ruf es der Pfälle.

Tahake wird aber leider viel zu wenig nachgeforſcht.

| In den 60er und 70er Jahren hatten wir eine ben
deutende Tabakausfuhr nach Amerika. Da, mit enm
es, Amerika kaufe den Pfälzer
„St in ka d or e z" nicht mehr. Und wie km den.
plötzliche Umſchwung ? Das kam zum großen Theile.

Mal hieß

~ wenn nicht allein – daher, daß gewisſsenloſe
Spekulanten, die heute womöglich Kommerzienräthe
sind und das Bändchen vom Zähringer Löwen im

Knopfloch tragen, Di Er ü b en st i e l e (111) in grozken.
Mengen aufkauften und als T ab ak ſtiele ven.
hrauchten. Kirch h ei m allein lieferte in enm

Jahre etwa 1500 Zentner, zu 3 Mark den Zentner ! !
Und da wundert man ſich noch. au .
Die Käufer dieſes „Pfälzer Lumpenzeugs“ aber

ſind „hochachtbare T ab ak - Fabrikanten“, die viel.

leicht mit bürgerlichen und sonstigen Ehren reich be-

dacht sind und als treue Anhänger und Stützen der

nationalliberalen Partei angeblich auch die „Förde-
rung der Landwirthſchaft“ sich ſehr angelegen ſein
laſſen ; der Konſument dieses natiovalliberalen Tabaks
&tt fe! aus und schimpft auf den – „Pfälzer
Stinkadores.“

Soweit unſer Kirchheimer Gewährsmann. Zweifeln. .

los trägt eine Geſchäftsmanipulation, wie sie eben
geſchildert wird, bedeutend dazu bei, den guten Ruf

des Pfälzer Tabaks zu schädigen und ſeine Konkurrenz.

fähigkeit auf dem Tabakmarkt ſchwer zu beinträchtigen.

Man ſollte daher ſolchen „Tabak“-Fabrikanten gründ-
lich zu Leibe gehen, und wir behalten uns vor,



Feuilleton.



Der Eine und der Andere.
Erzählung von Han 8 War rin g.

(Nachdruck verboten).
u (Foriſehung.)
„Ich zittere und bebe, — ich weiß gar nicht,
wie ich den Weg herstt ü Herr. wei!
"ett. ein mot lk niederwarf q! ' die Hände
rang.

! „Was giebt's denn, ~ was "fehlt dir ?“ fragte

quiet Che h ih s te Br weis
es erſt mit Unglücksfällen in einer Familie anfängt,
ſo müſſen es drei ſein, richtige drei, darunter geht
s nicht ab. Nun war der Großvater — du weißt,
er hat die Rumflaſche mehr geliebt als Weib und
HNind, und sie habenſihn als;.Leiche aus dem See
U n tr Ute reis Le

ke „Wovon ſprichſt du denn, Schugstin ?“

„Red doch nicht ſo, Marianne, du mußt doch

am besten wifſen, wovon ich ſpreche. Er ift doch hier
in deinem eigenen Hauſe + in der Kammer dort —
geſtorben, als er in der Nacht von dem NKeygsterberge



in das Flüßchen hinabgestürzt iſt. Also das war der

zweite, der ſo elend zu Grunde ging “

„Du ſprichſt von den Lipperts ?“

„Na, wovon ſsoll ich denn sonst sprechen, als
von den Lipperts! Es ist genug von ihnen zu ſagen,
man tarf ſich, wenn man reden will, nicht nach
anderen umſehen. Also der dort in der Kammer ge-
storben iſt, das war der zweite. Nun muß der dritte
an die Reihe kommen, ~ das wußte ich, als wenn
es mir einer geſagt hätte !“

„Ich verstehe dich noch immer nicht ich bitte
dich, sprich rund heraus, iſt etwas in der Mühle ge-
ſchehen ?"

d hr zitterte, daß sie ſich nicht auf den Füßen
halten konnte, und ließ sich langſam in einen Stuhl
inken. '

f „Na, aher du biſt heute ſchwer von Begriffen,
Marianne! Ich rede nun ſchon eine halbe Stunde
über die Unglücksfälle, und du fragst, ob etwas ge-
ſchehen iſt! Vorbereitet genug habe ich dich, alſo

erſchrick jekt nicht: Sie haben den jungen Müller

todt in sein Haus getragen – in der Mühle von
einem Balken erſchlagenn.

„O, mein Gott !“
; Marianne sank an die Lehne ihres Stuhles
yr... fie haben ihn hereingebracht, ich habe es

selbst geſehen. Ich stand gerade in der Küche, ich
war ein bischen hineingegangen, denn ich hatte etwas

mit der Roſe zu reden, da brachten sie ihn. Ich habe
mich ſo entsetzt, daß ich noch immer zittere.“



Die Mutter zitterte nicht mehr, sie hatte fich
gefaßt und stand ruhig und entſchloſſen auf.

„Ich muß hinüber zur Mühle, ~ das ane.
Kind. die Eva, wird einen Zuſyhruch brauchen. Sie

soll fühlen, daß sie nicht allein sieht auf Erden, daß
sie noch eine Mutter hat. ~ Chriſtel“, rief fie zur

| Küchenthür hinein, „laß den Hendrick den klenn.
Schlitten anspannen, derweilen ich mir den Pelz aua

ziehe. Und paß mir auf meinen Alten auf, bleib in

der Stube bei ihm und laß die Lieſe das Mittagbrot.

tſcratr. Mein Gott, mein Gott, das arme, arme
ind !

Cine halbe Stunde ſpäter ſtand sie der jungen

bf gegenüber, die ihr mit einem Gesicht, blaß und

arr wie aus Marmor gehauen, entgegen gekommen
war. Aus den dunkelen Augen blickte starres Ent-
ſeßzen, ohne ein Wort zu finden, reichte sie der Mutter
eine eiskalte Hand hin. Erst als dieſe fie warm im
Arm hielt und ihr liebevoll zuſprach, erwachte sie aus
ihrer Erſtarrung. Ein Zittern durchlief ihren Körper,
im Geſicht zuckte und arbeitete es, und endlich kamen
die wohlthuenden Thränen und lösten den Bann.
Sie warf die Arme um den Hals der Mutter und

ſchluchzte und weinte an ihrer Bruſt wie ein ge-

ängstigtes Kind, das in der Mutter Arm endlich die
Stätte der Ruhe und der Sicherheit gefunden hat.
Und bald hatte sie Faſſung genug, über das geſchehene
Unglück zu berichten.

(Fortſeßung folgt).
 
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