Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext


„Der ,Deutſche Volksbote“ erſcheint zweimal
wöchentlich. Verlag und Leitung: Heidel-
berg, Bahnhofstraße 9. Telegramm-Adresßsſe :

Volksbote" Heidelberg. Anzeigenpreis: Die
5-geſpaltene Petitzeile 10 Pſge.

«+ BPadiſher Yolksbote. Waht am Rheiu. §



Preis vierteljährlich durch den Briefträzker
frei in's Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unsere Boten in Heidel-
boi so Pig. " Poitzrttungsfe ze sss



M 77.

Heidelberg, Samſtag den 25. Heptember 1897.



S. Jahrgang.





An unsere Freunde
richten wir die dringende Bitte, für die Verbreitung
des Dentſchen Volksboten jetzt mit verstärktem Eifer
zu agitieren. Die badischen Landtagswahlen stehen
vor der Thür, da gilt es mehr denn je, aufkſärend
kP.qtt!. d V.ctctre. Lt tbercie Birte
Fetes sich das ; wir ja in den letten
Wochen und Tagen wieder ſehen müſſen - in allen
möglichen Verdächtigungen gegen unsere Partei und
ſchrecken ſelbſt nicht vor der Lüge zurück. Jeder
d eutsſ -n at iona l geſinnte Mann ſollte daher nicht
nur sſelbſt auf ein d eut ſch- n atio n ales und deshalb
auch antisemitisch es Blatt abonnieren, sondern
!!) U: [: Dres tilt teucctu Les A
kt! Je Monate abonniert werven, und der Be-
f L EN EE ssi

Schriftleitung und Verlag des
„Deutschen Volksboten.“

Kaiſer Wilhelm in Budapeſt.
Unter stürmiſchem Jubel der Bevölkerung ist am
20. September der deutſche Kaiſer in der Hauptstadt
Ungarns eingezogen. Sämtliche Zeitungen Peſts ver-
anstalteten Sonderausgaben mit überſchwänglichen Be-
grüßungsartikeln. Der ,„Pesti Hirlap“ überschreibt
seinen Leitartikel „Wilhelm der Eroberer“ und be-

gründet dieſe Worte indem er ſagt: Der Kaiſer habe

die in Pest zu ſeinem Empfange versammelten hundert-
tauſende Ungarn erobert. Die aus dieſem Anlaß in
Peſt herrſchende Begeiſterung erinnere an die größten
Tage der Landesgeſchichte. Die Ehrung Andrassys,
des Mitbegründers des Dreibundes, durch Verleihung

des Kronenordens an dessen Sohn, sei eine starke

fürstliche That, die verbinde und tief rühre. Echt
magyariſch seien die großen Ovationen und der warme
begeiſterte Empfang der Bevölkerung." ~ Bei dem
am 21. September dem hohen Gaſte zu Ehren veran-
stalteten Hof-Prunkmahl brachte Kaiſer Franz Joſef
folgenden Trinkspruch aus :

„Jnnig erfreut über deu Beſuch, den Mir Euere
Majestät abzuſtatten die Güte haben, gereicht es Mir
zur besonderen Henugthuung, Euere Majestät diesmal
in Meiner ungariſchen Haupt- und Residenzstadt will-
kommen zu heißen. Ich begrüße in Eurer Majestät
den treuen Freund und Bundesgenoſſ en,

den beharrlichen Mitarbeiter an dem großen Frie-

dens werke, dem unsere beſten Kräfte immerdar ge-
widmet sein mögen, und von der Gleichartigkeit
der Gesinnungen überzeugt, die uns bei dieser





erhabenen Aufgabe leiten, leere Ich Mein Glas auf
das Wohl Ew. Majeſtät mit dem Rufe: Seine
Majeſtät Kaiſer Wilhelm lebe hoch!"
Kaiſer Wilhelm antwortete in freier Rede mit
folgendem Trinksſpruche:
zz „Mit jGejale. tiesſten Dankes nehme Ich Eurer
ajeſtät so
Dank der Einladung Eurer Majestät habe Ich diese
herrliche Stadt beſuchen können, deren großartiger
Empfang Mich geradezu überwältigt hat. Mit sym-

herzlichen Willkommengruß entgegen.

pathiſchem Intereſſe verfolgen wir daheim die Ge- |

ſchichte des ritterlichen Ungarnvolkes, dessen Vater-
landsliebe sprichwörtlich geworden ist, das in seiner
kampfesreichen Vergangenheit Gut und Blut für die
Verteidigung des Kreuzes zu opfern nicht gezögert.
Namez1 wie Zriny und Szigeth lassen noch heute die
Herzen eines jeden deutſchen Jünglings höher schlagen.
Mit sympathiſcher Bewundernng haben wir die Feier
des 1000jährigen Geburtstages begleitet, den das ge-
treue Ungarnvolk, um ſeinen geliebten König geschart,

in überraſchender Herrlichkeit gefeiert hat. Die stolzen

Baudenkmäler geben Zeugnis von seinem Kunſtsinn,
während die Sprengung der Fesseln des Eisernen
Thores dem Handel und Verkehr neue Wege eröffneten
und Ungarn als gleichberechtigt unter die großen

| Kulturvölker einreihte. Was Mir aber während Meines

Aufenthalts in Ungarn und zumal bei Meinem Em-

pfange in Pest den besten Eindruck macht, das iſt die
begeiſterte Hingabe der Ungarn an Euerer Majestät er-

habene Perſon. Aber nicht nur hier, sondern in
Europa und vor allem bei Meinem Volke erglüht

dieſe Begeiſterung für Eure Majeſtät, deren auch Ich |
Mich teilhaftig zu nennen erkühne, indem Ich nach

Sohnesart zu Euer Majestät als Meinem väter-
lichen Freunde aufſfblice. Dank Eurer Majestät
Weisheit besteht unſe r B un d, zum Heile unserer
Völker geschloſſen, fe ſt und unauflösl i < und
hat Europa den Frieden ſchon lange bewahrt und wird

es auch fernerhin thun. Die begeiſterte Hingebung

für Euer Majeſtät + deſſ bin ich gewiß, — ſie lebt
auch heute in den Herzen der Söhne Arpads wie
damals, als ſie Euer Majestät großer Ahnherrin :
Moriamur pro rege nostro! (Wir wollen für
unseren König in den Tod gehen !) zuriefen. Diesen
Gefühlen Ausdruck gebend, wollen wir Alle, was wir
für Euer Majestät zu fühlen, denken und bitten ver-
mögen, in den Ruf zusammenfassen, den jeder Ungar

bis zum letzten Atemzuge ausrufl : Eljen a Kiraly !“

Am 21. September Abends 10 Uhr reiste Kaiſer
Wilhelm nach herzlicher Verabſchiedung von Kaiser
Franz JJoſef ab. Der deutſche Kaiſer ſprach ver-
ſchiedentlich seine Freude über den herzlichen Empfang
in der Hauptstadt Ungarns aus, und thatſächlich dürften

die Huldigungen auf den Straßen dem Herzen der

.. :::.:

ff den Worten hoher Herrſcher eine große Tragweite.Ö

leicht entzündbaren Menge entsprungen sein. Ob aber
dieser Kaisſerbesuch irgend welche Besserung der Ver

hältnisse zwischen Deutſchen und Magyaren herbei-
führen wird, halten wir für mehr als fraglich. Denn

'in die Freude über den hohen Besuch miſchte sich auch

eine politiſche Genugthuung, nämlich darüber, daß der

Kaiſerbeſuch zum erſten Male seit dem Beftand des

Dualismus öffentlich bekundet, daß Budapest nicht nur
die Hauptstadt des Ungarlandes, sondern auch König-
liche Residenz iſte. Sehr bezeichnend für die Denkart
in den m aß g eb e n d en Kreiſen (das iſt der durch
und durch verjudete A del), iſt der Umstand, daß auf

der Hofgesellſchaft am Abend des 20. Sept. der Hon.

adel sich größtenteils fernhiell. Namentlich fehlten

viele der eingeladenen Damen. Von 416 geladenen.

Abgeordneten erſchienen nur 152. Jn überwiegender
Anzahl waren die Mitglieder der Regierungspartei
vertreten. Die Oppoſition kam in geringer Zahl,
wobei auffiel, daß sämtliche Oppoſitionsführer fern-

blieben, Graf Albert Apponyi ebenſo, wie Graf Fern

dinand Zichy und Franz Koſſuth.
î Die altgewohnte Hetze gegen alles, was d eu t ſ ch
heißt, dürfte durch den Kaiſerbeſuch daher nur eine

kurze Unterbrechung erlitten haben. Wir hallen e.

für bedauerlich, daß man Se. Majestät den Kaiser
Wilhelm im Unklaren gelassen hat über die erbitterte
Stimmung, welche gerade in vielen p atri o ti ſ chen
Kreiſen Deutschlands gegenüber den Magyaren herrscht.
Auch die Begeifterung für Kaiſer Franz Joseph iſt

bekanntlich keine ſehr große mehr. Wir meinen, daß es

P fich! der Um ge bun g mächtiger Fürſten iſt, die-

inne wohnt.

Deutsches Reich.



* Das YBörſengeſeß und die Landwirtſchaft. .

Aus Berlin wird am 21. Sept. berichtet: Nach einer
Meldung eines Berichterſtatters nahm die Landwirt-
ſchaftskammer von Brandenburg in der heutigen Sitzung
eine Resolution an, worin ſie ihr Bedauern ausſpricht,
daß das Börsengesetz nicht korrekt ausgeführt werde.
Bezüglich der Frage der Wiederherſtelung der
str Börse sprachen sich sämtliche Redner ablen-
nend aus. ' :
_ “* Die Eiſenbahnunfälle auf den deulſchen Wahnen
häufen sich in der letzten Zeit ſo erſchreckend, daß der
gute Ruf, den die deutſchen Eiſenbahnen in der ganzen
Welt bis jetzt besaßen, ſchwer darunter zu leiden haben
wird. Wenn man Tag für Tag in der Zeitung lesen
muß, daß da und dort Zuſammenstöße, Entgleiſungen
etc. stattgefunden haben, ſo wird einem das Reiſen

ſchließlich einigermaßen verleide. Die Frage: „wo J





Jeuilleton.



Der Eine und der Andere.
; Erzählung von Hans Warring.
| | (Nachdruck verboten.)

„Bald dachte ich, dieser iſt es, bald der andere,"
sprach Marianne weiter. „Erst in letzter Zeit, als
ihr fern waret, bin ich zu ruhiger Ueberlegung ge-
kommen. Und erst heute habe ich die Gewißheit er-
langt: Du bist mein Kind! Du bist Blut von meinem
Blute — jener hat keinen Tropfen davon, — keine
Faser meines Herzens in sich, ~ Rudolf, kannst du
mir verzeihen, um meiner großen Liebe willen?‘

q . ſie sich trennten, war es klar zwiſchen Multer
und Kind. - .

„Laß ts dir nicht leid thun, daß ich reiſe ~
es iſt besſer ſo! – Und wenn ich im Herbst zurück-
komme und dem armen Kranken da drinnen kein treuer
Sohn, kein Stütze bin, dann ſsollſt du auch von mir
sagen: er hat keinen Tropfen meines Blutes, keine
Faſer meines Herzens in ſich !" ;

V.
Der Zuſtand des Kranken blieb ziemlich der gleiche,

auch als man ihn mit dem Beginne des Frühlings

aus dem Bette in den großen Lehnstuhl brachte, den
man für ihn ans Fenster der Wohnſtube gerückt hatte.
Da saß er den ganzen Tag und blickte auf die Straße



hinaus, wie ein Kind, uud ebenso ſsurgenlos, zufrieden,
wenn ſeine augenblicklichen Bedürfnisse erfüllt waren,
lzgeh und nickend, wenn Marianne ihm lächelnd zu-
nickte. a.

Jetzt hätte sie nicht mehr sagen können: Du kannst
ohne mich leben, ~ jetzt war sie ihm notwendig wie
das tägliche Brot, unentbehrlich wie Licht und Luft.
Jetzt war er ihr Kind geworden, für das sie ſorgen
und denken mußte, wie einſt für ihre Jungen. Wenn
ſie hinter seinem Stuhl stand, über sein weiches, er-
grauendes Haar ſtrich und ihre Lippen darauf drückte,
dann flüſterte ſie wohl: „Der Herr hat Erbarmen mit
dir gehabt, er hat in deinem Gedächtnis alles ausge-
löſcht, was dir Kummer gemacht hat !! Dann ant-
wortete er irgend etwas mit einer undeutlichen Sprache,

die ihc allein verständlich war. Die Welt dieses einst

so rüſtigen, kraftvollen Mannes war sehr klein ge-
worden, sie umfaßte nur die Dinge und Menſchen,
welche in seinen Gesichtskreis traten, was er nicht ſah,
war für ihn verſunken und verſchwunden. |

Nach Rudolf fragte er nie, mit seiner Abreise
war er aus seinem Leben ausgelöſcht. Wenn ein
Brief von ihm anlangte, und die Mutler den Verſuch
machte, sein Intereſſe für den abwesenden Sohn zu
erregen, hörte er geduldig zu, nickte ab und zu mit
dem Kopfe und verſuchte ans Gefälligkeit gegen die
Mutter einige Teilnahme zu zeigen.

Marianne hätte dann in ihrem Jammer laut auf-
schreien, ihn rütteln und ihm ins Ohr rufen mögen :
er iſt doch dein Sohn, dein einziger Sohn! Aber
was hätte ſie damit erreicht? Die Ueberzeugung, daß
Rudolf der Fremde, der verhaßte Eindringling sei,





hatte sich im Laufe der Jahre in seinem Kopfe bis
zur Unausrottbarkeit feſtgeſezt, selbſt die Thatsache,
daß Martin öffentlich als Erbe des Müllers anerkannt
war und von seinem Erbe Besitz ergriffen hatte, konnte
daran nichts ändern. ;

„Mein Sohn, der junge Müller," pflegte er zu

sagen, wenn er von ihm ſprach. Ihn vergaß er nithhe.

auch wenn er ihn tagelang nicht geſehen hatte, und
wenn er kam — und er kam oft herüber, um nach
den beiden verlassenen Alten zu ſehen und den Wirt-
ſchaftsbetrieb des Hofes zu überwachen – ging ein
Schein von Stolz und Befriedigung über sein ver-
fallenes Gesicht. Martin hatte ſich raſch in seine neue
Lage gesunden und benahm sich klug und vorsichtig.
Beſonders war er befliſſen, seine Dankbarkeit gegen
ſeine Pflegeeltern öffentlich zu beweiſen. In dieser
Hinsicht war man allgemein des Lobes voll von ihm.

Daß er ſich in seinen wirtſchaftlichen Bestimm-
ungen oft rücksichtslos und herrſchſüchtig zeigte, daß er

“ die Dienſtleute durch unnütze Härte und Strenge auf-

säsſig machte und dadurch der Mutter das Leben er-
ſchwerte, drang nicht in die Oeffentlichkeit. Und wenn
ur z urur yu Uu .
Besen, die ſcharf kehren, mit der Zeit aber milder und
weicher werden. .

Um diese Zeit, zu Beginn seiner Herrschaft, war
man überhaupt geneigt, das Beſte von ihm zu denken.
Man rühmte seine Umsicht und Sparsamkeit, ſeinen
Eifer und seine Pflichttreue bei dem Betrieb seiner weit-
läufigen Wirtschaft, und seinen klaren, scharfen Verstand.

(Fortſezung folgt.)

en über die Volksſtimmung genau zu informiere,
 
Annotationen