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Der „Deut ſ<e Volks b o te“ erſcheint zweimal





wöchentlich. Verlag und Leitung : Heidelberg, Bahn-
hofstraßze 9. Telegramm - Adreſſe: „Volksbote“
Heidelberg. zeigte ; F! 5-geſpaltene Petite.





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> Padiſcher Volksbote. - Wacht am Rhein. +



Preis vierteljährlich durch den Briefträger frei
in's Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſiſchalter
oder durch unſere Boten in Heidelberg 1 Mk.,
von unſerer Expedition abgeholt 80 Pfg.
Poſtzeitungsliste Nr. 19642.. . !



A 91.

Heidelberg, Samſtag den 13. Noyeniger 1897.

B. Jahrgang.





Endgiltiger Sieg
in Heidelberg-Land.

Wie wir es erwartet hatten, sind den Herren
Nazzen ihre unſauberen Ränke nicht geglückt. Bei
der Abgeordnetenwahl, welche am 10. November für
den 49. bad. Wahlbezirk im Rathhaus zu Heidelberg
stattfand, ging unſer Kandidat Herr Landwirth
Friedrich Mampel als Sieger hervor. Auf
ſeinen Namen vereinigten sich 82 Stimmen der Wahl-
männer, während der nationalliberale Kandidat, Herr

d Schuh vom Grenzhof nur 64 Stimmen erhielt.

Alſo mit der erklecklichen Mehrheit von 18 Stimmen
haben wir den Sieg erfochten.

Ueber den Lebensgang unſeres Abgeord-
neten Mampel können nir unſeren ſGesinnungs-
FU z! ): ezie Mittheilurgen rr gr
h e i m als Sohn des dortigen Schmiedemeisters und
Vürgermeiſters Mampel geboren. Er beſuchte da-
ſelbſt auch die Schulen und bildete sich dann zum

prakiuiſchen Landwirth aus. Den F el d z u g 1870/71

machte er als Freiwillig er in der improvi-
ſirten Proviantkolonne der 1. Infanteriediviſion des
preußiſchen Gardecorps mit. Als ſolcher nahm er
gan den Schlachten von Gravelotte, St. Privat, St.
Marie aux chéênes, ſowie Sedan-Beaumont theil-
Seine Feldzugserlebniſſe hat Mampel ſpäter in einem
By!» ziert. das sich viele Freunde er-
î worben hat. | :

Im Jahre 1865 wurde Herr Mampel Mitglied |

des Landwirthſchaftlichen Bezirksvereins Heidelberg.
1876 wurde er in die Direktion desſelben gewählt.
Er hat als Direktionsmitglied ſein lebhaftes Interesse
für den Verein wiederholt an den Tag gelegt, be-
ſonders gelegentlich der landwirthſchaftlichen Ausstel-
lung in Heidelberg vom Jahre 1876. Ferner iſt
Herr Mampel Mitbegründer der Kirchheimer frei-
willigen Feuerwehr und noch jeßt als Hauptmann
deren Mitglied. Im Jahre 1882 wurde Herr Mampel
in den Gemeinde-Kirchenrath und im Jahre 1894 in
die Synode gewählt. ;

î Bei der Gründung des Deutſchen Reiches war
Herr Mampel eifriger Verehrer der nationalliberalen
Partei, bis er durch den Niedergang der Landwirth-
ſchaft zu der Erkenntniß gekommen ist, daß die
nationalliberale Wirthſchaftspolitik eine unheilvolle
für das Vaterland sei. Er ſagte sich darum von der
Partei los und trat dem parteiloſen Bund der Land-

wirthe bei, in welchem er jeßt das Ehrenamt als
Bezirksvorsender bekleidet. Seit einem Jahre ist

| ſchreiben :

Herr Mampel Anhänger und nunmehr auch Land-
tagêabgeordneter der Dentſch-ſozialen Reformpartei.
Herr Mampel ist alſo ein Mann aus dem Volke,
der namentlich auch die Intereſſen der ländlichen Be-
völkerung aus dem FF kennt. In der Politik hat
er dieſelbe Wandelung wie viele tauſend Andere
durchgemacht, welche früher, so lange die National-
liberalen noch nicht zu einer Hof-Lakaien-Partei
herabgeſunken war , dieser sich angeſchloſſen hatten,
sich aber später unſerer Deutſch-sozialen Reformpartei
!!yz!dten, als sie das Programm derſelben kennen
ernten.

würdiger Vertreter des 49. Wahlbezirks in der
Badiſchen 2. Kammer sein wire.

Der 10. November war ein Festtag für unſere
Partei. Alle unſere Wahlmänner verſammelten ſich
gleich am Morgen im Saale des „Prinz Max“. Dort

ſchmückte ſich jeder mit einer Kornblume, und dann

ging es in geſchloſſenem, ſiegesbewußtem Zuge nach
dem Rathhauſe, wo der Wahlakt stattfand. Die Ent-

täuſchung der Nationalliberalen über den Sieg war

köstlich. Noch bis zum lettten Augenblick hatten ſie
sich der Hoffnung hingegeben, es würden eine größere
Anzahl unſerer Wahlmänner bei der Hauptwahl um-
fallen. Noch 2 Tage vorher ſandten fie ihnen einen
na tionalliber alen Stimmzettel und an ihre
Wahlmänner außerdem noch folgendes Begleit-

Heidelberg, den 7. November 1897.

Sehr geehrter Herr!

Wir erlauben uns, Ihnen einliegend einen Wahlzettel für
unsern Kandidaten H er r n S ch u h zu senden. Da einige der
von den Antiſemiten vorgeſchlagenen Wahlmänner dem Ver-
nehmen nach nicht ausgeſprochen dieser Partei angehören, ſo iſt
die Möglichkeit, daß Herr Schuh doch noch gewählt wird, nicht
völlig ausgeſchloſſen. Zu dieſem Zweck iſt es aber nothwendig,
daß alle unſere Wahlmänner bei der Abstimmung anwesend sind.

Wir erſuchen ſie daher dringend, sich Mittwoch, den 10.
Novemker, rechtzeitig im Abstimmungslokal einzufinden. Zu
einer Vor beſpr e c u ng laden wir Sie auf Mittwoch, den
10. November, Vormittags pünktlich halb 9 Uhr in den
„Faulen Pelz“ freundlichst ein. /

Bei diesem Anlaß werden die Auslagen für Telegramme
c. rückvergütet. !

Der geſchäftsführende Ansſc<{huß
dex nationalliberalen Partei.

Den Herren Nazzen war es ſicher nicht unbe-
kannt, daß unſere Wahlmänner ihr Ehrenwort

verpfändet hatten, ihre Stimmen Herrn M'ampeel

zu geben. Jeder kann ſich alſo ein Urtheil über das
oben abgedruckte Zirkulär ſ.hr leicht bilden. – Nun.
die Quittung haben die Herren Nazzen ja am 10.
November erhalten: Sie mußten ohne S ch uh’ nach

Wir ſind überzeugt, daß er ein in jeder Hinficht |

Hauſe gehen, siesſfbekamen nur S < la pp en mit,
wie einer ſcherzhaft äußerte.

Eine sehr gehobene Stimmung herrſchte nach der
Wahl im „Prinz Max“, wo fich sämmtliche Wahl-
männer, ſowie viele Parteigenoſſen und Parteifreunde
zu gemeinſamem Mittagsmahl vereinigten. Trink-
ſpruch reihte sich an Trinkſpruch.

Es würde zu weit führen, wollten wir ale.

Reden hier ausführlich wiedergeben ; wir greifen
deßhalb nur folgende heraus :

. Herr Reichstagsabgeordneter H i r ſ < e l brachte
ein Hoch auf den neuen Landtagsabgeordneten aus,
Generalsekretär G o e b e l toaſtete auf Kaiſer und
Großherzog. Herr Abg. M a mpel ſprach seinen
Dank aus für die Ovalion und das ihm geſchenktte.
Vertrauen. Es ſei ein schweres und verantwortungs-
volles Amt, das ihm nun übertragen worden ſei.
Er bäte um Nachsicht, erkläre aber, daß er den ehr=-
li ch en W il len habe, nach Kräften die Interesſen.
seiner Wähler in der 2. Badiſchen Kammer zu ver-
treten. Seine Worte, wie auch die der Vorredner
wurden mit ftürmiſchem Beifall begrüßt.

Hervorheben wollen wir noch die Rede des Hern
Conſul M enz e r aus Neckargemünd, die er als Er-
widerung auf den Dank, welchen ihm Herr Abg.
Hir ſchel für ſeine thatkräftige Hilfe ausgesprochen
hatte, hielt. Er habe eigentlich nicht in den Wahl-
kampf eintreten wollen, da habe er aber, als er fiche
gelegentlich einer größeren Reiſe in Paris aufhielt,
in der ihm dorthin geſandten „Heidelberger Zeitung“
die bekannte Anzapfung seiner Person wegen Hergable

eines Wagens für eive antiſemitiſche Agitationsfahrt
geleſen. Dies und die Erkenntniß, daß endlich den.

nationalliberalen Phrasen, mit denen das Volk ſeit
Jahrzehnten benebelt worden ist, ein Ende getnacht_
werden müſſe, habe ihn von seinem Vorſay abgebracht.
Die Phraſen von der freien Selbstverwaltung und
Selbstbestimmung der Gemeinden ſeien nichts als
Sand in die Augen. Das haben wieder die „Orts-
bereiſungen“ des Herrn Stadtdirektors P f i ſte r hen
wieſen. Wesſſen Auge nicht getrübt sei, müfſe erkennen,
daß die Kanäle ter Wohlthaten der Regierung zu-
meiſt auf n ati on alli ber al e Aecdker geleitet
werden. Die Bureaukratie ſei troy gegentheiliger
nationalliberaler Behauptungen, auch in Baden über-
mächtig geworden.

Trotzdem er (Redner) in weſentlichen Punkten von dere
Deutſch-ſozialen Reformpartei abweiche, so ſei er doeh

froh über deren heutigen Erfolg. Ihr Sieg sei een

Schimmer aufgehender Morgenröthe. Es habe ihm
wohlgethan, so viele leben- und kraftſtroßende Männer
hier versammelt zu sehen, das bedeute auch Si eg
für die Zukunft, für die Reichsta g sw a hk.



Feuilleton.



Der Eine und der Andere.

Erzählung von H a n s Warrin g.
(Nachdruck verboten).

Dann aber ließ er ihn plötzlich frei und stürzte
aus dem Hauſe. Die Furcht, an dem Menſchen, der
seine Viutter beſchimpft hatte, zum Mörder zu werden,
und ein Grauen vor seiner eigenen, maßloſen Wuth
trieben ihn von dannen.

Es war ſchou dunkel, und hinter allen Fenstern
des Dorfes brannten ſchon die Lampen, als er
ſchleppenden Schrittes, abgeſpannt und todmüde
heim kam.
he Die Mutter hatte bereits den Weihnachtsbaum
aufgepuht und oftmals die Straße hinabgeblickt nach
den dreien, die heute ein frohes Fest mit denzEltern
feiern ſollten. Als sie Rudolf allein kommen ſah,
ging sie in den Flur hinaus, ihm entgegen.

„Du allein,, mein Sohn ? Wo sind die anderen ?"

î Er war in ſeine Stube getreten, wo er am Tiſche
die Lampe anzündete.

„Sie kommen nicht, Mutter.“

Er wandte ſich zu ihr hin, und sie ſah, daß ſein

ê Gesicht todtenblaß war.
„Um Gotteswillen, was iſt geschehen ?"
„Mutter, mit mir und dem Martin ist es aus,
wir beide können nicht zuſammen leben. Schon heute



wäre ein Unglück geſchehen, wenn Gott mir nicht
gnädig geweſen wäre, daß mir noch im letten Augen-
blicke Besinnung und Ueberlegung zurückkamen. Aber
ich bin meiner sicher, es kann bei seinem Anblick
wieder Ööber mich kommen. Und deßhalb will ich
fort – Mutter! Ich habe es mir in den letten
Swttt reiflich überlegt, es iſt das Beste, es
muß ſein !“ |
. „Ihr habt Streit miteinander gehabt ?" fragte
e tonlos.

„Rein, Mutter, es war mehr als Streit, es iſt
etwas, das nicht aus der Welt zu ſchaffen ist, das
zwiſchen uns slehen wird bis zum Ende.“

„Und wegen deſſen, was er dir geſagt hal, mußt
du fort ?"

! ht blickte ihm ernst und forſchend ins Gesicht.

„Nicht allein deßhalb! Es ist noch etwas
anderes dabei. – – IJc< will ein rechtſchaffener
Menſch bleiben – Mutter, ich will der Verſuchung
aus dem Wege gehen, sſo ~~ ſo — niederträchtig zu
werden, wie er meint, daß ich ſei!“

Er wandte sich ab und athmete ſchwer. Sie

hatte ihn verſtanden und nickte lraurig vor sich hin.
tot eine Schwäche über sie, daß ſie ſich ſetzen
mußte.

„Wann wirſt du reiſen ?“ ſragte sie.

„So raſch ichisfortkommen kann, Mutter !“

„Und wohin willst du gehen ?"

„Auch darüber bin ich ſchon mit mir einig ge-
worden...; Ich will?zu; Wittergehen. Er ist aus einer
alten Müllerfamilie im Schwäbiſchen. Sein Bruder

hat große Mühlenwerke am Neckar, er hat gemeint,



ich könnte da meine NKenntnifſe verwerthe. und
manches dazu lernen. Zu Neujahr könnte ich vielleicht
ſchon eintreten ~ ich werde mir] mein; Brod ſchon
verdienen, Mutter !“
. , Sie nickte wieder. Sie ſaß ftill da mit feſt
ineinander gefalteten Händen. Sie ſagte nicht:
Jett ift mein Glück wieder zu Ende, fie ſprach es
nicht aus, aber ein paar Thränen rannen langſam
über ihre Wange.
Es entstand eine lange Pauſe, jedes hing ſeinen
Gedanken nach. Endlich stand die Mutter auf.
„Wir müſſen hinüber und den Weihnachtsbaum

anzünden, der Vater hat sich ſchon den ganzen Tag

darauf gefreut. Wir müſſen ihm auch ein fröhliches

| Gesicht zeigen, Nudolf ! Er darf von unſerem Kummer

nichts ahnen !“ ,
Sie gingen hinüber, der Baum wurde angezündet

und die Dienſstleute kamen herein zur Beſcheerunne.

Der alte Andrees erfreute sich an den Lichtern und
allen den guten Dingen, die unter dem Baume
standen und lagen, wie ein Kind. Und nach KNinderart

war er ſo mit sich ſelbſt beſchäftigt, daß er alee.

andere darüber vergaß. Er ſah nicht, daß Marianne
den ganzen Abend mit ihren Thränen kämpfte, und
daß Rudolfs Gesicht bleich und düſter war.

. Als er, müde von den Freuden des Abends, von
seiner Frau zu Bette gebracht worden war, jaßen
Mutter und Sohn in der stillen Nacht noch lange

zuſammen.
(Fortsetzung folgt).
 
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