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Der „Deu tſc<he Volksbote" erſcheint zweimal
wöchentlich. Verlag und Leitung; Mannheim
H 10, 31. Telegramm - Adreſſe: „Volks bote"

Mannheim. Anzeigetpreis . §r 5-geſpaltene Petit-
. t Zeile 10 Pfg..

> Padilcher Volksbate. W

aht am Rhein. ~



Preis vierteljährlich durch den Briefträger frian.

in's Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſtſchalter
oder durch unſere Boten in Mannheim 1 Mk.,
von unſerer Expedition abgeholt 80 Pfg.

Poſtzeitungsliste Nr. 1964a. :



X 100.

Mannheim, Mittwoch, den 15. Dezember 1897. !









. Die Petroleumfrage q

steht jezt wieder im Vordergrunde der Wirthſchafts-
politik. Der nationalliberale Vertreter von M an n-
h e im im Reichstage, Herr B aſſ er man, hat
auf Grund der letzten, von uns schon kurz ge-
ſchilderten Vorgänge auf dem Petroleummarkt eine
Interpellation im Reichstag eingebracht, dahin lautend,
welche Maßnahmen die verbündeten Regierungen zu

ergreisen gedenken, um den auf Monopolisiruna des |

deutſchen Petroleumhandels gerichteten Bestrebungen
der amerikaniſchen „Standard Oil-Company“ ent-
qegenzutreten. Die nationalliberale Partei iſt na-
türlich vor Freude ob dieſer „v o l k s freundlichen“
Heldenthat ihres Abgeordneten ganz außer dem
Häuschen. .|. . ..
Sie ſcheint vergeſſen zu haben, wie sich die
nationalliberale Reichstagsfraktion vor zwei Jahren
benommen hat, als von einer and ern Partei

(freilich war es die der bitterböſen Antiſemiten l)

im Reichstag Abhilfe: gegen solche Monopolisirung
des Petroleumhandels und der damit verbundenen
Preistreiberei und Volksausbeutung verlangt worden
iſt. Ueber die Vorgeſchichte entcr ehmen wir
olgendesn
y ß „Der internationale Petroleumring, oder genauer
die Standard Oil-Company“ in Newyork, mit ihren
europäiſchen Tochter-Geſellſchaften ſeßt ſeit Jahr und
Tag alle ihr durch eine ungeheuere Kapitalkraft in
die Hand gegebenen Hebel in Bewegung, um auf

den europäiſchen Abſatgebieten, vor allem itt

Deutschland, eine Monpolstellung sich zu verschafsen.
It es dem amerikaniſchen Rieſentruſt erft gelungen,
den deutſchen Petroleummarkt in völlige Abhängigkeit
von ſeinen diktatoriſchen? Bedingungen zu bringen,
dann ist die Wahrſcheinlichkeit ungleich näher gerückt,

daß die ruſſiſchen Produzenten in die nordameri-
schen Anerbietungen über eine Theilung der Welt“,

insofern die lehßtere aus Petroleum-Verbraußern
beſteht, einwilligen werden. Welche Vorherrſchaft die
Vereinigten Staaten ausüben, mag man daraus er-
sehen, daß von dem auf 60 Millionen Mark be-
rechneten Werthe der deutſchen Petroleum-CEinfuhr im
lchten Rechnungsjahr (1896) 55 Millionen Mark
allein auf die Zufuhren xus Nordamerika entfielen.

Neben den Zweigniederlaſſungen der Standard Oil-
Company bestanden bisher in Deutſchland nur zwei
ſelbsisſtändige Geſchäftshäuſer für amerikaniſches
Petroleum, Philipp Poth in Mannheim und Rossow,
Jung u. Co. in Bremen, die ihr Oel von den sogen.
Ouitfiders bezogen, welche dem furchtbaren Druck der
Konkurrenz gegenüber bisher ihre Selbsiständigkeit

aufrecht zu erhalten vermocht hatten. Jm Sommer

Feuilleton.



(Nachdruck rerbster).

Ein Weihnachts-Märchen*).

Von Rudolf Vogel.

Es war zwiſchen hell und dunkel, und draußen

fielen leiſe die Schveeflocken hernieder. (
Ich hatte grad an die Weihnachtseinkäufe gedacht
und im Kopfe meine. paar Markle überſchlagen. Da-
mil war ich bald fertig, denn’s waren nit gar viel ;
und ich ſagte mir: Billig mußt du einkaufen oder

's langt nimmer ! Vor mir lag dir Zeitung. Auf der

hinteren Seite eine himmellange Anzeige „Weihnachts-
ausverkauf von JItzig u. Cohn“, alles märchenhaft
billig, „unter dem Einkaufspreiſe, wie Ihig u. Cohn
ſelber ſagten. Gott, dachte ich dabei in meiner Herzen,
was sind die Juden doch für edle Menſchen ! Da
ſeßen ſie ja zu, [nr um uns eine Weihnachtsfreude
zu machen : Du gehst zum Juden!

Indem wal es völlig Nacht geworden, und ich
weiß nit recht, ſchlaf’ ich oder wach’ ich, da wird mir
zu Muth wie hämals vor vielen Jahren, als ict noch
ein Bub war, wenn ich in meinem Bettchen lag und






*) Dieser Artikel iſt auch als Sonderabdruck erſchienen und
vom Verleger Herm. Beyer in Leipzig, Königstraße 27, ſowie
durch jede Buchhandlung zu beziehen. Gegen Einsendung bon
_ H30 Pfg. in Briefmarken erhält man 25 Stück ; 100 Stück
koſten 1 Mark, 1000 Stück 8 Mark.







| kinder an dieſen bunten Dingen allen haften,

| vorigen Jahres haben jedoch die beiden deutschen

PNetroleum-Importhäuſer sich in eine Gesellschaft ver-
einigt und sind der deutsch-amerikaniſchen Petroleum-
Geſellſchaft, welche die Geschäfte für die allmächtiae
Monopol-Kompaanie hesorat, heigetreten. Die nächſte
Folge hiervon dürfte sein, daß die Standard Oil-

Comvbany nunmehr die ihr lästige Konkurrenz der

Outsiders. welche die Pure Oil-Company bilden. auf
dem deutſchen Markte völliq an die Mand drückt.
„Die nene Mannheim - Bremer Gefellſchaft hat
ihren Uebertritt zu den bisherigen Gragnern mit einer
Aktion eingeleitet, die uns belehrt, daß die deutschen
Geſchäftsleute bei den nordamerikanischen Monopolisten
fleitzia in die Lehre gegangen sind. Sie verſucht
nämlich, die Petroleum-Großhändler in S ü d weſt -

| d eutſ<l and. insheſontere in der Pfalz, an der

Saar und in Baden, durch Nontrakte derart festzu-
legen, daß alle dieſe Groſſiſten sich für d'e Daver von
vier Jahren, bis zum 30. Juni 1901, in völlige Ab-
här gkeit von der Standard Oil Company hinsicht-
li! 3 Bezugs, des Absatzes und der Preisfesſtstellung
von Petroleum begeben. Den Zwiſchenhändlern wird
angeſonnen, nur fso viel Petroleum anzukaufen, als
sie im Durchſchnitt der leßten drei Jahre haben ab-
ſeßen können, nur ſo viel Verkaufsgewinn zu nehmen,
als die Geſellſchaft vorſchreibt, sich endlich in jeder
Beziehung der Oberaufsicht der Monopolisien und
ihrer deutſchen Vertreter zu unterstellen. Die süd-
deutſchen Petroleum-Großhändler haben auf einer Ver-
sammlung in Mannheim dtieſe Vorſchläge eritrüſtet
zurückgewieſen und eine Kommission mit der Leitung

des Kampfes gegen d’e Monopolbeſtrebungen betraut. !

Die Interpellation im Reichstage bezweckt, den Händ-
lern in ihrer Abwehr der den deutſchen Petroleum-
markt bedrohenden Gefahr zu Hülfe zu kommen.
„Vie wir ſchon Eingangs muittheilten, brachte
im Mai 1895, als die Petroleumpreiſe in Deutſch-

land infolge der skandalösen Treibereien des Rings

in die Höhe ſchnellten,. die Deutſch -ſ o ziale
R efo r mpa rtei die Petroleumfrage im Reichstage
durch eine Jnierpellation zur Sprache. Es iſt noch
in aller Erinnerung, mit welch’ geradezu erbärmlichen
und niederträchtigen Mitteln bamals die National-
liberalen und Freisinnigen eine Beſprechung der An-
gelegenheit zu hintertreiben verſuchten, um der R e-
formpartei einen Erfolg zu hintertreib en.
Nur 48 Abgeordnete, theils Conſervative, theils
Sozialdemokraten, ſtimmten f ü r eine Beſprechung der
Angelegenheit im Reichstage, ſo daß sie mangels der
j?itt; yrteſaturg aus dem Hauſe unter b le i-
b en mußte."

Trotzdem fand unſer Abgeordneter Zi m m er-
m ann aus Dresden Gelegenheit, in außerordentlich

vom Chrifſtkind träumte. Ich dreh’ mich um, da

| fieht ein Mann vor mir in langem Gewand und

sieht mich an mit wunderbar freundlichen Augen.

Er war's, mein Herr und Heiland! und ich

wollte ihm zu Füßen stürzen, da faßte er meine Hand,

ſprach : „Laß uns gehen. Ich wandle in diesen Tagen

wieder auf Erden, mich mit den Menſchenkindern zu
freuen und mit ihnen zu weinen, und will dir helfen
einkaufen.“

So gingen wir. Der Schnee knirſchte nicht
unter seinem Tritte, die Vöglein flogen nicht ſcheu
zur Seite, wo der Gottesſohn wandelte, ſondern
blieben traulich an ſrinem Pfade ſsißen, und wenn
eine Schneeflocke ſein heilizes Haupt berührte, ſo sank
sie als weiße Roſe verwandelt zur Erde herab.

Wir kamen an einen glänzenden Laden, vor dem
ſich die Menge drängte. Es war der Weihnachts-
bazar von Itig nnd Cohn. „Hier laß uns kaufen“,
sprach ich zum Erlöſer. „Beim Juden ?" fragte er
erſtaunt. „Herr“, entgegnete ich demüthix, „Du ſelbſt
befiehlſt uns, unseren Feinden zu verzeihen! Warum
soll ich nicht beim Juden kaufen ? Er thut'’s billig."

Da ſah er mich mit ernſtem Auge an. , Vas
mir ſelbſt die Juden gethan, das habe ich ihnen ver-
geben, als ich ſterbend am Kreuze hing und in Todes-
qual zum Vater geſchrien : „Herr, vzergieb Ihnen !"
Aber was ſie bis auf den heutigen Tag an mieinen
elenden Brüdern und Schweſtébh thun, deſſen will ich
eingedenk sein und an ihnen heimſuchen! Weißt du
nicht, wie viel Mühe und Thränen gequälter Menſchen-






wirksamer und schneidiaer Weise die Mißstände in dem
Petrolenmbandel zu belenchten f |

„D a ma l 8, schreibt die „Staatsßk „Zta.". war
die Angelegenheit zeit qemäß e r, nothwendiger und
dringender als iet. Damals stand das aante. dontſche
PVubsikum, inskesondere der wirthſc<aftlich ſchmächere
Theil der Bevölkerung unter der unerhörten Anz3ßoute
des nordamerikaniſchen Petroleumringes Dio Preis-
des Netroleums ſcbnellten um 50 bis 75 Protnt in

die Höhe, und da den wohlhabenden Nkaſſen der V. |

Bevölkerung andere Lichtquellen zu Gebote stehen, so
waren es hauptſächlich die b reiten Volks schi -
t e n , die davon Betroffen wurden. Diesmal sind ©9

einstweilen nur eivrige Groß firmen Sütdeutſcklannſe. .
die durch die nordamerikanischen Petroleumfsnnn.

dranagſalirt werden. Demzufolge ist auch die parl--
tnzttuiſsh Behandlung der Sache eine tweſentl: *
queer. uh ihren Bemühungen um die Intereſſen de
Gesammtbevölkerung faſt ganz allein. Das Centru [
und die Nationalliberalen hatten im Verein mit de:

Staatssecretär v. Bötticher einen l,übſchen Krien. !
plan ersonnen, um die Besprechung der Interpelanen.

zu verhindern. Der Erfolg war auf ihrer Seit

aber das deutſche Volk blieb noch nach wie vor de

Maaßnahmen des nordamerikaniſchen Wucherkönic -
Rockefeller ausgeſeßt. Diesmal sind es, wie gesaat,

nur vereinzelte Fir men Süddeutſchlands, de.

durch die nordamerikaniſchen Petroleumwucherer drang-
ſalirt werden, und sofort ist die n ati on all ib e-

r al e Partei bei der Hand, sich durch eine Intern. .

pellation jener Leute anzunehmen, und die geſammte
Preſſe behandelt die Sache diesmal als eine Haupt-
und Staatsaction, als eine ſogenannte befreiende That.

Die Gegenüberſtellung beider Vorgänge ist bezeichnen. .

für unsere Verhältniſſe im Reichstage. Nicht das
Geſammtintereſſe des Volkes, sondern das Froctions-
intereſſe iſt dort entſcheidend, d ie nat ionallibe-

ral e Parteiäiſtnicht eine Vertreterin. ;

der Ge ſ am mt inter eſſen, ſondern kl einer

ka p it a l k r äfti ge r Int er e ſſ engruppenn. ü

Vor 2 Jahren, ſo führt das genannte Bl tt

weiter aus, hätten der Regierung noch reichtinlen.

Mittel zu Gebote gestanden, um ſich des amerikanischen
Petroleumwuchers zu erwehren.

. Die oben erwähnten Firmen P o t h in Mann-
heim und R o ss o w, Jun g u. C o. hätten ihm Un-

abhängigkeit bewahren können, wenn die deutſhſe. W
HNegierung ihr zu Hilfe gekommen wäre. Zudem

befand |'< die ruſſiſche Petroleuminduſtrie damals

im Aufblühen, und es wäre durch zollpolitiſhe um .

tarifariſche Maßregeln sehr wohl möglich gewesen,
die Nordamerikaner in ihre Schranken zurückzuweisen.

ſie der Jude ſpottlbillig verkaufen und doch viel daran
verdienen kann ? – Komm und ſieh !"

Und ehe ich mich's verſah, waren wir in einem
schmalen Gäßlein, im dunklen Hofe eines engen,

ſchwarz verräucherten Hauſes und ſahen zum Fenſtee.

hinein in ein kleines Stüblein, wo eine Lampe einen
trüben Schein gab. „Sieh“, ſagte der Heiland, „hier

werden die billigen.Weißzeugwaaren gemacht, die dee .

Jude in ſeinem glänzeuden Laden verkauft !“

Ich sah eine Frau in eivem Bette liegenenn unn.
mit mageren, vor Kälte blauen Fingern raſtlos an

einem KRinderkleidchen nähen, wie ich eines für meinen
jüngsten blondlockigen Liebling bestimmt hatte. Todes-

bläſſe ruhte ihr auf Stirn und Wangen. JIch hörte,

wie sie leiſe huſtete. Bei der Lampe saß ein sieben-

| jähriges Mädele, dick wie ein Knäuel in eine alte

lztwolue Schärpe eingewickelt und ſäumte Taſchen-
er.

fromm bin und bete auch fleiß:g und ſchaff’ mei’ Sach
~ gelt, da kommi's liebe Chriſtkindle auch zu uns ?“

Da ſah ich, wie ein krampſhaftes Schluchzen die
Bruſt der Kranken erſchütterte.
mit dem Nähzeug auf die Bettdecke und heiße Thränen
brachen aus den müden Augen. „Ja bete, Kind,
bete!’ hörte ich sie ſprechen; „aber vergiß das
Schaffen nit! dann bekommst Du ein warmes Süpp-
chen zum heiligen Abend!"

Ich blickte auf zum Heiland und sah, wie dien
Thränen über das Anllit des Allerbarmers rammen.

Im gleichen Augenblicke war mir's, als fühlte
ch ſchwüle Luft und spürte einen ſüßlichen Wohlge-

8. Jahrgauaene.

Damals blieb die Deutſch-s9ziale Reform. |

„Mütterle", hörte ich die Kleine ſagen, wenn ich

Ihre Hände ſanan.
 
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