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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Kulturarbeit und Machtpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0018

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ist ja Sprache, und nicht nur Kunst ist „Sprache des Unaussprechlichen".
Wir wollen zum Glück. Aber wir kennen dahin keinen festbleibenden Weg
um die Wahrheit herum, keinen, der nur die Oberfläche bestreicht, keinen
als durch den Ausdruck zum Gehalt, keinen als durch den Kern der Dinge.

, ^3

^>un stehn wir heute nicht nur im Weltkrieg, sondern auf der Scheide
'^zweier Erdalter der Geschichte. Was die Politik betrifft, so bestreiten das
wenige. Melleicht wird der „Selbstmord Europas" Tatsache, und Amerika
und Asien bestimmen fortan über unsern Planeten, indem sie Europa
gnädigenfalls eine Art Austragstübel im Geistigen lassen, wie das Europa
mit dem alten tzellas tat. Ls steht aber noch eine andre Entscheidung zu
Prozeß, und es fragt sich, ob diese für die Zukunft der Menschheit nicht
ebenso wichtig, nein, ob sie nicht noch wichtiger ist als sogar die um
die Zukunft Europas. Es fragt sich, ob die letzte Instanz für die Dinge
der Welt das Sittliche ist oder nicht. Aus den Ergebnissen nicht etwa
nur des Christentums, sondern aller Religionen, Philosophien, Kulturen
der Erde ist eine Reihe von Sätzen Gemeingut der Völker geworden, die
wir als die sittliche Forderung der Menschheit bezeichnen können. Gilt
diese nun, wirkt sie nicht nur im Gedanken, auch im Geschehn? Es geht
darum, ob die Kirchen und Tempel aller Völker, die in Stein gehauenen,
in Worte gemeißelten, in Töne gegossenen seit den Iahrtausenden nur
Phantasien für Sehnende, Zeitvertreib für Narren, Spiele für Kinder,
Träumereien für Schläfer und Narkotika für Aufgeregte waren? Oder aber:
Ausdruck eines erkennenden Schauens aus den Tiefen des Nnbewußten
nach den letzten Höhen, nach den Höhen hin, auf welchen das für die
Menschheit Entscheidende wohnt.

AW^ie Staatsmänner der Entente, so scheint es, sind anderer Meinung.
^Wer sich mit Ernst in die geistige Einkreisung Deutschlands vertieft,
kann das kaum bezweifeln. Ein neues Meridiannetz hat aus Ver-
tuschungen und Verdrehungen, Lügen und Fälschungen die Erde um-
spannt, ein Netz unsichtbarer Fesselstricke. Ist denn da nicht bewußte
Lüge als Kriegsmittel, bewußter Völkerbetrug, ist bei den Machern
und Weiterführern der großen Weltpolitik nicht bewußte Nnsittlichkeit
am Werk? Wie vieles haben wir mit Donnerton behaupten hören, woran
der Glaube bei gescheiten und unterrichteten Männern schlechterdings un-
möglich ist: und es hatte vollen Erfolg. Fast jedes Land ward ja aus
„innerer Empörung" „zum Kamps für die ewigen Güter der Menschheit"
aufgeregt, fast jedes Land — bei dem deutsche Schiffe oder Geschäfte zu
holen waren, einschließlich der Neger von Liberia, gegen uns Barbaren.
Wie kindlich dilettiertest du, alter, harmloser Macchiavell, gegenüber dem,
was die Herren Weltbrand-Direktoren geleistet haben und leisten! In die
Empörung mischt sich der Lkel, in den Lkel die Skepsis, und wie die Nacht
in den Tag wächst wieder düster jene Frage auf: entscheidet das Sittliche
nicht mehr in der Welt?

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