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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
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Neurath, Otto: Das umgekehrte Taylorsystem: auch etwas zur Auslese der Tüchtigen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0038

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und praktisch geförderten wissenschaftlichen Betriebslehre, die man vielfach
in ihrem ganzen Ilmfange als Taylorsystem zu bezeichnen pflegt, be--
schränkte sich nicht nnr auf die Anhänger einer Entfaltung des wahren
Menschentums und die Gegner des sogenannten „Amerikanismus". Auch in
der Arbeiterschast bemerkte man starke Abneigung dagegen. Durch Anwen-
dung des Taylorsystems gewinnt der Arbeiter nur, sofern ihm eine Teil--
nahme am Mehrgewinn zugesichert wird. Insbesondere aber müssen die Ar-
beiter Entlassungen befürchten. Die Arbeitsbedingungen wurden zu Be--
ginn des i9- Iahrhunderts durch die Einführung der Maschinen wesent--
lich verschlechtert, weil die entlassenen oder eine Entlassung fürchtenden
Arbeiter den Lohn drückten und überdies Frauen, Kinder, Greise zur Arbeit
herangezogen werden konnten. Auf dem Umwege über schwerste Erschütte--
rungen wurden die Arbeitsbedingungen im Laufe des sy. Iahrhunderts
langsam, zum Teil unter staatlichem Druck verbessert. Das Taylorsystem ist
nun als arbeitsparendes Mittel dem Maschinensystem innerlich verwandt.
Seine allgemeine Einführung ohne entsprechende Maßnahmen des
Staates oder der Arbeiterorganisationen könnte für die Arbeiterschaft
manches Bedenkliche nach sich ziehen.

Aber viele fürchten, daß das Taylorsystem, selbst dann, wenn es zum
Vorteil der Arbeiter eingeführt wird, die allgemeine Mechanisie--
rung des Daseins vermehren würde. Dies ist nun keineswegs not--
wendigerweise der Fall, ja es stecken gerade im Taylorsystem Ele--
mente, welche es zu einer H aupttrieb kraft eines neuen
Humanismus machen könnten.

Während des Krieges wandte man sich überall der bewußten Lebens--
gestaltung zu und ist heute mehr als früher darauf aus, die Kräfte für
bestimmte Zwecke wirklich erfolgreich anzuwenden. Wenn wir unter der
Technik eines Zeitalters den Inbegriff seiner Erfindungen verstehen, untcr
Technizität deren Anwendung, so wies der bisherige Friedenszustand bei
hoher Technik eine verhältnismäßig niedrige Technizität auf.

Der Krieg hat in mehr als einer Richtung die Organisation unsrer
Wirtschaft verändert, indem nicht der Reingewinn der Anternehmer für
die meisten Maßnahmen ausschlaggebend blieb. Immer häufiger wurden
durch staatliche Verfügung die jeweils als zweckmäßig erkannten Wege
eingeschlagen. Es wurden Produktionen durchgeführt, welche an sich nicht
gewinnbringend wären, sondern es nur durch besondere Aufwendungen aus
öffentlichen Mitteln wurden. Aber es kam auch zur Anwendung des Produk--
tionszwanges und ähnlicher Maßnahmen. Die Lrzeugung von Munition,
Waffen usw. stand im Vordergrund. Die Kriegführung wurde
nach rein technischen Gesichtspunkten durchgeführt. Auf
ihrem Gebiete scheint sich die Techuizität grundsätzlich
auszuleben. Wenn auch dis Nissenbetl'iebe Amerikcls iimerhalb ihrer
Betriebsorganisation feiner durchgebildet sind, so gehen sie voch grund-
sätzlich auf ein Maximum des Reingewinnes aus, während die Krieg--
führung das ganze Bolk einem Zweck unterordnet. Daß freilich die tat--
sächliche Durchführung der Kräfteausnützung infolge mangelnder Durch--
bildung der Methoden und unsres Denkens noch im Anfangsstadium
steht, muß man immer im Auge behalten.

Wir beginnen mit vieler Mühe und Sorgfalt, unter den Gesunden, aber
auch unter den Kriegsbeschädigtcn, die sür vorhandene Berufe und Orga--
nisationsformen geeigneten Menschen herauszusuchen, und diese Strömung

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